Boris Borlof

Eine Buchstabengeschichte von Christoph Bai (Freien Waldorfschule Schwerin)

Früh am Morgen mussten sie aus den Betten und in einer großen Stadt umsteigen. Zefis Vater erklärte, dass diese Stadt Wien hieße, und dass sie ganz schnell in den anderen Zug umsteigen müssten. Der neue Zug fuhr sie dann nach Budapest, wo sie ein paar Stunden später ankamen. Da alle sehr müde von der Reise waren, suchten sie sich in Budapest erst einmal eine kleine Pension und fielen dort in wundervoll weiche Federbetten, um zu schlafen.

Es war zur Mittagszeit, als der Zirkusdirektor sie alle aus den Federn scheuchte. Er brummte: "Wir machen doch nicht so weite Reisen und verschlafen den lieben langen Tag, bei so herrlichem Wetter. Raus aus den Federn und rein in die Schuhe. Jetzt schauen wir uns Budapest an. Zefi und Anna sprangen auch sogleich aus ihren Betten. Nur Minna Moretti drehte sich auf die andere Seite, um weiter zu schlafen. Sie maulte etwas wie: "Ein Mezzosopran wie ich braucht seinen Schönheitsschlaf." Da hatte sie aber nicht mit den Kindern gerechnet. Zefi sprang auf ihr Bett und kitzelte sie so lange an den Fußsohlen, bis Minna Moretti halb lachend, halb weinend japste: "Schon gut meine Lieben, schon gut, ich komme ja schon." Sie bummelte allerdings dann noch ziemlich lange, bis sie ausgehfertig war, und die Kinder und der Zirkusdirektor aßen derweil ein verspätetes Frühstück. Als sie auf die Straße hinaus gingen war es schon früher Nachmittag. Die Sonne schien herrlich und vergoldete die Dächer der Stadt. Es gab hier einen großen Fluss den der Zirkusdirektor die Donau nannte und auf dem ganz viele Schiffe schwammen. In den Gassen herrschte ein regsames Treiben, überall wurden schöne Dinge verkauft. Fliegende Händler boten Speisen und allerhand Tand an und auf den Märkten standen die Verkaufsstände dicht an dicht. Als sie auf einen größeren Platz kamen stießen Anna und Zefi plötzlich Freudenschreie aus, denn vor ihnen breitete sich glitzernd und lärmend ein Jahrmarkt aus. ein köstlicher Duft stieg den Kindern in die Nase. Es roch nach gebrannten Mandeln, kandierten Äpfeln und Poppkorn. Die Buden boten die schönsten Späße an. Es gab Lotterien und Stände, an denen man seine Geschicklichkeit erproben konnte. Vor allem aber gab es Karussells und in der Mitte des Platzes ein riesiges Riesenrad. Die Kinder bekamen vor Aufregung ganz rote Backen und hängten sich beide an den Zirkusdirektor. "Papi, bitte, bitte, bitte, dürfen wir auf den Jahrmarkt?" bettelte Zefi und auch Anna bat: "Bitte, bitte, lieber Zirkusdirektor dürfen wir uns die Buden anschauen?"

Der Zirkusdirektor sagte: "Ja nun, eigentlich wollten wir uns ja die Zirkuswagen anschauen. Wir sind ja nicht nur zum Spaß hier. Aber wisst ihr was, ihr schaut euch mit Minna schon einmal auf dem Jahrmarkt um, und ich sehe einmal, ob ich die Werkstatt mit den Wagen finden kann. Ich hole euch dann später wieder hier ab. Wir treffen uns in 2 Stunden am Riesenrad." Sprachs und verschwand. Minna Moretti schob die Kinder zur nächsten Bude, an der allerhand Schleckereien im Angebot waren, und kaufte für jeden einen glänzend roten Paradiesapfel.

Dann bummelten sie schleckend und schmatzend zwischen den Buden herum, bis sie zu einem Kettenkarussell kamen und alle ein paar Runden fahren durften. Ja das war eine Freude. Die Haare flogen im Wind und alle Lichter verschwammen vor den Augen. Als sie wieder auf beiden Beinen stand, war Anna ganz schwindelig und sie hielt sich ein bisschen an Minna Moretti fest, so sehr wankte der Boden unter ihren Füßen. Bald darauf gingen sie weiter und sahen, als sie hinter ein paar Buden und Wagen abbogen, vor sich eine große Menge Menschen stehen. Als sie näher kamen und Minna Moretti ihnen einen Weg gebahnt hatte, erblickten sie vor einem bunten Wagen einen bärtigen Mann mit einem Hut auf dem Kopf. Die Wagenwand war mit bunten Buchstaben bemalt. "Boris Borlof" las Minna Moretti vor. Der bärtige Mann, der wohl Boris Borlof hieß, hielt in der einen Hand einen kleinen Baum, an den bunte Bänder und Schellen gebunden waren. Um die andere Hand hatte er mehrmals eine lange Kette gewickelt, die am anderen Ende an einem Ring, an der Nase des braunen Bären befestigt war. Der braune Bär hatte sich auf seine beiden Hintertatzen gestellt und wiegte sich mit schweren Schritten hin und her. Der bärtige Mann stieß seinen Schellenbaum immer wieder im Takt auf den Boden, sodass die Schellen bimmelten und bammelten und dazu sang er ein kurzes Lied, dass sich ungefähr so anhörte:

 

Brumm, brumm, brimbola.

Brommel, bommel, bombola.

Brummel, bummel, bummelei

Bären, boren, beren bei.

 

Als die beiden Kinder den tanzenden Bären sahen, waren sie begeistert. Sie drängelten so lange, bis sie vorne an der Absperrung standen und dem Bären aus der Nähe direkt auf den dicken Bauch blicken konnten. Der Bär schaute sie mit seinen kleinen lustigen Äuglein an, er sah überhaupt nicht böse aus, sondern war ganz brav. Der braune Riese stapfte von einem Bein aufs andere Bein, immer im Kreis um Boris Borlof herum. Auch die Kinder bewegten sich hin und her. Und der Zefi sang gleich mit und dachte sich einen eigenen Text zu der Melodie aus:

 

Brum, brum, brimbola

was macht der braune Bär denn da?

Er brummt und tanzt mit schwerem Schritt

und alle Kinder bummeln mit.

 

Tatsächlich, als Zefi und Anna einen Blick zur Seite warfen, sahen sie, dass auch die anderen Kinder im Takt mit den Füßen stapften. Nach ein paar Runden beendete Boris Borlof den Bärentanz, indem er mit dem Schellenbaum dreimal kräftig auf den Boden klopfte. Dann tappste der braune Bär zu dem bärtigen Mann und drückte ihn an seine breite Brust, dabei brummte er bedrohlich. Doch Boris Borlof lachte schallend und klopfte dem Bären den braunen Pelz. Dann zog er seinen Hut vom Kopf und hielt ihn dem begeisterten Publikum hin. Die belustigten Zuschauer ließen sich nicht lange bitten und beschenkten Boris Borlof reichlich mit klimpernden Münzen, die er alle in seinen Beutel steckte. Dann begann der Tanz von Neuem, Runde um Runde. Von einem Bein aufs andere Bein.

Lange schauten die Kinder dem Bärenspektakel zu. Sie konnten sich nicht satt sehen. Ja, Anna und Zefi wollten gar nicht mehr fort gehen. Bis schließlich Minna Moretti ihnen auf die Schulter klopfte und hoch zum Riesenrad zeigte. Richtig, das Riesenrad, Zefis Vater wartete bestimmt schon auf sie. Sie mussten sich beeilen und ihm berichten, was sie alles gesehen hatten. Der Zirkusdirektor musste sich unbedingt den großen braunen Bären anschauen.

Als sie beim Riesenrad ankamen, wartete der Zirkusdirektor tatsächlich schon auf sie. Er hatte die Werkstatt für die Zirkuswagen in der Zwischenzeit gefunden und mit dem Meister gesprochen. Nun stand er breit grinsend vor ihnen und winkte mit Tickets für das Riesenrad. Welch eine Freude. Alle vier setzten sich in einer Gondel auf die Bänke und los ging es. Langsam setzte sich das Rad in Bewegung. Höher und immer höher hinauf und der ganze Jahrmarkt verschwand unter ihnen und wurde kleiner und kleiner, bis sie ganz oben waren. Wie Spielzeuge sahen die Buden und Wagen von hier oben aus und die Menschen wuselten am Boden wie kleine Ameisen. Dann ging es wieder hinunter, an der Erde vorbei und wieder hinauf. Die Kinder genossen die Fahrt mit dem Riesenrad, nur Minna Moretti war ganz blass geworden und schaute mit starrem Blick beständig auf den Boden der Gondel. Die Kinder aber schauten weit über die Brüstung, einen herrlichen Blick hatten sie über die ganze Stadt. Sie konnten den Fluss sehen und die vielen, vielen Häuser und ganz unten leuchtete der Jahrmarkt. Zefi versuchte den Tanzbären und Boris Borlof zu sehen und tatsächlich, man konnte die Menschenmenge erkennen und in der Mitte, da tanzte der Bär

 

Brumm, Brumm, Brimbola,

Was macht der braune Bär denn da,

er brummt und tanzt mit schwerem Schritt

und alle Kinder bummeln mit.

 

So sangen die Kinder und Zefi lehnte sich weit über die Brüstung der Gondel, so dass der Zirkusdirektor ihn ganz erschrocken mit beiden Händen an der Schulter packte. Er lachte aber gutmütig und fragte, was es denn da unten so Besonderes zu sehen gäbe. Da berichteten die Kinder von dem braunen Bären, der so schön brummen und tanzen konnte und von dem bärtigen Mann mit dem Hut auf dem Kopf. "Hatte er etwa einen Baum in der Hand, mit bimmelnden Schellen und bunten Bändern dran?" fragte der Zirkusdirektor. Als die Kinder ganz erstaunt nickten und Minna Moretti es auch bestätigte, murmelte Zefis Vater. "So, so, das ist ja interessant, der berühmte Boris Borlof ist in Budapest, wer hätte das gedacht." Da bestürmten die Kinder ihn mit Fragen. "Du kennst ihn ,Papa? Du kennst den Bären da unten?" fragte Zefi und Anna schwärmte: "Er ist so groß und dick und braun und brav und seine Augen gucken so lustig." "Ja", sagte der Zirkusdirektor, "ich habe Boris Borlof, den berühmten Bärenbändiger, schon vor langer Zeit kennen gelernt und ihn früher oft besucht. In letzter Zeit haben wir uns allerdings aus den Augen verloren. Es ist Zeit unsere Bekanntschaft einmal wieder aufzufrischen." Da sprang der kleine Zefi aufgeregt von seiner Bank. "Papi, Papi, wir können ihn ja fragen, ob er auch mit dem Zirkus SIMBALLODIMBA auf Reisen gehen will. Das wäre doch toll, oder?" "Nun, wir werden sehen" antwortete der Zirkusdirektor, "Boris Borlof ist ein sehr besonderer Mann und manchmal ein wenig eigenbrödlerisch. Aber wir werden sehen."

Unterdessen hatte das Riesenrad seine Fahrt beendet und alle stiegen aus. Die Kinder zogen Zefis Vater und Minna hinter die Buden, dorthin, wo der Wagen von Boris Borlof war. Gerade zerstreuten sich die Zuschauer und Boris Borlof band den Bären an seinen Wagen. Eigentlich waren es zwei Wagen, wie die Kinder nun sehen konnten, sie standen nur dicht beisammen. Der eine gehörte dem Tierbändiger und der andere, der mit Gitterstäben anstelle von Fenstern bestückt war, schien die Behausung des Bären zu sein. Ein Stall auf Rädern sozusagen. Vor dem Wagen standen zwei sehr große Schüsseln, aus der einen schlabberte der Bär gerade seine Mahlzeit. Als der Zirkusdirektor die bunten Bänder der Absperrung hochhob, damit die Kinder unten durch krabbeln konnten, schaute Boris Borlof sie an. Zuerst sah er recht grimmig aus, aber dann verzog sich sein breiter Mund zu einem Grinsen, sodass man einen Goldzahn sehen konnte. Er kam auf den Zirkusdirektor zu und haute ihm mit seiner riesigen Pranke gegen  die Brust. Boris Borlof war wirklich ein großer Mann, beinahe so groß wie sein Bär, wenn der auf seinen Hinterbeinen stand, jedenfalls viel größer als Zefis Vater und der war immerhin der Zirkusdierktor. Zefis Vater schüttelte dem bärtigen Boris kräftig die Hände und Boris lud sie alle zu sich in den Wagen ein. Als sie alle ganz eng gedrängt um den kleinen Tisch am Fenster saßen, stellte er eine Buddel auf den Tisch und 3 kleine Gläser, die er mit einer bräunlichen Flüssigkeit füllte. Es war ein starker Kräuterschnaps und Minna Moretti musste zur Begrüßung mit anstoßen. Die Kinder bekamen ein Glas köstlichen Birnensaft. Boris Borlof redete nicht viel. Er verstand zwar die deutsche Sprache, sprach aber nur ein paar Brocken, die er zwischen seinem Bart hervor brummte. Dafür lachte er um so mehr, mit seinem tiefen, dröhnenden Bass. Wahrscheinlich redete er in seiner Sprache auch nicht sehr viel mehr, dachte Zefi. Als der Zirkusdirektor Boris Borlof erzählte, dass sie auf Reisen gegangen waren, um Zirkusartisten für den Zirkus SIMBALLODIMBA zu finden, lachte der Bärenbändiger laut auf, haute dem Zirkusdirektor mit seiner LODIMBA? Da bin ich dabei. Ich und die Brimbola kommen mit dir. Wenn du uns willst." Natürlich wollte der Zirkusdirektor. Mit einem so berühmten Bärenbändiger in der Manege wie Boris Borlof einer war, da würde das Geschäft bestimmt ordentlich brummen. Sie bekräftigten den Beschluss mit einem Handschlag und man konnte dem Zirkusdirektor ansehen, dass er sehr befriedigt war. "Brimbola, ist das der Bär da draussen?", fragte Zefi mutig. "Du hast sie ja schon gesehen, du und deine kleine Freundin.", antwortete Boris und der Zirkusdirektor flüsterte seinem Jungen schnell ins Ohr: "Brimbola ist eine Bärin, weißt du?" Dann gingen sie alle nach draußen, wo die Bärin ihre Mahlzeit gerade beendete. Die Kinder durften ihr zum Nachtisch süße Honigplätzchen geben, die sie ihnen mit ihrem großen Maul vorsichtig aus der Hand schleckte. Auch Minna Moretti hatte von Boris Borlof so ein Honigplätzchen bekommen, doch anstatt es der Bärin zu geben, aß sie es lieber selber auf. Der Zirkusdirektor sagte dem Bärenbändiger, dass er ihm Bescheid geben würde, wenn sie die neuen Zirkuswagen bekämen und weiter fahren könnten. Dann verabschiedeten sie sich von der Bärin und von Boris Borlof und gingen sehr müde in ihre Pension, wo sie nach einer reichhaltigen Mahlzeit in ihre Betten fielen. Die Kinder aber konnten noch lange nicht einschlafen und tuschelten leise über die neue Bekanntschaft. "Ein toller Bär, so groß und mächtig, hast du die starken Krallen gesehen?" fragte Zefi. "Bärin" sagte Anna, "sie ist eine Bärin". Dann schliefen beide ein.

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