«Gott will es!»

Das folgende Kapitel ist den zwei Bänden "Denkwürdige Vergangenheit" entnommen.

 

Es war im Sommer 1095. Auf dem Kirchplatz einer kleinen Stadt Frankreichs sammelte sich eine erregte Menschenmenge. Man sprach von Jerusalem, von Misshandlung der christlichen Pilger durch die ungläubigen Türken, und man erwartete voll Ungeduld den Einsied­ler Peter von Amiens. Es hieß, ihm sei am Heiligen Grabe Christus erschienen und habe ihm befohlen, die ganze Christenheit zur Be­freiung des Heiligen Landes aufzurufen.

Schon in der Frühzeit des Christentums waren Gläubige nach Pa­lästina gepilgert, um im Gebet am Grabe des Heilandes Gewissheit ihrer Erlösung zu erlangen. Seit Kaiser Konstantin über der Grab­stätte eine Kirche errichtet hatte, war die Zahl der Pilger immer größer geworden, auch nach der Eroberung des Landes durch die Ara­ber. Doch seit die türkischen Seldschuken Landesherren waren, er­hob sich laute Klage über Beraubung und Misshandlung der Wall­fahrer. Peter von Amiens hatte beides selber erlebt und eine Bestäti­gung des Patriarchen von Jerusalem mitgebracht. Nun hatte ihn Papst Urban ausgesandt, den göttlichen Auftrag auszurichten.

Auf einem Esel ritt der seltsame Mann im Städtchen ein wie Jesus in Jerusalem. Er war barfuß, barhaupt, in bloße Lumpen gekleidet und trug ein großes Holzkreuz mit sich. Sein Leib war abgezehrt. Aber in seinen tiefliegenden Augen funkelte Feuerblick, und seine beschwörende Rede ging den Hörern zu Herzen.

Im Spätherbst desselben Jahres berief Papst Urban II. Bischöfe und Äbte zu einer großen Versammlung nach Clermont im Herzen Frankreichs. Neben einigen hundert Geistlichen bedeckte eine kaum übersehbare Volksmenge die weite Ebene. Und nun forderte der Papst selber Fürsten und Volk zum Krieg gegen die Türken auf. «Gott will es!» beteuerte er, gewährte den Teilnehmern Ablass aller Kirchenstrafen und verhieß ihnen, falls sie bußfertig im Kampfe fal­len sollten, Vergebung ihrer Sünden und ewiges Leben. Da riefen Tausende «Gott will es!», hefteten ein aus Tuch geschnittenes Kreuz auf die Brust und gelobten, unter diesem Zeichen bewaffnet aufzu­brechen, sobald die nächstjährige Ernte eingebracht sei.

Peter von Amiens wollte nicht so lange warten. Brennend vor Ungeduld ritt er auf seinem Esel durch die Lande und zog ganze Scharen Begeisterter hinter sich her. Religiöse Inbrunst vermischte sich mit Abenteuerlust. Hörige und leibeigene Bauern verließen den Pflug, um einmal die Freiheit zu kosten. Viele zogen aus mit Weib und Kind und allem Hausgerät wie zur Zeit der Völkerwanderung. Liederli­ches Gesindel folgte in Mengen. Fünf solch wilder Haufen bildeten sich, noch eh die Fürsten rüsteten, alle ohne rechte Waffen, ohne Pro­viant und Geld. Und sie begannen den Krieg schon in der Heimat: überfielen die Juden, beraubten sie und töteten viele mit der Begrün­dung, das seien ja auch Feinde Christi. Dann zogen sie bettelnd und plündernd ostwärts, der Donau entlang. Aber fast alle wurden schon unterwegs, in Ungarn, Bulgarien, Griechenland, erschlagen oder in die Flucht gejagt. Mit dem kleinen geretteten Rest erwartete Peter in Konstantinopel das Heer der Fürsten.