Die Geschichte vom Wassertropfen

Andreas Lillig (Integrative Waldorfschule Emmendingen)

Der Wassertropfen lebte schon eine Weile mit seinen vielen Freunden auf engstem Raume in der Wolke. Allmählich wurde es aber so eng und ungemütlich, dass die Wolke beschloss, ihre Tore zu öffnen und es regnen zu lassen. „Ihr lieben Tröpfchen",sprach sie, „nun ist es Zeit für euch, eure Aufgabe zu erfüllen und mich zu verlassen. Ich selbst werde weiterziehen und unbeschwert meine Reise am Himmel fortsetzen, lebet wohl!"

Das Wassertröpfchen sprang unversehens mit all den anderen in die Tiefe und wurde alsbald vom Wind fortgetragen. Rasch ging es nun über Berge und Täler, über Wiesen und Felder, immer weiter dem Erdboden entgegen. Schon hatten sich andere Tröpfchen zu ihm gesellt und vereinigten sich zu einer munteren Schar.
Da, auf einmal hatten sie die dunklen Klüfte eines gewaltigen Berges erreicht und stürzten sich durch Spalten und Ritzen in das Innere, um alsbald jauchzend und sprudelnd als Quelle wieder ans Licht zu gelangen. Von da an ging die Reise mit unzähligen Tropfen weiter, zunächst als feines Rinnsal, dann bald schon als Bächlein, das sich seinen Weg in das Tal bahnte.

Der Wassertropfen spielte unterwegs mit den Blumen am Uferrand und erfuhr von ihnen, dass schon bald der Bach so kräftig werden sollte, um ein Mühlrad anzutreiben. Was war das für ein Plätschern und Rauschen, als es durch die Schaufeln des Rades sprang! Und immer größer und immer tiefer wurde der Bach, der nun zum Fluss geworden war. An seinen belebten Ufern grasten die Kühe, bauten die Menschen ihre Häuser und Straßen und der Wassertropfen sah schließlich zum ersten Male in seinem Leben große Schiffe, die schwere Lasten trugen.

Immer weiter ging die Reise und der Wassertropfen hatte schon viele Abenteuer unterwegs erlebt, bevor er auf einmal einen salzigen Geschmack spürte und auch nur noch Wasser um sich herum sah. Da war kein Ufer mehr, keine Blumen und keine Kühe. Er war im Meer angekommen. So viele Wassertropfen um ihn herum, aus allen Richtungen und von unzähligen Wolken herangetragen, dass er nur noch staunen konnte.

Doch die Reise sollte noch nicht zu Ende sein, denn am nächsten Tag um die Mittagszeit, riefen ihn die warmen Sonnenstrahlen zu sich und trugen ihn zum Himmel empor. „Die Wolken wollen mit euch weiterwandern, kommt mit uns !", riefen sie. Der Wassertropfen freute sich, wieder zurück in seine alte Heimat am Himmel zu gelangen und von dort aus neue Abenteuer zu erleben auf seiner ewig wechselnden Reise.

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