Jungfrau Kuh

Im heiteren Frühsommerwind
stand auf der Weide brav ein Rind,
ein weibliches, jedoch erst halb
erwachsen, nicht Kuh und nicht Kalb.
Der Landmann nennt dies eine Färse.
Ich rief ihr zu, ne Schönheit wär se.
Das Kompliment fand sie charmant
und kam zum Weidezaun gerannt.

Vier Drähte trennten nur uns beide,
das junge Rind auf seiner Weide
und mich, der dicht am Wiesenrand
auf des Zauns andrer Seite stand.
Die Szenerie war höchst erbaulich.
Die Jungfrau Kuh begann zutraulich
an meinem Jackenknopf zu knabbern
und meinen Ärmel zu beschlabbern.

Als ich sie kraulte unterm Kinn,
war sie vor Wonne völlig hin.
Sie schloss die Augen voll Behagen
und schnupperte an meinem Kragen.
Ich fand das Tête-à-tête ergötzlich.
Doch dann fuhr mir das Jungtier plötzlich
mit warmer Zunge durchs Gesicht.
So nasse Küsse mag ich nicht,

weshalb ich mir das barsch verbat
und rasch meinen Rückzug antrat.
Die Färse sah mich fragend an,
hob ihren Schwanz anklagend dann,
wobei sie sich entledigt hat
einer Substanz ähnlich Spinat.
Brüsk hat sie sich von mir gewendet
und unser kurzes Glück beendet.

Deutlich gab sie mir zu verstehn:
"Mit meinen Kuhaugen gesehn,
gehört zu einem Flirt Mensch - Kuh
ein feuchter Kuss einfach dazu."
Oft endet Liebe vor der Zeit,
weil in Bezug auf Zärtlichkeit
die Partner andrer Meinung sind.
(Das gilt beim Menschen wie beim Rind.)


Karl-Otto Kaminski

Ihr Kommentar