Individualität und Gemeinschaft
Ein Beitrag von Peter Kujer (Lehrer an der Michael Bauer Schule in Stuttgart)
Bericht über ein fächerübergreifendes und jahrgangsübergreifendes Projekt aus dem Oberstufenunterricht an der Michael Bauer Schule in Stuttgart.
Peter Tschachotin, unser ehemaliger Buchbindelehrer, hatte die Idee, ein fächerübergreifendes Projekt über drei Jahrgangsstufen in den Fächern Deutsch, Kunst und Buchbinden durchzuführen.
Im Deutschunterricht der 10. Klasse von Dr. Valentin Wember schrieben die Schüler während der Poetik-Epoche eigene Gedichte. Durch die eigene poetische Tätigkeit, so ein Grundgedanke, sollten die Schüler zu einem lebendigen Verständnis der poetischen Gesetzmäßigkeiten und zu einem künstlerischen Auffassen von Gedichten kommen. Bearbeitet wurden unterschiedliche Themen wie Jahreszeiten, Freiheit, aber auch sehr expressive Themen z. B. "Gott ist tot".
Im Kunstunterricht der 11.Klasse von Peter Kujer wurden zunächst die unterschiedlichen Techniken der Druckgraphik besprochen, diese eingeführt und grundlegende Übungen dazu gemacht. Im zweiten Teil der Kunstepoche war die Aufgabenstellung, zu den im Jahr zuvor entstandenen Gedichten - entweder zu einem eigenen oder zu Gedichten der Klassenkameraden - eine Illustration zu gestalten. Neben den Druckgrafiken entstanden auch Zeichnungen.
In der Buchbindeepoche der 12. Klasse von Peter Tschachotin wurden Layout, Druck und individuelle Gestaltung ausgearbeitet. Jeder Schüler stellte aus dem vorhandenen Material ein fadengebundenes Buch her: sein Exemplar! In diesem Buch wurde von je einem Schüler eine Doppelseite gestaltet, auf der einen Seite ein Gedicht und auf der gegenüberliegenden Seite die dazu gehörende Illustration.
Das Fazit: Am Ende dieser drei Epochen hielt jeder Schüler ein Exemplar seines gebundenen Buches in den Händen, das inhaltlich sowohl die Klassengemeinschaft als Ganzes als auch die Individualität jedes einzelnen Schülers erscheinen lässt. Individualität und Gemeinschaft werden sichtbar. Die Schüler konnten die Erfahrung machen, dass die Klassengemeinschaft, maßgeblich die Entwicklung des Einzelnen unterstützte. Eine Erkenntnis die jedem Schüler möglichst häufig zu Teil werden sollte.
Insgesamt war sowohl der Verlauf des Projektes als auch das Ergebnis für alle Beteiligten eine ganz besondere und auf allen Ebenen sehr bereichernde Erfahrung.
An dieser Stelle nochmals einen großen Dank an Peter Tschachotin für seine Initativkraft.
Nachfolgend sind einige Bild- und Textbeispiele aus den Büchern abgedruckt.
Kerze
Eine Kerze im Nichts, sie steht dort und brennt
und wirft leise und schimmernd ihr Licht.
Kein Windhauch, kein Nichts,
nur die Kerze mit ihrem Licht,
wie sie brennt und licht spendet im
Nichts.
Friedemann
Die Sonne scheint.
Es ist warm.
Ich gehe durch die Straßen.
Jeder denkt an sich.
Und ich friere.
Kristina
Gott ist tot. Er wurde von einem zu schnell fahrenden Auto erfasst.
Gott ist tot. Er wurde von einer Mine zerfetzt.
Gott ist tot. Ein Atomkraftwerk hat Ihn verstrahlt.
Gott ist tot. Er ist elend verhungert.
Gott ist tot. Niemand behandelte Ihn, weil er arm war.
Gott ist tot. Er ist verbrannt, während andere geklatscht haben.
Gott ist tot. Er starb an Hautkrebs.
Gott ist tot. Er war gefoltert worden.
Gott ist tot. Wir haben Ihn ermordet. Und haben es nicht gemerkt.
Benjamin
Kopf hoch
Hey, wach auf, Du lebst.
Nein, Du bist keine Maschine,
Du hast Gefühle,
lebe sie aus,
egal wie Du dabei ankommst.
Du hast soviele Möglichkeiten
hinter der schwarzen Mauer,
die du gerade siehst!
Hey, Kopf hoch,
Du lebst nicht, um zu sterben.
Amelie
Vor dem Spiegel
Sie stand da und starrte in ihn.
Dort in seinem Innern sah sie, was sie
sonst nirgends zusehen bekam - Sich selbst!
Sich selbst, wie sie lachte, weinte, Grimassen machte.
Doch eines konnte selbst er ihr nicht zeigen.
Wie sah es in ihrem Innern aus?
War sie wirklich traurig, lustig?
Diese Frage konnte ihr niemand beantworten.
Nur - sie selbst.
Laura