Antonius und Kleopatra
Aus: "Charakterbilder aus der Geschichte und Sage" von A. W. Grube (1914)
Jetzt (nach dem Siege bei Philippi), da die Sieger keinen Feind mehr zu fürchten hatten, teilten sie die Provinzen des großen römischen Reiches; Lepidus, der weder tapfer noch klug war, erhielt bloß die Provinz Afrika, Antonius wählte Asien, Octavianus Italien. Doch die Freundschaft der Dreimänner dauerte nicht lange; denn Octavianus machte heimlich Pläne, die ganze Oberherrschaft an sich zu reißen. Unterdessen schwelgte Antonius in Asien ohne Maß und Ziel. In der Stadt Ephesus zog er als Gott Bacchus verkleidet ein; die Bürger und ihre Frauen und Töchter kamen ihm als Diener und Dienerinnen des Bacchus mit Weinschläuchen und Stäben, um die sich Weinlaub rankte, entgegen; sein Aufenthalt dort war ein immerwährendes Trinkgelage.
In Ägypten regierte Kleopatra, die durch Cäsar zur Königin erhoben war. Sie war eine schöne und geistreiche, aber auch eine eitle und herrschsüchtige Frau. Erst hatte sie es mit Cäsar gehalten; sobald dieser ermordet war, hielt sie es mit Cäsars Mördern; und als diese geschlagen waren, suchte sie den Sieger Antonius durch ihre Reize zu gewinnen. Antonius forderte sie vor sich, um sie zur Verantwortung zu ziehen, da sie seine Feinde unterstützt hatte. Sie kam auf einem prächtigen Fahrzeuge mit silbernen Rudern, purpurnen Segeln und reichen Vergoldungen. Eine liebliche Musik begleitete den Takt der Ruder, und eine Menge schöner Knaben und Mädchen, als Liebesgötter gekleidet, folgten auf Kähnen neben ihr, die in der Gestalt der Venus, der Göttin des Liebreizes und der Anmut, vor allen hervorstrahlte. Sie war damals 25 Jahre alt und hatte durch einen passenden Schmuck die Schönheit ihrer Gestalt noch zu erhöhen gewusst. Als die Umstehenden sie erblickten, riefen alle jubelnd: „Venus kehrt beim Bacchus ein!" Die schlaue Frau verfehlte ihren Zweck nicht. Mit Witz und Scherz, mit ihrem feinen Verstand und Geschmack und mit tausend angenehmen Gaukeleien nahm sie den entzückten Feldherrn so ein, dass er von diesem Tage an für nichts anderes mehr Sinn hatte als für Kleopatra.
Schmausereien und Lustbarkeiten waren das Hauptgeschäft des Tages, und einer suchte den andern in Anordnung derselben zu übertreffen. Einmal wetteten sie, wer von beiden die kostbarste Mahlzeit geben würde. Antonius ließ die teuersten Leckerbissen anschaffen; die Königin dagegen bewirtete ihn ganz einfach, zum Schluss der Mahlzeit aber gab sie einen Becher mit wenig Flüssigkeit, die nach unserem Gelde eine Million Gulden kostete; es war nämlich eine Perle in Essig aufgelöst, die ihrer seltenen Größe wegen diesen Wert gehabt hatte. - Einmal kam ein Fremder in Antonius' Küche und sah acht wilde Schweine an Spießen braten. Er erstaunte und meinte, es sei wohl große Gesellschaft heute. „Ach nein!" sagte der Koch, „es sind nur zwölf Gäste; allein unter diesen Schweinen ist immer eins später aufgesteckt als das andere, damit wir gerade in diesem Augenblicke, wenn unser Herr befiehlt, das aussuchen können, welches den höchsten Wohlgeschmack hat." - Antonius und Kleopatra belustigten sich zuweilen mit Angeln. Antonius fing selten etwas und ward dafür ausgelacht. Er befahl daher heimlich einem geübten Schwimmer, unvermerkt unterzutauchen und einen schon gefangenen Fisch an seine Angel zu stecken. Dies geschah, und Antonius fing mit jedem Zuge die schönsten Fische. Kleopatra, welche den Betrug merkte, befahl indes ihrem besten Taucher, jenem Schwimmer zuvorzukommen. Antonius warf die Angel aus, und zugleich fühlte er ein schweres Gewicht an seiner Schnur; er zog es mit Mühe herauf und siehe: es war ein großer eingesalzener Fisch aus einem entfernten Meere. Alle lachten; Antonius errötete vor Beschämung; Kleopatra aber wusste den Spaß trefflich zu wenden: „Überlass uns kleinen Fürsten, Fische zu angeln; du, Feldherr, fange Länder, Könige und Völker!"
Indes hatte Antonius in Rom eine Gemahlin zurückgelassen, Fulvia mit Namen, die sehr unzufrieden darüber war, dass ihr Mann in Ägypten bei Kleopatra lebte. Sie fing Unruhen in Italien an, reizte den Octavianus gegen Antonius, um diesen zur Rückkehr zu zwingen. Er kam; da aber Fulvia starb, wusste Antonius den Octavianus zu besänftigen, sie versöhnten sich wieder, und nach dem Wunsche des Volks, das der neuen Eintracht lange Dauer wünschte, heiratete Antonius die Stiefschwester des Octavianus, die schöne und tugendhafte Octavia. Das ganze Reich nahm Anteil an der Freude Roms, und jeder sah einer ruhigen Zukunft entgegen. Wirklich schien auch die Sanftmut und Güte der Octavia den Antonius von seinem ausschweifenden Leben zurückzubringen. Sie war jung und schön, er lebte mit ihr in vergnügter Häuslichkeit und widmete sich wieder ernsten Geschäften. Doch bald entspannen sich wieder neue Streitigkeiten mit Octavianus, welcher dem Lepidus alle Truppen abspenstig gemacht und den unfähigen Anführer in einen kleinen Ort verbannt hatte, so dass ihm bloß noch Antonius im Wege stand. Dieser, welcher mit seiner jungen Gemahlin in Griechenland lebte, schiffte sich mit einem Heere nach Italien ein. Als er hier gelandet war, bat ihn die sanfte Octavia, er möchte sie, ehe die Feindseligkeiten anfingen, voran zu ihrem Bruder schicken. Octavianus stand bereits gerüstet an der Spitze eines zahlreichen Heeres; doch seine Schwester versöhnte wieder Bruder und Gemahl. Eine große Zahl der Soldaten aus beiden Heeren, die als Feinde gekommen waren, eilten jetzt zu einander und umarmten sich als Freunde, und die beiden neu versöhnten Feldherren gaben sich gegenseitig prächtige Gastmähler. Darauf ging Anto-nius wieder nach Asien zurück, Octavia aber reiste mit ihrem Bruder nach Rom, um ihres Gemahls Andenken in Liebe hier zu erhalten. Doch er war der treuen Liebe nicht wert. Kaum war er in Asien, so fing er sein ausschweifendes Leben mit Kleopatra wieder an und dachte nicht mehr an seine treffliche Gattin. Sie duldete dies lange Zeit, bis sie sah, dass ihm in Rom neue Gefahr drohe, während er unbekümmert fortschwelgte.
Nun machte sich Octavia auf, ihn zu besuchen. Er aber schrieb ihr, sie möchte nur in Athen bleiben, er habe gerade jetzt einen Feldzug gegen die Parther beschlossen. Sie blieb mit ihren Kindern in Athen, und obgleich ihr Bruder sie zu bereden suchte, sie möchte den Schimpf nicht dulden und sich öffentlich in Rom über Antonius beschweren, so blieb sie dennoch ihrem Manne ergeben. „Wenn du mich nicht sehen willst", schrieb sie an ihn, „so melde mir wenigstens, wohin ich das Geld und die Truppen und die Kleidungsstücke schicken soll, die ich für dich mitgebracht habe, um dich zu überraschen!" Dies rührte den Antonius, doch sobald das Kleopatra merkte, bot sie alle ihre Künste auf, um ihn zu umstricken; sie stellte sich krank, zeigte sich immer mit verweinten Augen, und ihre Kammerfrauen mussten den Antonius versichern, dass sie gewiss sterben werde, wenn er seine Liebe von ihr wende und zu Octavia zurückkehre, die ja doch nur aus schlauer Berechnung des Octavianus sein Weib geworden sei. So ward ihm selbst Argwohn gegen die edelste Frau eingeflößt; er vergaß ihrer nach und nach ganz, und jede gute Regung seines Herzens ward in dem unaufhörlichen Taumel von Vergnügungen erstickt, in welchem ihn die ägyptische Königin zu erhalten wusste.
Endlich machte er sogar die beiden Söhne, die Kleopatra ihm geboren hatte, zu Königen und schenkte ihnen im Voraus die Provinzen Syrien und Sizilien. Hierdurch reizte er den Unwillen des römischen Volkes aufs äußerste. Sobald Octavianus das merkte, klagte er den Antonius öffentlich an; dieser ward für einen Feind des Vaterlandes erklärt, und der Kleopatra wurde der Krieg angekündigt. Mit Freuden gab sie zu dem Kriege Geld und Schiffe her, sie ging dem Antonius nicht von der Seite und vermochte ihn sogar, dass er seine edle Gemahlin in Rom aus seinem Hause weisen ließ. Octavia ging mit Tränen; ihre Kinder nahm sie alle mit, und als Antonius und Kleopatra gestorben waren, nahm sie auch deren Kinder zu sich und erzog sie alle zu tugendhaften und achtenswerten Menschen.
Antonius und Kleopatra zogen mit ihrer Flotte dem Octavianus entgegen; bei Actium im Adriatischen Meere kam es (31 v. Chr.) zu einer Seeschlacht. Die Soldaten des Antonius fochten, trotz ihrer schwerfälligen Schiffe, mit gewohnter Tapferkeit, als mitten im Gefecht, da noch nichts entschieden war, Kleopatra ihren Schiffen Befehl gab, nach Hause zu fliehen. Antonius folgte ihr auf dem Fuße nach; die braven Soldaten, die in der Hitze des Kampfes den Feldherrn nicht sogleich vermissten, fochten tapfer bis an den Abend, da endlich ergaben sie sich dem Octavianus. Die Landarmee, welche die verlorene Seeschlacht durch einen Sieg zu Lande wieder gutmachen konnte, wartete mit Sehnsucht auf Antonius; da er aber nach sieben Tagen nicht erschien, ging alles zu Octavianus über. Dieser folgte der Geflohenen nach Ägypten. Kleopatra, die treulose, hätte nun gewiss gern den Antonius verraten, wenn sie nicht von Octavianus sehr kalt und stolz behandelt worden wäre. So wurde sie gezwungen, sich zu stellen, als ob sie es noch immer mit Antonius hielte. Antonius wollte noch einmal das Kriegsglück versuchen; er stellte seine Truppen zur Schlacht, aber mit Schrecken sah er, dass eine Truppe nach der andern, wahrscheinlich auf Kleopatras Befehl, zum Feinde überging. Verlassen eilte er nach dem Schlosse der Königin. Auch sie verbarg sich vor ihm, verschloss sich in ein Grabgewölbe und ließ dem Antonius sagen, sie sei gestorben. Diese Nachricht brachte ihn zur Verzweiflung; er stieß sich das Schwert durch den Leib, allein die Wunde war nicht tödlich, und er quälte sich lange zwischen Leben und Sterben. Da sagte man ihm, Kleopatra lebe noch. Er bat, dass man ihn zu ihr bringen möchte. Man tat es, und nach langen Zuckungen starb er zu ihren Füßen.
Octavianus zog als Sieger in die Hauptstadt Ägyptens, Alexandrien, ein, er stellte sich gar freundlich gegen Kleopatra, dass sie seine Absicht nicht merken sollte; denn er hatte vor, sie an seinen Triumphwagen gefesselt in Rom mit aufzuführen. Doch sie erriet seine Gedanken und kam ihm durch schnellen Selbstmord zuvor; man sagte, sie habe ein paar giftige Schlangen sich in die Brust beißen lassen. Darauf sandte sie einen Brief an Octavianus, worin sie ihn bat, dass er sie bei Antonius begraben lassen möchte. Er hielt dies für eine List, schickte sogleich Leute auf ihr Zimmer, aber diese fanden sie bereits tot in ihrem königlichen Schmucke auf dem Ruhebett liegend. Ägypten war nun eine Beute des Siegers, und ihm gehorchte fast der ganze bekannte Erdkreis.