Parcours beim Lindwurm

Ein Beitrag von Benjamin Weiß (Lehrer, Redakteur „Pusteblume“, Schulzeitung der Freien Waldorfschule Everswinkel)

Erst- und Zweitklässler begehen Michaeli

In der Drachenhöhle erstreckt sich ein Labyrinth aus schroffen Felsen, Geröll und Objekten. Dunkelrot hineinfallendes Licht wirft tiefe Schatten: Schwarz sitzen sie in den Nischen, hinter steilen Kanten, lauern in einem Tunnel. Es ist laut, es ist stickig, der Blick reicht kaum ein paar Meter weit. Hunderte Beine sind in Bewegung, klettern, springen, balancieren. Mutig von den Klippen hinab, über Stämme und Gruben bahnen sich die Tapferen den Weg. Immer in Erwartung der Bestie. Schon rauschen ihre Schwingen, schon bebt die Erde unter ihren Tritten, stoßen brüllende Flammen aus ihrem Rachen …

Montag, 29. September. Die Reckinnen und Recken der ersten und zweiten Klasse wagen sich in eben jene Höhle hinein. Eigentlich sollte hier Licht sein, schließlich ist es ein Ort, an dem eurythmische Figuren gelaufen und getanzt werden. Doch das ist jetzt vorbei, denn der Drache hat diesen Raum in Beschlag genommen. Genau zu Michaeli. Tag des Erzengels Michael, der dem mutigen Georg zur Seite stand, als dieser gegen die Bestie kämpfte. Wie einst Georg betreten nun die Kinder das Reich der schrecklichen Kreatur. Bei ihnen sind ihre Patinnen und Paten und reichen ihnen helfend die Hände. So bahnen sie sich gemeinsam ihren Weg durch dieses düstere Labyrinth aus Bänken, Stühlen und Kisten, bis Klassenlehrer Birk Mylius als Erzähler und zwei Neuntklässlerinnen als Drache und Heldin hervortreten. Die Geschichte entfaltet sich vor den gebannt Zuschauenden …

Wen stört es da, dass die Illusion theatertechnisch nicht perfekt ist?  Dass der „Drache“ mit nichts weiter in Szene gesetzt wird als mit ein paar über Kopf und Rücken gelegten Decken? Dass das Feuerlicht in Wahrheit nur von den roten Vorhängen herrührt, durch die das Morgenlicht fällt? Wer sich einem Drachen stellt, so wird deutlich, muss sich vor allem der eigenen Angst stellen. Natürlich geht es am Ende gut aus. Heldin und Drache kämpfen zunächst, dann aber besänftigt sie die wutschnaubende Kreatur und erlöst sie von ihrem Hass – ihrer inneren Dunkelheit. So können alle die Höhle wohlbehalten verlassen und zum Pausenfrühstück übergehen. Gut gemacht, ihr Mutigen!

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