Klasse 1

Als Klassenlehrer der FWS Mainz schreibe ich seit vielen Jahren Überblicke zu den Tätigkeitsfeldern in den jeweiligen Klassenstufen (menschenkundliche Situation und zu den einzelnen "Fächern"). Diese habe ich (als ausbaufähige Skizze) immer auch an Kollegen (z.B. bei den Lehrerseminaren) oder Eltern weitergegeben. Diese Lehrplanübersicht versteht sich als Entwurf und nicht als verbindlicher Lehrplan.

Dr. Torsten Meyer-Oldenburg © (Stand Juli 2012)

Ergänzungen & Kritik bitte an: tmold@t-online.de

 

Orientierungsrahmen zu Unterrichtsinhalten und Tätigkeiten in der 1. Klasse

Mit diesem Morgenspruch von R. Steiner beginnt der Schultag in den ersten vier Schuljahren:

„Der Sonne liebes Licht, es hellet mir den Tag;
Der Seele Geistesmacht, sie gibt den Gliedern Kraft;
Im Sonnen-Lichtes-Glanz verehre ich, o Gott,
die Menschenkraft, die Du in meine Seele mir
so gütig hast gepflanzt, dass ich kann arbeitsam und lernbegierig sein.
Von Dir stammt Licht und Kraft, zu Dir ström´ Lieb und Dank."

 

Bereits dieser Morgenspruch möge die Kinder bestärken, dass sie sich willkommen geheißen spüren in einer schönen Welt, die es gemeinsam zu entdecken und zu gestalten gilt. Dies betrifft die äußere Welt und die soziale Gemeinschaft mit anderen Menschen genauso wie die eigene Person. Alle sind sie Sphären des tätigen Seins, des Erkundens, des Kennenlernens, des Übens und des Arbeitens sowie des Entfaltens.

Gestaltwandel und Zahnwechsel zeigen als äußeres Zeichen der Schulreife, dass nun Kräfte der Gestaltung sich im steigenden Maße den neuen Aufgaben des Lernens zuwenden, sie für die Gestaltung innerer Bilder und Gedanken verwendet werden können. Für die Kinder ist ein großer Schritt getan, der vom Kindergarten in die Schulwelt, in ein erstes von ihrer Familie eigenständiges Arbeitsfeld und damit in eine neue Gemeinschaft führte. Das Wirken des Schulkindes wird zu einem zielstrebigen und andauernden Arbeiten, Vorstellen und Erinnern, Üben und Lernen, welche über längere Zeiträume stattfinden, größerer Anstrengungen bedürfen und zunehmend eigenständiger werden. Neue Gebiete und neues Wissen erschließt sich das Schulkind und erwirbt Fähigkeiten, die vielleicht und sogar hoffentlich größer als die der Erwachsenen sind.

In den ersten Schulwochen beginnen sich die Kinder zu einer neuen Gemeinschaft zusammenzufinden, in welcher jede und jeder ihren bzw. seinen Platz findet. Damit eine gute Klassengemeinschaft entstehen kann, die die Entwicklung und das Wachstum jedes einzelnen Menschen zu fördern im Stande ist, sind gute Gewohnheiten und schöne gemeinsame Erlebnisse der Klasse ebenso wichtig, wie eine ausgeprägte gute Zusammenarbeit der Eltern und Lehrer in den verschiedenen Konstellationen.

Das Grundthema des zweiten Jahrsiebtes lautet, „Die Welt ist schön", die sieben Jahre zuvor lautete es, „die Welt ist gut". Mit dem zweiten Jahrsiebt wird in der Waldorfpädagogik die „Geburt" des Lebenskräfteleibes (Ätherleibes) verbunden, also die zunehmende Eigenständigkeit im Bereich der Lebenskräfte. Diese waren zuvor vielfach vom Außen abhängig. Damit kommt der Pflege der Lebenskräfte auch in der Schule eine besondere Bedeutung zu. Beispielsweise findet daher im Hauptunterricht ein ausgeprägter rhythmischer Teil statt, gemeinsam wird gefrühstückt und es werden gute Gewohnheiten angelegt.

So sind die Lebenskräfte des Kindes auf der körperlichen (z. B. durch gesundes Essen, genügend Schlaf, rhythmischen Tagesablauf ...), seelischen (was bekommt die Seele vorgesetzt?) und  geistigen Ebene zu stärken.

Das junge Schulkind ist der Welt noch vielfältig hingegeben und mit ihr unmittelbar verwoben, es erlebt die Umwelt aus einer Ganzheit und handelt oftmals aus der innigen Nachahmung heraus. Daher spielt die Qualität der Umwelt wie z. B. die Schönheit der Sprache und im eigentlichen Sinne jeglicher Tätigkeit eine große Rolle, damit das Kind gerne eine Verbindung von sich nach außen sucht. Mit den Sinnen öffnet sich die Welt, im Äußeren offenbaren sich die vielfältigsten Qualitäten, lassen sich Erlebnisse und Tore zu Erkenntnissen und Wissen finden und mögen den heranwachsenden Menschen darin stärken, in der Welt zu wirken.

 

Ein Leitspruch könnte das Gedicht von Carmen Sylva sein:

Warum willst Du nicht eine kleine Sonne sein,
alles schöner machen durch die Güte Deines Blickes,
durch den Wohllaut Deiner Stimme,
die Schönheit Deiner Sprache?

 

Die Lernmethodik und Lerninhalte setzen hier an. In der Methodik spielt die Schulung der Sinne, das Bewegen und Nachahmen eine wichtige Rolle. Das Wesenhafte wird durch die eigene Tätigkeit (in der Gemeinsamkeit) erfahren. Wahrnehmen, äußeres Bewegen und (Mit-) machen, Erleben und erstes (individuelles) Verstehen folgen aufeinander. Wollen und Denken werden also über das Fühlen miteinander verbunden, das zu Lernende wird im Wesen über die (erfreuliche) Empfindung vermittelt. Durch ihre richtige Verknüpfung können Freiheit und Moral entstehen.

Ausgehend vom Ganzen werden die Teile kennen gelernt, etwa in Deutsch beim Erlernen der Buchstaben als Schriftzeichen, welche aus dem Bild einer Geschichte auftauchen, im Rechnen bei der Addition als Aufteilung eines Ganzen in Teile (12 = 7 + 5), im Turnen bei Kreisspielen oder im Fremdsprachenunterricht, wenn die Sprache ähnlich wie im Alltag in der Gemeinschaft von Hören und Handeln kennen gelernt wird.

Es werden in der 1. Klasse beispielsweise der Jahresverlauf mit seinen Jahreszeiten und -festen intensiv bedacht, Lieder in der Quintenstimmung gesungen, - denn hier besteht noch eine Einheit und Stimmigkeit aller Töne untereinander - oder Märchen erzählt.

Alle Lern- und Tätigkeitsinhalte mögen Entwicklungsanreiz, Unterstützung sowie Experimentierfeld sein, damit sich der Mensch zu einem freien, verantwortlichen und tätigen Wesen entwickeln kann. Dabei ist es natürlich auch wichtig, dass das Gelernte der Lebensführung (wie z. B. Sport, Kunst, Handarbeit, Musik oder später Ethik, Ernährungs- oder Sexualkunde) und der Berufsvorbereitung (wie z. B. Kulturtechniken, Sprachen und Naturwissenschaften) dient, denn erst eine breite Palette an Erfahrungen und Kenntnissen kann  der individuellen Entwicklung des einzelnen Menschen mit seinen besonderen Begabungen und (Un-) Fähigkeiten verhelfen und entsprechen.

 

Formenzeichnen

Erleben, erfassen und üben der beiden Prinzipien Gerade und Gebogene in Variationen sowie in Verbindungen wie z. B.  bei Senkrechte & Waagrechte, Diagonale, Winkel, Stern, Drei- und Vielecke, konvex und konkav; Kreise & Ellipsen; Spirale, Lemniskate etc.

 

Rechnen

Die Systematik im Rechnen folgt im Wesentlichen dem Prinzip des Pädagogen Piagets „von der Hand durch das Herz zum Kopf".

 

Inhalte sind:

  • Erleben der ganzen Zahlen von 0 bis circa 20 als Qualitäten
  • Einführung aller vier Grundrechenarten im Zahlenraum bis 20
  • Das kleine Einmaleins bis zur 7er-Reihe
  • Zählen bis etwa 120
  • Erste Übungen im Kopfrechnen

 

Deutsch: Schreiben & Lesen, Sprechen & Zuhören

Einführung aller großen Buchstaben, indem sie aus einem wesenhaften Bild herausgelöst werden (Schrift: Antiqua)

Schreiben und Lesen von Worten und Sätzen; Ziel im Lesen ist anfangs das Erkennen des Wortbildes und später das Lesen aller einzelner Buchstaben eines Wortes

Erleben der Schönheit und Kraft der Sprache insbesondere durch Pflege einer ausgeprägten mündlichen Sprachkultur im freien Erzählen z. B. von Märchen, gemeinsames Rezitieren (Morgenspruch, Gedichte, Reime), Singen

 

Erzählstoff

Märchen, Naturgeschichten, sinnige Geschichten

 

Musik

Singen von Liedern in der Quintenstimmung

Einführen der pentatonischen Flöte, gemeinsames Musizieren (u.a. genaues Hören, Erleben des eigenen Wirkens in der Gemeinschaft) in Zusammenspiel und Wechselspiel
Rhythmusspiele und Improvisation

 

Malen

Experimentieren mit den Grundfarben und einigen Mischfarben in ihren besonderen Qualitäten für sich und in ihrem Zusammenspiel

Die Inhalte stammen aus dem Erzählstoff, zu den Jahreszeiten und zu den jeweiligen Fachinhalten (z. B. zur Einführung der Zahlen oder Buchstaben).

Dazu gemeinsames vorbereiten, malen, aufräumen und besprechen

 

Leibeserziehung

Bewegungs-, Sing- und Rollenspiele im Spielturnen
Bewegungsaufgaben im HU

 

Englisch & Französisch

Singspiele, Verse, Fingerspiele, Worte aus dem Alltag kennen lernen (insbesondere Körperteile, Farben, Zahlen, Tage, Gegenstände)
Chorisches Sprechen (meist von Gestik und Mimik begleitet) und individuelles Sprechen
Hören einfacher Geschichten

 

Eurythmie

Märchen und kleinere Gedichte im Raumausdruck u.a. Gerade und Gebogene, Vokale und Konsonanten, Geschicklichkeitsübungen

 

Handarbeit

Stricken (rechte Maschen und Randmaschen)

 

Hausaufgaben

Wiederholen, vertiefen und individualisieren ausgewählter Tätigkeiten bis zu einer halben Stunde