Daniel Tammett

Die heutige Wissenschaft kann nicht erklären, wie ein Mensch solche gewaltigen Gedächtnisleistungen und Rechengeschwindigkeiten bewältigen kann. Mit der Anthroposophie lässt sich jedoch dieses Phänomen in die Bewusstseinsentwicklung der Menschheit einordnen.

Daniel, 1979 geboren, ist als eines von neun Kindern in London aufgewachsen. Schon mit vier Jahren war er im Stande komplizierte Rechenaufgaben zu lösen. „Als sehr kleines Kind hatte ich einen Krampfanfall, es folgten weitere Anfälle, die Diagnose lautete Epilepsie. Genau ab diesem Zeitpunkt hatte ich Bilder im Kopf. Es bildeten sich Figuren.“ Damals begann Daniel auch Zahlen als Formen wahrzunehmen. „Für mich waren Zahlen immer das Realste überhaupt. Ich war fünf als ich anfing durch Zahlen hindurchzusehen. Zahlen sind wie Linsen, durch die ich die Welt hindurchsehe. Ich werde immer Zahlen zählen. Ich werde etwas ansehen und sagen: Das sieht aus wie 131. Das sieht aus wie 52.“

Pi ist der Kreisumfang geteilt durch seinen Durchmesser. Es ist eine Zahl ohne irgendein Muster und sie scheint unendlich zu sein. Daniel Tammett ist in der Lage die ersten 22.500 Dezimalstellen hinter dem Komma fehlerlos auswendig aufsagen. Er brauchte dafür 5 Stunden und 9 Minuten.

Weltweit gibt es nur etwa fünfzig Menschen - Savants genannt – mit ähnlich verblüffenden Begabungen. Savants sind Genies – Genies in einem Teilbereich. Diese Inselbegabten vollbringen außergewöhnliche Leistungen auf musikalischem, sprachlichem oder mathematischem Gebiet. Zumeist sind sie Autisten oder haben eine andere Hirnschädigung. Aus diesem Grund fiel es Wissenschaftlern bisher schwer, das Phänomen "Hirnathletik" genauer zu untersuchen. Bei Daniel Tammett ist das anders: Er kann beschreiben, was in seinem Kopf vorgeht und mit unterschiedlichen Experten in einen Dialog treten.

Daniel sagt, er mache seine Rechnungen nicht bewusst. Vielmehr ergeben sich die Lösungen wie von selbst. „In meiner Vorstellung bilden Zahlenreihen ganze Landschaften. Es passiert einfach so, es ist wie eine vierte Dimension. Die Eins erscheint sehr hell und leuchtend, als würde jemand ein Blitzlicht direkt auf mein Gesicht halten. Die Zwei ist wie eine Bewegung von rechts nach links, eine Bewegung, die mit dem Strom fließt. Fünf ist wie ein Donner oder wie die Brandung, die gegen einen Felsen schlägt. Sechs ist sehr klein. Sie ist die Zahl, die für mich bildlich am wenigsten bedeutungsvoll ist. Daher stellt für mich die Sechs eher die Abwesenheit von etwas für mich da. Sie ist wie ein Abgrund oder wie ein schwarzes Loch. Die Neun ist die größte Zahl. Sie kann einschüchternd sein.“

1034 mal 5673 ist gleich 5.865.882. Daniel rechnet diese Aufgabe in wenigen Augenblicken im Kopf. Darüber sagt er: „Ich habe ein Bild im Kopf. Dieses Bild verändert sich, es entwickelt sich weiter. Am Anfang ist es sehr unscharf und mit der Zeit ist es immer deutlicher zu erkennen. Und dann ist es so scharf, dass ich die Zahlen von dieser Landschaft ablesen kann. Bei einer Multiplikation schweben die zwei Zahlen in klar erkennbaren Formen vor mir. Der Abstand zwischen ihnen bildet eine dritte Form, die ich als die richtige Lösung wahrnehme.“ Daniel sagt, für ihn habe jede Zahl bis 10.000 eine klar erkennbare Form

Sein schier unerschöpfliches Gedächtnis ermöglicht es ihm, neun Sprachen fließend zu sprechen. Auf sprachlicher Ebene wird Daniel Tammett von Emil Krebs weit überboten. Der deutsche Sinologe beschäftigte sich bis zu seinem Tod im Jahre 1930 mit 120 Sprachen, von denen er 68 perfekt in Wort und Schrift beherrschte. Und: Krebs war kein Savant.

Auf ein ähnlich begabtes Genie geht der 1988 erschienene amerikanische Film "Rain Man" zurück. Der im Film von Dustin Hoffman gespielte Autist Raymond basiert auf dem realen Kim Peek. Der US-amerikanische Inselbegabte kann für jede amerikanische Stadt die Postleitzahl und Telefonvorwahl benennen und nebenbei noch Auskunft geben, auf welchem Highway man da hinkommt. Eigenen Angaben zufolge kennt er zudem den Inhalt von 12.000 Büchern nahezu auswendig. Peek hat die Fähigkeit, zwei Seiten gleichzeitig zu lesen – eine pro Auge.

Nicht nur die Begabungen einiger Savants sind unglaublich, sondern auch die Art und Weise, wie einige Inselbegabte ihre Fähigkeiten erlangten. Die meisten Savants sind von Geburt an musikalische, mathematische oder sprachliche Genies. Doch ein kleiner Teil der etwa 50 bekannten Savants erlangte erst durch Vorfälle im Kindesalter außergewöhnliche Begabungen.

Orlando Serrell zum Beispiel: Der US-Amerikaner galt als normal begabter Junge mit einer Vorliebe für Sport, bis ihn im Sommer 1979 ein Baseball am Kopf traf. Nach kurzer Bewusstlosigkeit stand Serrell auf, spielte weiter und berichtete weder seinen Eltern noch einem Arzt von den heftigen Kopfschmerzen, die ihn seit diesem Vorfall plagten. Serrell machte sich auch selbst keine allzu großen Sorgen und war sich sicher, dass die Kopfschmerzen verschwinden würden – was tatsächlich eintraf. Allerdings merkte der Junge auch, dass er seit dem Vorfall auf dem Baseballfeld keine einzige Sekunde seines Lebens mehr vergessen hatte – nicht einmal das Wetter der letzten Wochen. Er kann bis heute jede Minute seines Lebens seit seinem Unfall wiedergeben.

Auch auf dem Gebiet der bildenden Kunst gibt es Savants mit verblüffenden Fähigkeiten. Stephen Wiltshire, auch "die lebende Kamera" genannt, ist in der Lage, ein Objekt nach einmaliger Betrachtung detailgetreu als Zeichnung auf dem Papier wiederzugeben. Allerdings reden wir hier in größeren Maßstäben, als man sich vorstellen kann – nach nur einem Hubschrauberflug über die Stadt fertigte Wiltshire ein komplettes Stadtbild von London an. Das gleiche wiederholte er nach Hubschrauberflügen über Hongkong, Frankfurt am Main und Rom.

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