Auf dem Weg zum SElbstverantwortlichen Lernen

Angeregt durch die Forschungsprojekte zum Selbstverantwortlichen Lernen plante ich meine Handwerkerepoche anhand der 12 Projektfragen von Michael Harslem (zu finden im Download-Bereich auf www.selbstverantwortliches-lernen.de).

Die 12 Projektfragen regten mich an, mein Vorhaben und seine Möglichkeiten differenzierter zu betrachten, als ich das üblicherweise bei der Epochenplanung tue.

Schon die erste Frage „Was will ich eigentlich? Was sind meine Ziele, meine Motive?“ weitete meinen Blick über das gewöhnliche Unterrichtsziel hinaus. Will ich wirklich nur, dass meine Schülerinnen und Schüler ein bestimmtes Wissen über verschiedene Gewerke erwerben, Werkzeuge benennen und orthographisch richtig beschriften können? Dass sie Berichte über Handwerkerbesuche schreiben, schöne Epochenhefte gestalten und etwas selbst handwerklich herstellen?

Was ist denn das Wesentliche des Handwerks? Mit den Händen wird etwas hergestellt, das die Menschen benötigen für ihr Tagwerk, sei es als Werkzeug, als Bekleidung, als Behausung, als Nahrung oder auch als Freude für die Sinne. Durch ihre Hände können die Menschen die Welt ganz konkret mitgestalten. Etwas Sinnvolles handwerklich herzustellen, stärkt das Vertrauen in das eigene Tun. Das oberste Ziel einer Handwerkerepoche sollte also sein, das Selbstwirksamkeitserleben der Kinder zu stärken.

Da Selbstwirksamkeit eine sehr individuelle Angelegenheit ist – jeder erlebt sie dort, wo er sich als ganzer Mensch tätig mit etwas verbindet – ermutigte mich zu mehr selbstverantwortlichem und individualisiertem Lernen: Statt Epochenheften (alle tragen das Gleiche ein) sollte es Gesellenbücher geben (individuelle gestaltete Blätter mit festem Umschlag und Heftschiene), Inhalte und Arbeitspensum sollten je nach Schüler variieren dürfen.

Nach dem Abschluss der Epoche ging ich die 12 Fragen nochmals durch und prüfte, was sich hatte umsetzen lassen und was nicht. Hier geht es zum entsprechenden Dokument.

Zur Auswertung der Epoche: Das Epochenziel wurde erreicht. Selbst diejenigen Kinder, die längere Zeit krank waren (die Grippewelle traf uns heftig), stiegen sofort innerlich und äußerlich ins Thema ein, sobald sie wieder gesund waren.

Meine Erkenntnisse: Selbstverantwortliches Lernen gelingt gut, wenn am Anfang der Epoche bildhaft und klar strukturiert ins Thema eingeführt wird und die Kinder nach und nach in diesem Rahmen eigenständig lernen und arbeiten dürfen. So erarbeiteten wir uns die ersten beiden Gewerke (Schmied und Schuster) systematisch: Bildhafte Einführung (Lehrervortrag), individuelle Bearbeitung des Gehörten durch ein Bild, durch selbständiges Zeichnen und gemeinsames Beschriften der a) Werkzeuge, b) Materialien, c) Ausstattung und d) Werkstücke des jeweiligen Gewerks. Das Schmieden praktizierten wir außerdem in der schuleigenen Schmiede, wo die Kinder zunächst in Kleingruppen Klangplatten herstellen und dann individuell etwas fertigen durften (Messer, Meißel, kleine Hufeisen, Armreife).

Auf dieser Struktur aufbauend, stellte ich den Kindern frei, wie sie sich das Schneider-Handwerk erarbeiten wollten. Die Einführung gab eine Maßschneiderin, die an unserer Schule Praktikum machte, uns von ihrer Ausbildung und Arbeit in einer Schneiderei erzählte und dies durch viele Werkzeuge, Stoffe und das maßgeschneiderte Brautleid ihrer Großmutter veranschaulichte.

Interessant war, dass alle Kinder den praktischen Zugang wählten und sich selbst etwas nähten. Da es mir wichtig war, dennoch das Schreiben und Zeichnen nicht zu vernachlässigen, bekamen sie die Aufgabe, die einzelnen Schritte ihrer Arbeit in ihrem Gesellenbuch schriftlich und zeichnerisch zu dokumentieren.

Das selbständige Arbeiten der Schülerinnen und Schüler verlagerte für mich als Lehrerin den Schwerpunkt vom Lehren zum Begleiten. Ich konnte vieles entdecken, was sonst im lehrerzentrierten Unterrichten nicht so sehr zum Vorschein kommt. So war es sehr interessant zu sehen, welche Schüler sofort Ideen für nützliche, schöne und bewältigbare Werkstücke entwickelten und welche Schüler Mühe hatten, ausgefallene und konstruierte Ideen auf den Boden zu bringen. Eine Herausforderung war es, mich in Gelassenheit zu üben, wenn beispielsweise einzelne Schüler zwischendurch nichts anderes taten, als anderen beim Arbeiten mit Muße zuzuschauen.

Überwältigend war die Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit der Werkstücke: es entstanden Täschchen ohne Knöpfe, mit Knöpfen, mit Druckknöpfen, mit und ohne aufgestickte Verzierungen, eine Umhängetasche, eine Puppenumhängetasche, ein Geigenkissen für die Schulter, Schlüsselanhänger, Haarbänder, Ostereier, Eierhalter und manches mehr.

Leider konnten wir das selbstverantwortliche Arbeiten nicht mehr auf das Bäcker-Handwerk ausweiten, da die Epoche durch verschiedene gesamtschulische Ereignisse (Klassenspiel, Schulfasching…) um fast eine Woche verkürzt war. Auch das war eine wertvolle Erkenntnis: selbstverantwortliches Lernen und Arbeiten braucht Zeit – die sehr gut investiert ist, weil die Kinder viel mehr für sich mitnehmen, als wenn sie ausschließlich der Führung des Lehrers folgen.

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