Die Cäsaren erzwangen sich die Einweihung in den Mysterien

Das römische Cäsarentum steht für die weltgeschichtliche grandiose Tragödie der Ich-Entwicklung. Die ganze römische Geschichte ist Entwicklung des Ich, des Ego, des niederen menschlichen Ich als einer notwenigen Stufe. Bis zu einem gewissen Punkt hatte sie ihre volle Berechtigung. Wird aber dieses Ego unverwandelt gelassen und so, wie es ist, zu höchster Übersteigerung getrieben, verkehrt es sich in sein Gegenteil. Rudolf Steiner zeigt dies an den Kaisern Caligula und Nero.

 

Aus der GA 175, 12. Vortrag

[...] Ja, notwendig war es in der vorchristlichen Zeit gewisse Menschen einzuweihen. In den allerältesten Zeiten war das ja eine atavistische Erkenntnis aller Menschen, nur in späteren Zeiten, als die atavistische Erkenntnis zurückgegangen war, war es notwendig, einzelne einzuweihen. Es war also notwendig, die einzelnen Menschen einzuweihen in die Geheimnisse der äußeren Natur, des mineralischen, des pflanzlichen Reiches, um den Menschen zu sehen, um zu sehen, was er eigentlich ist. Ebenso wird es notwendig in unserer Zeit, wiederum auf seinen Ursprung hinzuweisen, den Menschen kennenzulernen von der anderen Seite, so dass er wiederum seinen Ursprung offenbart. [...]

Die Mysterien-Leiter, die Mysterien-Führer der alten Zeiten, sie haben wohl gewusst, warum sie eine Menschenzucht verlangten von denjenigen, die sie einweihten. [...] Das, was er da erfuhr, war: die Geheimnisse in der richtigen Weise ins Leben hineinzustellen. Darauf wurde insbesondere in griechischen Gegenden sehr, sehr viel gesehen. Und es wurde streng darauf gehalten, dass die Mysterien an Unwürdige ebenso wenig verraten wurden, wie der Christus Jesus nicht die Geheimnisse des Reiches Gottes an die Schriftgelehrten und Pharisäer ausliefern will, sondern nur an diejenigen, die er zu seinen Schülern machen kann.

Ohne dass diejenigen, welche die Mysterien-Führer waren, die geringste Schuld haben, ging es aber nun nicht mehr, das Mysterien-Geheimnis in den Zeiten, in denen das Ereignis von Golgatha herankam, in der entsprechenden Weise geheim zu halten. Das ging nicht mehr. Und warum ging es nicht mehr? Ich sage: Ohne die Schuld der Mysterien-Führer ging es nicht mehr. Die Mysterien-Führer, die Mysterien-Leiter, hatten keine Schuld daran. Dasjenige, was die Mysterien in unrichtiger Weise herauszog aus ihrer Geheimnis-Sphäre, das war das Imperium Romanum, das war der römische Imperialismus. Und es war unmöglich, dass die Führer der Mysterien den Befehlen namentlich der römischen Cäsaren widerstanden. Es rückte die Zeit heran, in der die Mysterien-Führer nicht mehr widerstehen konnten den Befehlen der römischen Cäsaren. Und dieses, dass durch den römischen Cäsarismus vergewaltigt wurde das geistige Leben, dieses spiegelt sich ja in allen Ereignissen der damaligen Zeit ab. Dieses sah auch ein Mensch wie der Täufer durchaus herankommen in allen Einzelheiten. Denn derjenige, der sehen will, der sieht in den Einzelheiten, was herankommt. Nur diejenigen sehen es nicht, die nicht sehen wollen. Das liegt in den Worten, die immer sehr vieldeutig, aber immer in allen Bedeutungen wahr sind; in den Worten solcher Leute wie dem Täufer Johannes liegt es. In den Worten: «Ändert den Sinn, die Reiche der Himmel sind nahe» liegt auch das, was man etwa so übersetzen könnte: Seht hin, dasjenige, was der Menschheit Heil gebracht hat als altes Mysteriengut, das ist nicht mehr, das wird mit Beschlag belegt durch das Imperium Romanum, das seine Fittiche auch ausgebreitet hat über das um euch herum liegende Judentum. Ändert daher den Sinn! Sucht nicht mehr in dem, was von dem Imperium Romanum ausstrahlt, das Heil, sondern sucht es in dem, was nicht auf dieser Erde ist. Empfanget die Taufe, die euren Ätherleib lockert, damit ihr seht, was da kommen soll, und was neue Mysterien einleiten soll, denn die alten Mysterien sind mit Beschlag belegt.

Was herankam, was bei Augustus zuerst der Fall war, der aber noch keinen Missbrauch damit getrieben hat, war, dass die römischen Cäsaren einfach durch ihren Cäsarenbefehl eingeweiht werden mussten in die Mysterien. Das wurde überhaupt Sitte. Das war es, wogegen sich vor allen Dingen der Täufer Johannes wendete, indem er herauszunehmen suchte aus der Menschheitsentwickelung diejenigen, welche die Taufe empfangen wollten, damit sie nicht bloß das Heil der Menschheitsentwickelung in dem sahen, was vom Imperium Romanum ausstrahlte.

Sehen Sie, einer derjenigen römischen Cäsaren, die am gründlichsten eingeweiht waren in die Geheimnisse der Mysterien, war Caligula, und später Nero. Und es gehört zu den Geheimnissen der geschichtlichen Entwickelung, dass Caligula und Nero Eingeweihte waren, dass sie sich erzwungen haben, Kenntnis zu haben von den Geheimnissen der Mysterien. [...]

Caligula hatte seine Anleitung bekommen, richtig nach Art der alten Mysterien zu leben in den geistigen Zusammenhängen darinnen. Caligula verstand es daher, sein Bewusstsein vom Einschlafen bis zum Aufwachen so zu organisieren, dass er darinnen mit all demjenigen in der geistigen Welt verkehren konnte, was die alten Mysterien kannten als die Luna-Götter, als die Götter des Mondes. Und Caligula verstand die Kunst der alten Mysterien, in seinem nächtlichen Bewusstsein Zwiesprache zu halten mit den Geistern des Mondes. [...]

Aber Caligula - er hatte nicht die Zucht, selbstverständlich -, Caligula wusste daher Zwiesprache zu halten mit den lunarischen Geistern im Schlafe; und das brachte hervor, dass er im Tage ansprach Jupiter, den man im alten Griechenland als Zeus in einer noch anderen Sphäre gedacht hat, als «Bruder Jupiter». Das war eine gewöhnliche Redensart des Caligula, von «Bruder Jupiter» zu sprechen. Denn selbstverständlich fühlte er sich als ein Bürger der geistigen Welt, in der Jupiter ist, und er redete ihn als Bruder Jupiter an. Er, Caligula, wusste sich in der Welt der geistigen Wesenheiten darinnen. Daher trat er so auf, dass durchaus manifestiert wurde durch sein Auftreten, dass er der geistigen Welt angehöre. Er erschien zu gewissen Zeiten im Bacchus-Kostüm mit dem Thyrsus-Stab, mit dem Eichenkranz auf dem Haupt, und ließ sich als Bacchus huldigen. Er erschien zu gewissen Zeiten als Herkules mit der Keule und der Löwenhaut und ließ sich huldigen als Herkules. Dann erschien er wieder als Apoll und ließ sich huldigen, indem er die Strahlenkrone auf dem Haupt und den Appollo-Bogen in der Hand hatte, ließ sich huldigen von einem Chor, der ihn umgab, und der die entsprechenden Chorgesänge zu seiner Ehre sang. Er erschien mit geflügeltem Kopf mit dem Heroldstab als der Gott Merkur. Er erschien auch als Jupiter. Ein Tragödiendichter, den man als Sachverständigen ansah und aufgefordert hatte, zu entscheiden, wer der Größere sei, Caligula oder Jupiter, den er in einer Statue neben sich hinstellen ließ, wurde gegeißelt, weil er nicht darauf einging, Caligula als den Größeren hinzustellen. [...]

Ein Eingeweihter war (auch) Nero. Und Nero war im Grunde genommen - nur nicht so philiströs, wie es manche unter unseren modernen Zeitgenossen sind, sondern grandios, ins Heroische übersetzt - ein Psychoanalytiker. [...] Aber was Johannes der Täufer wusste, wusste auch Nero. Denn auch Nero wusste - und jetzt unterscheidet sich auf diesem Gebiete Nero von dem Caligula -, auch Nero wusste aus seiner Einweihung in die Mysterien heraus, dass es mit dem, was der Mensch ist, eine sonderbare Bewandtnis hat, dass gewissermaßen die Wahrheiten der alten Mysterien in ihren wahren Impulsen verklungen sind, dass sie ihre Gewalt verloren haben, dass man sie daher nur durch äußere Gewalt aufrecht erhalten kann. Nicht etwa bloß Johannes der Täufer hat gesagt: «Die alte Weltordnung ist abgelaufen» - nur hat er dazugesetzt: «Die Reiche der Himmel sind nahe herbeigekommen, ändert den Sinn!» -, auch Nero wusste, dass die Reiche der alten Welt abgelaufen sind, auch Nero wusste, dass ein gewaltiger Einschnitt in der Entwickelung der Erde da ist. Aber Nero hatte sein teuflisches Bewusstsein dazu, er hatte alle Teufeleien, die der unwürdige Eingeweihte haben kann, in sich. Und deshalb rechnete er, genauso wie Johannes der Täufer, genauso wie der Christus Jesus, mit dem Weltuntergang. Versteht man dasjenige, was Johannes der Täufer und der Christus Jesus sagen von dem Weltuntergang in der richtigen Weise, dann hat man nicht nötig, es in der philisterhaften Art auszulegen, dass es dann und dann kommen werde, sondern dann kann man verstehen, wie die Bibel sagt, der Weltuntergang wäre da. Nero wusste, dass eine ganz neue Ordnung kommt, aber es freute ihn nicht. Es passte ihm nicht. Und charakteristisch ist daher sein Ausspruch, dass er an nichts lieber teilnehmen wollte als am Weltuntergang. Seine Worte sind charakteristisch: Wenn die Welt in Feuer aufgeht, dann werde ich meine besondere Freude daran haben! Das war sein besonderer Wahnsinn: die Sehnsucht, die Welt in Feuer aufgehen zu sehen. Und daraus entsprang das, was man ja historisch bezweifeln kann, was aber wahr ist: dass er Rom in Brand stecken ließ, weil er sich in seinem Wahnsinn vorstellte, von dem Brande von Rom aus würde sich der Brand so weit erstrecken, dass die ganze Welt verbrennen würde. [...]

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