Ägypten - ein kurzer Überblick (2)

Entnommen aus dem Buch: „Der Mensch und sein Tempel“ von Frank Teichmann.

EIN GESCHENK DES NILS

Ägypten ist ein Geschenk des Nils. Alljährlich einmal steigen seine Wasser, überfluten das Land, lagern den fruchtbaren Schlamm ab und laufen langsam wieder ab. So weit seine Überschwemmung reicht, so weit reicht der bebaubare Boden, der die Grundlage des üppigen Wachstums im Niltal abgibt. Aber rechts und links von diesem schmalen Streifen Fruchtland, der an keiner Stelle mehr als 25 km breit ist, dehnen sich endlose Wüsten. Im Osten die Arabische Wüste, deren kahle, Gebirge sich bis über 2000 m Höhe erheben, im Westen die Libysche Wüste, die im Süden gebirgig und felsig, im Norden eher flach und sandig ist. Nördlich von Memphis (dem heutigen Kairo) teilt sich der Nil in mehrere Mündungsarme und bildet das gegen das Meer zu breiter werdende Delta. Weil die Deltalandschaft - Flachland mit undurchdringlichen Sümpfen - in ihrem Charakter anders ist als das übrige Niltal mit seinen Wüstenrandgebirgen, unterscheidet der Ägypter auch zwei Landesteile, Unter- und Oberägypten.

Da das offene Meer für den alten Ägypter auch eine Grenze darstellt, die zu überqueren er nicht wagte, ist die geographische Lage Ägyptens durch eine fast totale Isolierung von seiner weiteren Umwelt gekennzeichnet. Die unermesslichen Weiten der Wüstenöden erlauben nur spärliche Kontakte zu fremden Kulturen und bedingen geradezu eine eigenständige Entwicklung. Diese wird auch noch dadurch erleichtert, dass der Nil als natürlicher Verkehrsweg fast alle Orte Ägyptens miteinander verbindet und so die Voraussetzung für ein einheitlich organisiertes Staatswesen ist.

 

IN KÜRZESTER ZEIT

Aber trotz der Einheitlichkeit dieses geographischen Raumes, in welchem schon seit frühesten Zeiten Menschen leben, gibt es während der ganzen vorgeschichtlichen Zeiten immer nur verhältnismäßig kleinräumige Kulturen. Seit dem 5. Jahrtausend lassen sie sich, vor allem durch die Verschiedenartigkeit ihrer Keramik, deutlich voneinander abgrenzen. Sie gehören zu den Ackerbau- und Viehzüchterkulturen, die sich damals schon über weite Gebiete der Erde ausgebreitet hatten. Aber nichts deutet daraufhin, dass Ägypten irgendeine besondere Rolle in dem Reigen dieser Kulturen gespielt hätte. Das wird völlig anders, als um 3000 vor Christus, fast unvorbereitet, die eigentliche »ägyptische Kultur« in das Licht der Geschichte tritt. Innerhalb weniger Jahre werden alle wesentlichen Schritte vollzogen, die das Land aus dem Zustand der Vorgeschichte in den einer Hochkultur überleiten: Das Land wird geeint und streng durchorganisiert- und dadurch das erste Staatswesen der Weltgeschichte geschaffen - der Kalender wird eingeführt und dadurch die Zeitrechnung ermöglicht; die Schrift wird erfunden und dazu verwendet, geschichtliche Taten festzuhalten; und schließlich werden die Prinzipien der bildnerischen Künste entwickelt und ein Proportionskanon gegeben, der für die weitere Kunstentwicklung bestimmend bleibt. Als Schöpfer aller dieser Kulturtaten verehrten die Ägypter später ihren ersten Gottkönig: Menes. Mit ihm beginnt die ägyptische Hochkultur. Sie entstand also nicht durch einen sich langsam entwickelnden Prozess, sondern durch eine Schöpfertat eines halbgöttlichen Wesens. Unter der Führerschaft von Priesterkönigen erlebt das Land dann drei große Blütezeiten. Sie werden gewöhnlich die drei »Reiche« genannt.

 

DIE REICHE

das Alte Reich 2700-2200 v. Chr.
das Mittlere Reich 2000-1800 v. Chr.
das Neue Reich 1600-1100 v. Chr.

Zwischen diesen Blütezeiten gibt es jeweils Phasen des Verfalls und des Wiederaufbaus der Kultur, die dadurch immer wieder neu begründet werden musste. Jedes dieser drei Reiche zeichnet sich daher auch, und das ist für unser Thema bedeutsam, durch einen anderen Bauimpuls aus.

 

BAUIMPULSE

Am Beginn des Alten Reiches lebte König Djoser mit seinem weisen Ratgeber Imhotep, der »den Steinbau eröffnete«. Er schuf die erste Pyramide. Damit wurde Ägypten der Weg in die Zukunft gewiesen, denn die erste Pyramide war zugleich der erste große Steinbau der Weltgeschichte. Seinen Höhepunkt erreichte dieser Bauimpuls schon 60 Jahre später unter den Pharaonen Cheops und Chefren, als die riesigen Pyramidenanlagen von Giseh entstanden. Alle nachfolgenden Pyramiden waren dann zwar kleiner, aber deren Errichtung wurde noch von allen Königen des Alten Reiches als notwendig erachtet.

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