01 Tafel

In der Übersetzung von Prof. Dr. Albert Schott

Hier finden Sie das Epos in der Übersetzung von Prof. Dr. Albert Schott (1901-45) und andere interessante Dinge zu Gilgamesch. Schott entzifferte die Keilschrift der 12 Tontafeln. Seine Übersetzung gilt noch immer als die schönste.

 

Der alles gesehn hat überall, das Land regierte,
Der die Ferne kannte, Jegliches erfaßt hatte,
. . . er gleichermaßen;
Alles an Kenntnis der Dinge allzumal hatte Anu ihm bestimmt.
Verwahrtes auch sah er, Verborgenes erblickte er;
Hat Kunde gebracht von vor der Sintflut,
Fernen Weg befahren, war dabei matt einmal und wieder frisch,
Auf einen Denkstein hat er die ganze Mühsal gemeißelt.
Die Mauer um Uruk-Gart ließ er bauen,
Um das heil‘ge Eanna, den strahlenden Hort.

 

Sieh an seine Mauer, deren Friese wie Bronzeschalen scheinen!
Ihren Sockel beschau, dem niemands Werk gleicht!
Auch den Blendstein faß an - der seit Urzeiten da ist! -
Nahe dich Eanna, dem Wohnsitz Ischtars -
Das kein späterer König, kein Mensch ebenso machen kann!
Auch steig auf die Mauer von Uruk, geh fürbaß,
Prüfe die Gründung, besieh das Ziegelwerk!
Ob ihr Ziegelwerk nicht aus Backsteinen ist,
Ihren Grund nicht legten die sieben Weisen!
Ein Sar die Stadt, ein Sar die Palmgärten,
ein Sar die Flußniederung,
dazu der (heilige) Bereich des Ischtartempels:
Drei Sar und den (heiligen) Bereich von Uruk umschließt sie.

 

Sieh dir an die Urkundenkapsel aus Kupfer,
Nimm ab davon das Schloß aus Bronze!
Öffne die Tür vor seinem verborgenen Schatz,
Komm und lies gründlich die Lapislazuli-Tafel,
Die erzählt, wie er, Gilgamesch, durch alle Beschwernisse zog!
Überragend ist er weit voran den Königen, der
Ruhmreiche von schöner Gestalt,
Der heldenhafte Abkömmling von Uruk, der stößige Stier.
Er geht voran, ist der Allererste;
Er geht hinterher, ist die Stütze seiner Brüder,
Ein starkes Kampfnetz, der Schirm seines Heerbanns;
Eine wilde Wasserflut, die Steinmauern zerstört,
Sproß des Lugalbanda, Gilgamesch, der an Kräften Vollkommene,
Kind der erhabenen Kuh Rimat-Ninßun.

 

Der Wildstier Gilgamesch, der Vollkommene, Ehrfurchtgebietende,
Der da fand die Eingänge in das Gebirge,
Der dürstete nach den Zisternen am Rand des Steppenlandes.
Der die See überfuhr, das weite, zum Sonnenaufgang hin liegende Meer.
Der die Weltränder ins Auge faßte, überall das Leben suchend,
Der in seiner Stärke gelangte bis hin zum fernen Utnapischtim.
Der die Städte wiederherstellte, die die Sintflut vernichtet hatte.
Nicht ... für die umwölkten Menschen,
Der mit ihm verglichen werden könnte für das Königtum,
Der wie Gilgamesch sprechen könnte: »Ich bin der König!«

 

Gilgamesch, seit dem Tage, an dem er geboren wurde, ist sein Name herrlich.
Zwei Drittel an ihm sind Gott, ein Drittel nur Mensch.
Das Bild seines Leibes hat ihm die Mach ...
Sie bereitete seine Gestalt ...
. . . ist prächtig

 

[2 Zeilen fehlen]

 

In den Hürden von Uruk geht er einher,
Wilde Kraft setzt er ein gleich dem Wildstier, erhabenen Schrittes!
Keinen Nebenbuhler hat seiner Waffen Aufbruch!
Durch seine Trommel sind dauernd im Gang seine Gesellen.
Immer neu regten sich auf die Mannen von Uruk über willkürliches Tun.

»Nicht läßt Gilgamesch den Sohn zum Vater.
Am lichten Tag und bei Nacht bäumt er sich wild auf.
Gilgamesch ist der Hirte von Uruk-Gart,
Übermächtig, stattlich, kundig und weise!

 

Nicht läßt Gilgamesch die Jungfrau zum Geliebten,
Die Tochter des Helden, die Gemahlin des Mannen.«

Ihre Klage hörten so oft die großen Götter,
Die Götter des Himmels riefen Uruks Herrscher Anu:

»Schufest nicht du den trotzigen Wildstier?
Keinen Nebenbuhler hat seiner Waffen Aufbruch.
Durch die Trommel sind aufgestört seine Gesellen;

 

Nicht läßt Gilgamesch den Sohn zum Vater,
Am lichten Tag und bei Nacht trotzt er ganz wild!
Und er ist nun der Hirte von Uruk-Gart,
Er, ihr Hirte - und dennoch bedrückt er sie!
Übermächtig, stattlich, kundig und weise!

 

Nicht läßt Gilgamesch die Jungfrau zum Geliebten,
Die Tochter des Helden, die Gemahlin des Mannen.«

Ihre Klage hörte immer neu der erhabene Anu;
Aruru rief man, die große:

»Du, Aruru, hast geschaffen, was Anu befahl!
Nun erschaffe, was er befiehlt!
Dem des andern sei gleich dessen Herzensungestüm!
Wettstreiten sollen sie - Uruk erhole sich!«

 

Kaum daß Aruru dieses hörte,
Schuf sie sich im Herzen, was Anu befahl;
Aruru wusch sich die Hände,
Kniff sich Lehm ab, warf ihn draußen hin.
Enkidu, den gewaltigen, schuf sie, einen Helden,
Einen Sprößling der Nachtstille, mit Kraft beschenkt von Ninurta
Mit Haaren bepelzt am ganzen Leibe;
Mit Haupthaar versehen wie ein Weib:
Das wallende Haupthaar, ihm wächst‘s wie der Nisaba!
Auch kennt er nicht Land noch Leute:
Bekleidet ist er wie Sumukan!
So verzehrt er auch mit den Gazellen das Gras,
Drängt er hin mit dem Wilde zur Tränke,
Ward wohl seinem Herzen am Wasser mit dem Getier.

 

Auf ihn nun stieß gegenüber der Tränke
Ein Jäger, ein gewalttät‘ger Mensch:
Einen ersten Tag, einen zweiten und dritten
Stieß er auf ihn gegenüber der Tränke.
Da ihn sah der Jäger, ward reglos sein Antlitz;
Er trat mit seinen Tieren in sein Haus,
Geriet in Erregung, wurde starr und stumm,
Verstört war sein Herz, sein Antlitz umwölkt;
In seinem Gemüt hielt Einzug der Harm,
Einem Wandrer ferner Wege war gleich sein Antlitz.

 

Der Jäger tat zum Reden den Mund auf
Und sprach zu seinem Vater:

»Mein Vater, ein Mann, der vom Steppenland gekommen -
Der Stärkste im Land ist er, Kraft hat er,
Gleich der Feste des Anu gewaltig ist seine Stärke -
Er streift im Steppenland beständig umher,
Beständig frißt mit dem Wild er das Gras,
Beständig weilt sein Fuß gegenüber der Tränke;
Ich vermochte ihm nicht zu nahen vor Furcht.
Die ich auswarf, die Gruben, er füllte sie an!
Die Flügelnetze, die ich spannte, riß er heraus,
Ließ entrinnen meinen Händen das Wild, der Steppe Getier!
Nicht gibt er zu mein Tun in der Steppe!«

 

Sein Vater tat zum Reden den Mund auf
Und sprach zum Jäger:

»Wisse, mein Sohn, in Uruk wohnt Gilgamesch,
Niemand gibt es, der ihn übermochte,
Gleich der Feste des Anu gewaltig ist seine Stärke.
Auf ihn, den König, richte dein Antlitz,
Ihm bring die Kunde vom Gewalt-Menschen!
Eine Schamkat leih‘ er dir! Führ sie zur Steppe!
Mag das Weib dort bewält'gen den Mann wie ein Starker!
Wann denn das Wild herankommt zur Tränke,
Dann werfe sie ab ihr Kleid, er schwelge in ihrer Lust!
Sieht er sie erst, so wird er ihr nahn:
Doch sein Wild wird ihm untreu, das aufwuchs mit ihm in der Steppe.«

 

Auf den Rat seines Vaters brach er auf,
Ging der Jäger fürbaß zu Gilgamesch,
Nahm den Weg, stand still inmitten von Uruk:

»Höre mich, Gilgamesch, rate mir auch!
Ein Mann, der vom Steppenland gekommen -
Der Stärkste im Land ist er, Kraft hat er,
Gleich der Feste des Anu gewaltig ist seine Stärke -
Er streift im Steppenland beständig umher,
Beständig frißt mit dem Wild er das Gras,
Beständig weilt sein Fuß gegenüber der Tränke;
Ich vermochte ihm nicht zu nahen vor Furcht.
Die ich auswarf, die Gruben, er füllte sie an!
Die Flügelnetze, die ich spannte, riß er heraus,
Ließ entrinnen meinen Händen das Wild, der Steppe Getier!
Nicht gibt er zu mein Tun in der Steppe!«

 

Gilgamesch sprach zu ihm, zum Jäger:

»Geh, führ, o Jäger, mit dir
Die Priesterin nun, die Schamkat!
Wann denn das Wild herankommt zur Tränke,
Dann werfe sie ab ihr Kleid, sie enthüll‘ ihre Wollust!
Sieht er sie erst, so wird er ihr nahn:
Doch sein Wild wird ihm untreu, das aufwuchs mit ihm in der Steppe.«

 

Es ging der Jäger, führend
Die Priesterin mit sich, die Schamkat;
Sie nahmen den Weg, wählten die rechte Straße.
Am dritten Tag langten sie an am Ort der Bestimmung.
In ihr Versteck setzten der Jäger sich und die Schamkat.
Den ersten Tag, den zweiten Tag setzten sie sich gegenüber der Tränke.
Es kam das Wild und trank an der Tränke,
Es kam das Getier, fand sein Wohlsein am Wasser.
Aber Enkidu, der dem Steppenland entsprossen ist,
Er verzehrt auch mit den Gazellen das Gras,
Trinkt mit dem Wild an der Tränke,
Ward wohl seinem Herzen am Wasser mit dem Getier.
Ihn sah die Schamkat, den Wildmenschen,
Den würgerischen Menschen aus dem Innern der Steppe.

 

»Dies ist er, Schamkat! mach frei deine Brust,
Deinen Schoß tu auf, daß deine Fülle er nehme!
Scheue dich nicht, nimm hin seinen Atemstoß!
Sieht er dich erst, so wird er dir nahn.
Dein Gewand entbreite, daß auf dir er sich bette,
Schaff ihm, dem Wildmenschen, das Werk des Weibes:
Dann wird sein Wild ihm untreu, das aufwuchs mit ihm in der Steppe;
Sein Liebesspiel wird er über dir raunen!«

 

Ihren Busen machte die Schamkat frei,
Tat auf ihren Schoß, er nahm ihre Fülle,
Sie scheute sich nicht, nahm hin seinen Atemstoß,
Entbreitet‘ ihr Gewand, daß auf ihr er sich bettete,
Schaffte ihm, dem Wildmenschen, das Werk des Weibes -
Sein Liebesspiel raunte er über ihr.

 

Sechs Tage und sieben Nächte war Enkidu auf,
Daß er die Schamkat beschlief.
Als er von ihrem Genusse satt war,
Richtet‘ er sein Antlitz hin auf sein Wild:
Da sie ihn, Enkidu, sahen,
Sprangen auf und davon die Gazellen,
Wich von seinem Leibe das Wild der Steppe.
Anspringen ließ Enkidu seinen gereinigten Leib,
Doch ihm versagten die Knie, da hinwegging sein Wild.
Gehemmt wurde Enkidu, seines Laufens ist nicht wie zuvor.

 

Er aber wuchs, ward weiten Sinnes,
Kehrte um und setzte sich zu Füßen der Schamkat,
Ihr ins Antlitz schauend, der Schamkat;
Der Priesterin, wie sie redet, hören zu seine Ohren.

 

Die Schamkat sprach zu ihm, zu Enkidu:

»Weise bist du, Enkidu, bist wie ein Gott!
Warum läufst du in die Steppe mit dem Getier?
Komm, ich führ dich hinein nach Uruk-Gart,
Zum strahlenden Tempel, dem Wohnsitz von Anu und Ischtar!
Wo Gilgamesch ist, vollkommen an Stärke,
Und wie ein Wildstier seine überragende Kraft erprobt an den Mannen!«

 

Da zu ihm sie gesprochen, fand Beifall ihre Rede:
Der Kluggesinnte sucht einen Freund.
Enkidu sprach zu ihr, zur Schamkat:

»Komm, Schamkat, lade du mich ein!
Zum strahlenden Tempel, dem Wohnsitz von Anu und Ischtar,
Wo Gilgamesch ist, vollkommen an Stärke,
Und wie ein Wildstier seine überragende Kraft erprobt an den Mannen!
Ich, ja ich will ihm die Fehde ansagen, heftig tobe der Kampf!
Rühmen will ich mich in Uruk: „Der Starke bin ich!"
Zieh ich ein, so ändre ich die Geschicke!
Der geboren in der Steppe - er hat ja Kräfte!« -

 

»Komm, laß uns gehn, mag er sehen dein Antlitz;
Ich zeig Gilgamesch dir! Wo er ist, weiß ich wohl:
Schau hin inmitten von Uruk-Gart, Enkidu,
Zu den Männern, herrlich mit Gürteln angetan!
Täglich wird dort ein Fest gefeiert
Wo erdröhnen man läßt die Trommeln,
Und Schamkats da sind, geschaffen, wie‘s ihnen ansteht,
Überreich an Fülle, sind sie voll Jauchzens.
Aufs Nachtlager sind gebreitet die großen Decken.
Enkidu, dir, der du das Leben nicht kennst,
Will ich Gilgamesch zeigen, den so ungleich Gestimmten!
Sieh ihn, schau auf sein Angesicht:
An Männlichkeit schön ist er, Würde hat er,
An Fülle überreich an seinem ganzen Leibe;
Stärke, gewalt‘gere, hat er denn du,
Ohne Ruhe bei Tag und bei Nacht.

 

Enkidu, gib deine Unart auf! Gilgamesch - Schamasch hat Lieb‘ ihm erzeigt,
Anu, Enlil und Ea den Sinn ihm geweitet:
Ehe aus der Steppe du gekommen,
Sah Gilgamesch Träume von dir in Uruk:
Auf stand Gilgamesch, erzählt‘ den Traum,
Und sprach zu seiner Mutter:

„O Mutter, im Traum meiner letzten Nacht
Ging ich kraftgeschwellt fürbaß unter den Mannen;
Da sammelten sich um mich die Sterne des Himmels -
Die Waffe des Anu stürzte auf mich herab;
Heben wollt‘ ich‘s, da war sie mir zu schwer,
Bewegen wollt‘ ich‘s und konnt‘s nicht bewegen!
Uruk-Land sammelte sich herzu,
Die Mannen küßten die Füße ihm;
Da lehnt‘ ich mich dagegen, sie standen mir bei,
Ich hob sie auf und trug‘s hin zu dir."

 

Gilgameschs Mutter, der alles kund ist, sprach zu Gilgamesch:

„Vielleicht, Gilgamesch, wurde einer wie du
In der Steppe geboren,
Heranwachsen ließ ihn das Steppenland -
Siehst du ihn, so wirst du Freude haben;
Die Mannen küssen die Füße ihm!
Du wirst ihn umarmen, ihn zu mir führen!
Der starke Enkidu ist‘s,
Ein Gesell, der dem Freund aus der Not hilft!
Der Stärkste im Land ist er, Kraft hat er,
Gleich der Feste des Anu gewaltig ist seine Stärke!
Wie über einem Weib hast du über ihm geraunt,
... er aber wird dich immer wieder erretten."

 

Er legte sich schlafen und sah einen anderen Traum;
Stand dann auf, sprach zu seiner Mutter:

„O Mutter, ich sah einen anderen Traum;
Ich schaute ein ... auf der Straße von Uruk-Markt.
Eine Axt lag plötzlich da
Versammelt war man über ihr.
Diese Axt sah unheimlich aus!
Da nun ich sie erblickte, wurde ich froh,
Gewann sie lieb; wie über einem Weib
Raune ich über ihr.
Ich nahm sie und legte an meine Seite sie an."

 

Die Mutter Gilgameschs, die weise, alles Wissens kundig,
Sprach zu ihrem Sohn,
Rimat-Ninßun, die weise, alles Wissens kundig,
Sprach zu Gilgamesch:

„Die Axt, die du sahst, ist ein Mann!
Du gewannst ihn lieb, wie über einem Weib wirst du über ihm raunen,
Und ich werde ihn mit dir gleichstellen.
Er wird zu dir kommen,
Der Gesell, der dem Freund aus der Not hilft!
Im Lande ist er stark, übt Gewalt,
Gleich der Feste des Anu gewaltig ist seine Stärke!"

 

Nochmals sprach Gilgamesch zu seiner Mutter:

„Auf Befehl des großen Beraters Enlil möge es eintreffen:
Möcht‘ einen Freund ich gewinnen, einen Berater.
Gewinnen möcht‘ einen Freund ich als Berater!
Du deutetest mir die Träume von ihm!"«