Gleich wird es knallen

Matthias Kräutle (Freie Waldorfschule Biberach)

Die Sprachepoche zum Thema „Die Zeiten“ stand nach den Herbstferien an, insofern war genug Zeit für eine eigene Idee. Es musste ein eindrückliches Geschehen her – eines, auf das man als zukünftiges Ereignis hinfiebern kann, womit man die Zeitspanne des „Jetzt“ anschaulich machen kann und worüber gerne gesprochen würde, wenn das Ereignis vergangen ist. Es sollte sich um einen möglichst kurzen Ablauf handeln, da dieser schließlich in sechs Zeiten aufgeschrieben werden muss.

Dieser Einfall kam dann auch rechtzeitig: Ich lasse einen Luftballon zerplatzen. Sofort war der gesamte Ablauf vorgestellt; sogar die Fragen nach der Aufführung waren sofort da: Wie lange dauert das „Jetzt“? Wie lange dauert ein Knall? Dauert das „Jetzt“ länger oder kürzer als ein Knall? Das Material war schnell besorgt und der Ablauf in Kürze vorausgeplant. Mit dieser Idee war es ein Leichtes, sich auf den Unterricht nach den Ferien zu freuen.

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Wie zu erwarten baute sich die Spannung auf, sobald der Luftballon und die Nadel zu sehen waren – eine Erklärung war nicht nötig, der Lehrer verlangte sogar von den Kindern, dass sie über das zu erwartende Geschehen nicht sprechen sollten. Das ergab eine köstliche Stimmung: Alle wussten, was auf sie zukam, aber angesprochen wurde nichts, stattdessen führte der Lehrer den Unterricht einfach fort, nämlich mit den rhythmischen Übungen. Dann war die Klasse aber ausreichend ungeduldig: „Wann geht’s endlich los?“ Darauf bekamen sie die naive Lehrerantwortfrage: „Womit denn?“ Dann platzten die Kinder heraus: „Du lässt den Luftballon knallen!“ Daraufhin folgte die kühle Aussage des Lehrers: „Nein, so sagt man das (zumindest in einer Sprachepoche) nicht. Wie sagt man das richtig?“

Wie sagt man das richtig?“ Da die Klasse ihren Lehrer schon über drei Jahre kennt, war ihnen klar, dass dieses Sprachvorspiel wohl die Bedingung für das kommende Spektakel bedeutete. Also beherrschten sie ihre Ungeduld nochmals und alle erarbeiteten zusammen unter beträchtlichem Druck, dass es „du WIRST den Luftballon aufblasen, du WIRST ihn verknoten...“ heißen muss. Plötzlich aber wurde es einer Schülerin dann doch zu lange und sie meinte: „Wir wissen jetzt, dass es WIRST heißen muss, kannst du jetzt endlich anfangen?“ So ging das Drama endlich seinen Lauf, und doch ereignete sich noch etwas, womit man mit mehr Sorgfalt in der Vorbereitung hätte rechnen können: Wenige Kinder – ausgerechnet ein paar in der vordersten Reihe – bekamen Angst. Sie flüchteten an das hintere Klassenzimmerende und legten sich, die Ohren zuhaltend, auf den Boden. Ihnen wurde aber auch erlaubt, das Klassenzimmer zu verlassen.

Dennoch stellte sich die Frage: Wie erreicht man, dass auch diese Kinder an solchen bedeutsamen Momenten teilnehmen? Dazu jedoch später. Natürlich wurde die Spannung vor dem Knall bis zum Zerreißen provoziert, wie beispielsweise, dass kurz vor dem Stich mehrmals innegehalten werden musste, um noch etwas Wichtiges zu erklären. Dann endlich kam der Knall und die Auflösung dieser ewig langen Anspannung. Erstaunlicherweise war es sogar möglich, relativ ruhig nachzuerzählen, was geschehen war - dies natürlich im Präteritum, also der Vergangenheitsform. Zur Nacherzählung waren die Flüchtlinge wieder anwesend, die, erwartungsgemäß, etwas unzufrieden mit sich selbst waren, dass sie diesen bedeutungsvollen Augenblick verpasst hatten. Wir waren uns einig, dass dieses Spektakel am nächsten Tag wiederholt werden müsste, allein schon wegen der Klassenkameraden, denen eine Anwesenheit bei solch einem Ereignis doch auch vergönnt werden sollte. Diese waren am nächsten Tag dann auch dabei und ertrugen die Spannung, den Knall und die Erlösung sogar in der ersten Reihe. Das war der gelungene Einstieg in die Epoche.

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