Nils Nordmann

Nun fuhren sie lange Strecken immer entlang der Elbe. "Der Fluss führt uns direkt zur Nordsee und da wollen wir hin", sagte der Zirkusdirektor. Die Nordsee, das Meer, darauf freuten sich Anna und Zefi schon sehr. Anna hatte ja noch nie das Meer gesehen. Ein paar Tage dauerte die Reise schon, denn die Wagen konnten ja nur sehr langsam fahren. Aber eines Tages sahen sie das Meer. Grau und grün wogten die Wellen und als Anna das Fenster des Wagens herunter kurbelte roch sie, dass die Luft so anders war, sie roch nach Wind und Wasser und ein wenig nach Fisch. Norddeich war eine kleiner Ort direkt am Meer . Am späten Nachmittag nahm der Zirkusdirektor die Kinder und Lilo Lieblich mit zu Nils Nordmann. Nils Nordmann hatte seine Werkstatt in der Nähe vom Hafen, dort nähte und knüpfte er Netze für die Fischer, die in der Nordsee Fische fingen. Der Zirkusdirektor klopfte dreimal an die Tür und dann traten sie ein. Die Werkstatt war nicht sehr hell, aber sehr groß, überall lagen Netze und Taurollen herum und es roch nach Teer. Ganz hinten in der Halle klöterte irgendetwas und fiel um. Dann hörten sie gemurmelte Worte. Als sie dem Geräusch nach gingen, sahen sie beim Licht einer tranigen Funzel zwei Gestalten auf Kisten sitzen. Die beiden arbeiteten an einem Netz und knüpften Knoten um Knoten in die Schnüre. Nun konnten die Kinder auch das Murmeln des Jüngeren besser verstehen:

 

Knüpf, knapf knetz.
Nutz das Netz.
Knatz, knetz knutz
Das Netz nutz.
Nigel, nagel, nogel neu
Nützlich sei das Netz und treu.

 

Zefis Vater rief laut: "Hallo Nils, alter Nordmann, du Seebär." Der Ältere blickte von der Arbeit auf: "Nee dat gift det doch nich, de olle Landratte kieekt ok mol wedder inn." Nils Nordmann kam hinter ein paar alten Ölfässern hervor. Er nahm seine Schirmmütze vom Kopf und kratzte sich die grauen Bartstoppeln."Wat treibt dich denn hier ann strand? Noch dazu in so netter Begleitung?" Der Zirkusdirektor antwortete: "Ja weißt du Nils, der Zirkus SIMBALLODIMBA braucht ein neues Netz, ein richtig großes, damit die Lilo Lieblich ohne Gefahr oben auf dem Seil laufen kann." Nils Nordmann schaute Lilo Lieblich von oben bis unten an, nickte dann und sprach: "Na dat is een glück, dat ich da grad mol so een schönes Netz geknüpft hab." Er hielt ein Ende des Netzes, an dem er gerade arbeitete hoch. "Nee also Nonni steh up, un halt dat anere Ende hoch, du Döspaddel, sonst sieht doch niemand was von dem schönen Netz." Der Junge sprang sogleich auf und hielt das Netz in die Höhe. Das war ein Netz. Jede Masche war von Hand geknüpft aus festem, silbrigem Garn. Das Netz war ganz leicht und floss durch die Hände hindurch.

"Dat is so gut wie nich zerreisbar, Knoten für Knoten mit eigener Hand geknüpft un nich aus Seemansgarn" sagte Nils Nordmann und nannte einen Preis. Der Zirkusdirektor nahm das Geld aus der Tasche und gab es dem alten Seebären. "Natürlich beste Qualität, ich wusste, es lohnt sich immer zu Nils Nordmann zu fahren." Auch Zefi fasste das Netz an und fragte neugierig: "Was ist denn Seemannsgarn?" Nils Normann lachte polternd: "Seemannsgarn, dat is, na warte, ich vertell dir mol en Stück Seemansgarn min lütt Jung. Setzt euch mol alle do op de Taurollen." Nils Nordmann nahm seine Pfeife, stopfte sie, brannte sie an und paffte ein paar Wolken. Dann begann er zu erzählen: "Es is nu schon eine Weile her, ich war damals noch jung un hatte den Kop noch voll Flöhe, da war ich mitm alten Käptn unnerwechs. Ein Sturm hatte uns vom Kurs abgebracht un es blies en starker Norwest. Wir fuhrn so up de blanke See und op eenmol schreit der Mann in Nest 'Land in Sicht, do is Land in Sicht.' De Käptn holt ok glich sin langes Rohr un guckt un guckt und sieht eine Insel, schaut oop de Seekarte, aber da is keine Insel nich. Un niemand kennt hier in diesen Gewässern eine Insel. Un wie wir näher kommen seen wir weiße Sandstrände, Grüne Palmen und de Himmel klart ok op. Wir ankern in ner Bucht un der Käptn schickt mich mit ner Jolle raus. Ich soll man büschen dat land un de leut erkunnen. Ich leech mich also in die Riemen und wie ich an Strand angekommen bün, is allens so herrlich un so schön, wie ich in min lebdach noch nich gesehn hab. De Sonn scheint un scheint, un wie ich son büschen rumgestolpert bin, wer ich müde un lech mich hin. As ich wedder zu mir komm hör ich eine Stimme ganz dicht bei min Ohr un de singt wie dat Meer so schön un dat klingt so süß. As ich upsta, da räkelt sich vor mir inne See een schönes Meerweib, mitn körper unnen wien Fisch un oben rum wie dat schönste Weibsbild dat du di denken kanns. Wir habn dann en paar wunnerschöne Tage up der Insel verbracht un ich kann di sagn dat warn die schönsten Tage von min Lebben. Der Käptn hat dann irgendwann die Segel setzen lassen un wir ham kurs op de Heimat genommen. Na min Jong dat war mol son büschen Seemansgarn, du kanns dat glauben oder nich. So aber nu muss ich wedder anne Arbeit, ich schick euch nachher dann min Neffen Nonni, der soll euch dat Netz rüber bringen."