Nero: Der Brand von Rom

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von dem Schriftsteller Hans Dieter Stöver aus: „Der Fall Nero"

Am Abend meinen die auf den Hügeln eine leichte Brise zu verspüren, einen leichten Luftzug, der vom Meer her weht, zwar nicht kühl, doch sehr angenehm. Und er nimmt zu. Der Seewind frischt auf. In den Innenhöfen wird es lauter. Man speist und zecht. Heitere Gespräche machen die Runde. Überall stehen die Fenster und Türen weit offen. Die stickige Luft des Tages verflüchtigt sich allmählich.

Plötzlich wird hier und da leichter Brandgeruch bemerkt. Man macht sich gegenseitig darauf aufmerksam, geht durchs Haus, prüft die Feuerstellen im Erdgeschoß, die Kohlebecken, auf denen eine Suppe brodelt. Doch alles ist in Ordnung.

Aber der Brandgeruch bleibt, verstärkt sich, wird beißend, besonders seit der Wind nun in leichten Böen über die Dächer fährt. Auf der Straße werden Nachbarn befragt. Nichts Ungewöhnliches wurde gesehen. Hier und da nur Staubfontänen, Fetzen von Papyrus und Stoff, vom Winde jäh ergriffen und hochgewirbelt. Zu den Freunden zurückgekehrt, werden Mutmaßungen angestellt, alle möglichen Erklärungen gesucht. Doch die Unruhe bleibt. Der Wind nimmt zu, es riecht nach verbranntem Holz. Asche rieselt vereinzelt in die Innen­höfe.

Schreie auf der Gasse: »Feuer! Es brennt!« Man stürzt nach draußen. »Wo?« Junge Burschen rennen vorbei: »Feuer!« »Wo denn?« Niemand weiß es genau. Und der Wind kommt von Westen. Vom Meer! Die in den Niederungen wohnen, steigen auf die Dächer, halten Ausschau.

Graublaue Rauchschwaden wehen in mäßiger Höhe heran. Sie scheinen vom Palatin zu kommen. Doch man hat weder Zeit noch Laune zu froh­locken, dass es die reichen Besitzer der Villen dort trifft. Zunehmend treibt Funkenflug heran. Noch verglimmen die Teilchen zu Asche, bevor sie Brennbares erreichen.

Wasser! Man muss Wasser bereitstellen! Sie rennen zu den Brunnen, hetzen mit Eimern, Schüsseln und Krügen, füllen leere Amphoren - doch die Brunnen geben nicht viel her. Kleine Rinnsale tröpfeln aus den Kupferroh­ren oder den maskenhaften Mäulern der Brunnenfiguren. Selbst die Tief­brunnen, hier und da in den Gärten der Insulae angelegt, sind nahezu versiegt. Der Grundwasserspiegel war in den letzten Wochen weit unter normal gesunken. Es fehlte der Regen.

Die am Palatin riechen's zuerst. Der Wind streicht über die ganze Breite des Hügels. Sie müssen nicht erst in die oberen Stockwerke, ein Blick vom Garten genügt: Gleich zu Füßen des Hügels wütet das Feuer. Die Magazine, Läden und hölzernen Tavernen an der Außenseite des Circus Maximus brennen. Einzel­heiten sind nicht zu erkennen, die Rauchwand verhindert den Blick. Aber man hört die Schreie, atemlos, wie von  Sinnen. Brennende Balkenkonstruktionen stürzen zusam­men, einen Hagel von Funken hoch wirbelnd.

Die vom benachbarten Caelius (einer der sieben Hügel Roms) blicken mehr von der Seite, erkennen den Herd: Flammen schießen aus den Läden und Magazinen der nördlichen Längsseite, springen rasend schnell auf benachbarte Räume und Buden, fressen mit unvorstellbarer Ge­schwindigkeit die Sonnensegel und Schirme, gewinnen an Kraft und Höhe, erfassen die ganze Länge des Circus:  Eine Front von 3,5 Stadien   steht in Flammen.

Und der Wind! Verstärkt durch die thermischen Strömungen der glühend heißen Lüfte frisst er sich im Verein mit den Flammen hart am Boden durch das kurze Stück zu den Hügeln, packt und entfacht dabei trockenes Buschwerk, entzündet Bäume zu riesigen Fackeln, schafft sich dadurch lodernde Brücken und rast - nun als Sturm! - die Flanke des Berges aufwärts, sprüht sein Feuer über alles, was brennbar ist. In jähem Wechsel stößt er nach links und rechts, greift unerwartet um Ecken in trockene Höfe, schüttet von oben den feurigen Regen auf Dächer, in die Atrien der Häuser und in festummauerte Gärten. Das gesamte Areal ist ein einziges Krachen, Knistern und Bersten,  Caelius und Palatin stehen in Flammen.

Aufsteigend und zugleich getrieben vom selbsterzeugten Sturm springen die glühenden Schwaden zu den Höhen, doch neue Böen drücken den Feuersturm jenseits zu Tal, und hier nun beginnt ein Inferno: Die Viertel der kleinen Leute, Handwerker, Händler in Argiletum und Subura bieten die beste Nahrung.

Lüge war's, wenn Augustus einst sprach, er habe eine Stadt in Marmor hinterlassen. Die Häuser des Volks sind Zunder! Tragende Teile in Wän­den und Decken werden nach wie vor aus Holz errichtet, Brandwände fehlen. Die Flammen springen von Dach zu Dach, finden zwischen locker sitzenden Ziegeln einen Durchschlupf, züngeln an Sparren und Firstbal­ken, tasten sich zu herumliegendem Gerümpel, zu Kisten, Säcken, Möbeln, Körben, greifen sich den Bretterboden, fressen sich Breschen, und das stürzende, lichterloh brennende Gebälk entfacht im nächsten Stockwerk neues, größeres Feuer.

Im Argiletum herrscht das totale Chaos. Schreie überall. Schreie nach Wasser, Schreie nach Hilfe, Schreie vor Schmerzen, wenn jemand einge­klemmt ein Opfer der unerbittlich wütenden Flammen wird. Beherzte Männer treten den Flammen entgegen. Längst ist die Brandwache der Vigiles unterwegs. Ketten werden gebildet, Eimer wandern wie schwe­bend von Hand zu Hand. Doch es nützt nichts: Löscht man unten, brennt es oben lichterloh weiter, fällt es krachend in funkensprühenden Trüm­mern hernieder, deckt Mensch und Gerät zu. Wozu ein Haus retten, wo zu beiden Seiten Balken, Dach und Türen der Nachbarn rotglühend zerfallen? Dazu der beißende, würgende, tödliche Rauch! Sie sinken hin, zu Tausen­den, man greift sie, schleppt sie fort, aber wohin? Feuerwände schließen sie ein. Die Helfer behindern sich gegenseitig durch ihre verbissene Eile, drei Dinge auf einmal zu packen.

Dazu das Gejammer der Frauen, Greise, Kinder, denn die Fluchtwege sind versperrt. In den engen Gassen bilden gestürzte, brennende Trümmer unübersteigbare Barrikaden. Man rennt nach der anderen Seite, gerät in neue Gruppen, die planlos bergen, schreien, hantieren, zur Seite drängen, geschwärzt das Gesicht, die Kleider in Fetzen, durchnässt von Schweiß, Löschwasser und Blut.

Einige vertrauen blind den Steinwänden ihres Hauses, sie gehen hinein, ziehen Fremde mit. Ein tödlicher Irrtum, denn sie ersticken an giftigen Gasen, längst bevor das Obergeschoß durch die Decke bricht. Andere rennen zu Freunden in entferntere Viertel - voller Hoffnung, bis dahin reiche der Feueratem nicht. Doch der Feuersturm greift über von Haus zu Haus, von Straße zu Straße, von Viertel zu Viertel. Tausende erreichen die nördlichen und östlichen Tore, drängen hysterisch durch die Engpässe, Fallende werden zertrampelt. Die anderen rennen weiter, kommen auf freies Feld, werfen sich erschöpft zu Boden, außer Atem, mit rasendem Herzen, ratlos, was sie tun oder lassen sollen. Sie sind dem Hades entronnen.

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