Weihnachten - das Jesuskind und die Liebe
Adelheid Patzlaff (Klassenlehrerin an der Freien Waldorfschule Wetterau)
Es ist ein Kind, welchem wir uns in der Weihnachtszeit anbetend zuneigen. Unsere Gedanken, unser Fühlen und unser Tun sind erfüllt von dem Jesuskind, sie gelten einem Kind, das im äußeren Sinne nichts kann, das doch alles erst lernen muss, das doch zunächst ganz auf Versorgung und Schutz, also auf unsere Kräfte angewiesen ist. Worin liegt die Göttlichkeit des Kindes, dass wir es anbeten und von ganzem Herzen lieben wollen? Wie kann dieses Kind das kostbare Geschenk sein, das uns zu Christus führt?
Das Jesuskind, wie es uns im Lukas-Evangelium beschrieben und in unzähligen Kunstwerken dargestellt wird - in Gemälden, Krippenfiguren und auch z.B. unserem Oberuferer Christgeburtspiel - ist arm, machtlos, man kann auch sagen: wie ausgestoßen aus der Welt der Menschen. Manche Maler haben es mit einem den ganzen Leib umfassenden goldenen Strahlenkranz abgebildet und nicht nur in einer Krippe, sondern unten auf der Erde liegend, als ob sie sagen wollten: es ist ganz göttlichen Ursprungs, und es kommt herab zu uns bis in die Tiefe der harten, kalten Erdenwirklichkeit, um diese einst zu verwandeln, zu erlösen.
Wenn wir vor dem Jesuskind stehen, fühlen wir, dass das Höchste in der Welt die Liebe ist. Wir finden in der Welt Weisheit und Macht und erkennen sie als göttliche Kräfte, die in allem Sein wirken. Aber neben der göttlichen Weisheit gibt es auch das selbstsüchtige Streben nach Weisheit, das nur nach sich selbst fragt. Neben der göttlichen Macht steht die boshafte Gewalt des Herodes und wir kennen viele weitere Erscheinungsformen zerstörerischer Macht, auch in uns selbst. Die Liebe dagegen, wenn sie wirkliche Liebe ist, ist eine göttliche Kraft, der nichts Unvollkommenes gegenübersteht, sie ist etwas Einzigartiges, dem wir uns immer anvertrauen dürfen.
Beim Betrachten des Jesuskindes sehen wir den Wunderbau des Menschen, der durch so unermessliche Weisheit zustande kommt, und er liegt da in kindlicher Reinheit.
So groß kann unsere Weisheit nie sein wie die himmlische Weisheit, die wir verehren, die den Kindesleib geschaffen hat. Auch mit unserer Macht kommen wir an das Kind nicht heran, das unsere Macht nicht übertrifft, sondern im Gegenteil uns seine Machtlosigkeit entgegenstellt. Das einzige, mit dem wir dem Kind nahekommen, ist die Liebe.
Christus kommt zu uns, indem wir erfahren, dass nicht unsere Weisheit, um die wir uns bemühen, und nicht unsere Macht, die wir entfalten und anwenden, sondern die Liebe das Höchste ist. Nur durch unsere Liebe können wir ein Verhältnis zu diesem Kind gewinnen. Dieser Gedanke kann uns auch als Lehrer und Eltern erfüllen, wenn wir uns unseren Kindern zu Hause und in der Schule zuwenden.
Weil sich die Gottheit hat in Kindheit mir gezeigt,
Bin ich der Kindheit und der Gottheit gleich geneigt.
(Angelus Silesius)
Ich wünsche uns eine erfüllte Weihnachtszeit, in der wir dem Geheimnis dieser Liebe nahekommen. Und ich wünsche uns ein neues Jahr, in dem wir, erfüllt von dieser Liebe, wie die Heiligen drei Könige dem gewalttätigen Herodes-Wesen widerstehen und unser Denken und Handeln mit dieser Liebe verbinden.
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Zum Thema vgl. Rudolf Steiner: Weisheit, Macht und Liebe, Vortrag, gehalten am 24.12.1912 in Berlin