Tore Toreson
Die Zirkusleute fuhren auf kleinen Straßen am Meer entlang. Es waren lustige Tage. Anna und Zefi saßen oft und lange bei Walli Wehmut im Wagen und schauten mit ihr aus den Fenstern. Das Meerweib konnte sich stundenlang an der vorbeiziehenden Landschaft erfreuen. Es war das erste Mal, dass sie soviele grüne Wiesen sah und Dörfer und Städte. Es war gut, dass sie so dicht beim Meer waren, denn wenn Walli Wehmut Heimweh bekam, konnte sie doch zumindest das Wasser betrachten und dem Rauschen der Wellen lauschen. Ein paar Mal konnte sie sogar im Meer baden, Rambo Redlich trug sie auf seinen kräftigen Armen zum Wasser und wieder zurück in die Wanne. Nonni und Dennis Demut lasen ihr jeden Wunsch von den Lippen ab, so dass es ihr auch in der Wanne an nichts fehlte. Schließlich kamen sie in die große Hafenstadt Rotterdam und dort lagen im Hafen unzählige Schiffe. Sie fanden einen guten Rastplatz und beschlossen, einige Tage an diesem Ort zu bleiben, um Land und Leute kennen zu lernen. Nonni nahm die Kinder mit zu den alten Schiffen, die im Hafen ankerten. Dort roch es nach Teer und überall standen Tonnen herum und große Taurollen versperrten den Weg. Hier im alten Hafen lernten sie Tore Torenson kennen. Es war ein sehr altes Schiff, vor dem die Kinder stehen blieben, ein Dreimaster mit Segeln. "Diese Schiffe sind heute sehr selten geworden", sagte Nonni. "Seht mal die vielen Taue und Segel und wie hoch die Masten sind. Das, woran die Segel befestigt werden, nennt man Rahe." Fasziniert blickten die Kinder nach oben in die Takelage des Schiffes und sahen plötzlich, wie ein dunkler Schatten behende und flink wie ein Eichhörnchen im Baum von einer Rahe zur nächsten sprang.
Sie schauten genauer hin und erkannten, dass es ein Matrose war, der die Segel reffte und mit Tauen zusammen band. Er hing mit beiden Händen in der Takelage, sodass die Kinder sein großes Tatoo auf dem Oberarm sehen konnten: Ein Anker in einem roten Herzen. So baumelte der Matrose eine Weile, um dann mit einem gekonnten Salto durch die Luft zu fliegen und sicher mit den Händen die nächste Rahe zu ergeifen. Dabei sang er mit lauter Stimme ein Lied:
Tod und Teufel, tausend Sprünge, turmhoch will ich heute tun.
In der Takelage tanzen will ich ohne Rast und Ruh.
Tod und Teufel, bei der Arbeit tanze ich von Mast zu Mast
Tore heiß ich, bin Matrose, turne ohne Ruh und Rast.
Tag für Tag knot ich die Taue, weil ich Taue knoten will.
Turn die Masten rauf und runter, mitten drin, da steh ich still.
"Toll", sagte Nonni und Zefi meinte erfürchtig: "Ist der aber mutig!" Die Kinder klatschten vor Begeisterung in die Hände. Das hörte der Matrose und sprang hinunter auf die Planken des Schiffs. Dann kam er mit breiten Schritten auf sie zu, schüttelte jedem kräftig die Hand und fragte: "Moin, ich bin Tore, hat euch meine Trapezkunst gefallen?" "Du warst toll" meinte Nonni. "Mut tut gut", antwortete der Matrose. Nonni aber wollte wissen, was denn eine Trapezkunst sei. Tore Torenson wollte gerade antworten, da sagte Zefi: "Ein Trapez, das ist eine Stange, die an langen Tauen von der Zirkuskuppel herunter hängt und an der Zirkusartisten ihre Kunst zeigen. Du bist also ein Zirkuskünstler." "Tja, mein Junge, ich war mal einer, aber das ist lange her, heute bin ich Matrose dort auf dem Dreimaster. Aber ich habe meine Kunststücke nicht vergessen und trainiere sie jeden Tag in der Takelage des Schiffes. So bleibe ich immer top fit." "Aber vermisst du das Zirkusleben denn gar nicht?" fragte Zefi. " Natürlich vermisse ich den Zirkus, die Reisen und das Publikum, doch was kann ich tun? Mein alter Zirkus hat damals aufgehört. Nach dem Tod des alten Zirkusdirektors hatte uns das Glück verlassen und so hab ich mir einen neuen Job als Matrose gesucht. Aber wie kommt es, dass du soviel über den Zirkus verstehst, mein Junge?" Nun war es Anna, die Zefi ins Wort fiel: "Na, dem Zefi gehört doch der Zirkus SIMBALLODIMBA und wir sind auf der Suche nach neuen Artisten." "Also eigentlich ist ja mein Vater der Zirkusdirektor" meinte Zefi verlegen. "Das ist ja tip top" antwortete Tore und haute Zefi mit seiner Hand kräftig auf die Schulter. "Dann führt mich mal schnell zu eurem Zirkusdirektor. Ich bin top fit und will wieder aufs Trapez." So kam es, dass Tore Toreson wieder Trapezkünstler wurde und den Zirkus SIMBALLODIMBA auf seiner Fahrt begleitete, denn einen so guten, top fitten Trapezkünstler in seiner Truppe zu haben, das fand der Zirkusdirektor wirklich tip top!