Ursprung der Groß- und Kleinschreibung
Ein Beitrag von Silke Schuster
Der Schrifterwerb der deutschen Sprache ist eine mühsame Angelegenheit. Wir alle mussten hier durch eine lange Schule von Regeln und zahlreichen Ausnahmen gehen. Etliche Rechtschreibübungen waren notwendig, um die Kenntnisse zu automatisieren. Vieles kann man sich ableiten, anderes muss man sich einfach merken.
Diese Regeln waren in der Vergangenheit aber nie in Stein gemeißelt. Ganz im Gegenteil: Unsere Schrift unterlag immer wieder großen Veränderungen. Ich möchte dies anhand der Groß- und Kleinschreibung kurz verdeutlichen.
Nur große Buchstaben
Gehen wir zurück ins Römische Reich, so entdecken wir dort im Wesentlichen Großbuchstaben. Nicht nur der Anfang eines Wortes wurde hier großgeschrieben, sondern jeder Buchstabe. Der Kulturraum des römischen Reiches war relativ einheitlich, weshalb man auch in den Provinzen mit Großbuchstaben schrieb. Mit seinem Zerfall durch die Völkerwanderung endete vorerst auch die Einheitlichkeit der Schrift. Die Kunst des Schreibens zog sich in Nischenbereiche zurück, wie man sie z.B. in Klöstern vorfand. Die Tatsache eines fehlenden Kulturzentrums führte dazu, dass sich die Schrift regional diversifizierte.
Karl der Große
Die konsequente Anwendung der Kleinbuchstaben entwickelten sich unter Karl dem Großen, von dem ein neues Kulturzentrum ausging. Er bestimmte eine neue Schriftform, in der von da an per Anordnung alle Verwaltungskorrespondenzen ausgeführt werde mussten. In der karolingischen Schrift wurden zunächst alle Großbuchstaben (Majuskel) in Kleinbuchstaben (Minuskel) umgeschrieben. Sie bekamen dadurch die uns bekannten Ober- und Unterlängen. Der Grund bestand in ihrer Alltagstauglichkeit: Mit den Kleinbuchstaben konnte man schneller schreiben und man konnte sie besser lesen.
Aufgrund der mächtigen Stellung Karls und seines Reiches in Europa verbreiteten sich die karolingischen Kleinbuchstaben ab etwa 800 rasch und wurden bis zum Ende des 1. Jahrtausends zur vorherrschenden Schriftform in vielen europäischen Sprachen. Der Gebrauch von Großbuchstaben zur Hervorhebung bestimmter Wörter inmitten eines Minuskeltextes entwickelte sich erst im Laufe der Zeit. Zunächst wurde jede neue Seite mit einem Großbuchstaben begonnen, den man reichlich ausschmückte und verzierte. Dies übertrug man auch auf den Beginn eines neuen Absatzes. Später verwendete man einen Großbuchstaben auch an jedem Satzanfang. Hier wurde er allerdings nicht mehr verziert.
Die Großschreibung im Satzinneren tauchte erstmals im 13. Jahrhundert in Urkunden auf und wurde bis ins 17. Jahrhundert ohne feste Regeln angewendet. Ehrerbietige Wörter bekamen schon früh einen großen Anfangsbuchstaben. Das waren z.B. Gott, Jerusalem oder hohe Amtsbezeichnungen wie Kaiser und König. Aber auch die Eigennamen wurden allgemein immer häufiger großgeschrieben. Ab 1500 bekamen auch Wörter einen großen Anfangsbuchstaben, die dem Schreiber besonders wichtig waren.
Deutschlands Sonderweg – Martin Luther
In Deutschland entwickelte sich die Schriftsprache wenig einheitlich. Aufgrund seiner territorialen Zerstückelung bis 1871 besaß Deutschland keine politisch-wirtschaftlich-kulturelles Zentrum, wie dies in England, Frankreich oder Spanien der Fall war. Deutschland ging einen Sonderweg. Der kulturelle Impuls zur Vereinheitlichung der neuhochdeutschen Schriftsprache ging am Ende nicht von einem Herrscher, sondern maßgeblich von Martin Luther und seiner Bibelübersetzung aus. Sie fand stärkste Verbreitung und wirkte prägend.
Bessere Lesbarkeit
Deutsch ist eine der wenigen Sprachen, in der alle Substantive großgeschrieben werden. Das ist für Nicht-Deutsche oftmals sehr ungewohnt und schwierig. Dennoch gibt es gute Gründe für die Großschreibung von Nomen.
Obwohl das Schreiben von Texten durch die Großschreibung etwas mehr Aufwand erfordert, erleichtert dies das Lesen. Sie hilft, Gruppen von Wörtern schneller zu erkennen. Auch verhindert die Großschreibung eine Verwechslung von Wörtern, die gleich aussehen, aber unterschiedliche Bedeutungen haben. Ein Beispiel hierfür ist „Der Gefangene floh" bzw. „Der gefangene Floh". Durch die Großschreibung erkennen man sofort die Bedeutung der Wortgruppe.
Jacob Grimm
Schon früh gab es allerdings auch schon prominente Gegner der Großschreibung. So sagte und schrieb z.B. Jacob Grimm bereits 1854: „den gleichverwerflichen misbrauch groszer buchstaben für das substantivum, der unserer pedantischen unart gipfel heiszen kann, habe ich […] abgeschüttelt.“ Schon vorher hatte er in seiner Grammatik geschrieben:
„Es ist nicht zu spät, und leicht genug, einer so peinlichen und unnützen schreibweise zu entsagen, welche sich von uns lediglich Dänen und Litthauer haben aufbürden lassen, Schweden und Engländer bald nach den ersten versuchen, in richtigerem tact und gesunderem sprachgefühl, wieder ablegten. selbst in unsrer mitte ist sie nie völlig durchgedrungen: es gab noch im 17 und 18 jh. schriftsteller, die mit verschmähung der neuerung die althergebrachte einfachheit nicht verjähren ließen. […] wer große buchstaben für den anlaut der substantive [schreibt], schreibt pedantisch.“