Algebra in der Grammatik
Eine Anregung von Matthias Kräutle (FWS Biberach)
Unter Algebra verstehen wir landläufig das Rechnen mit Buchstaben, und das ist Stoff der achten Klasse. Ich höre jetzt schon meine zukünftigen Achtklässler mich genervt fragen: „Wozu brauchen wir das?“ Meine Antwort wird sicherlich nicht lauten: „Weil‘s Spaß macht“. Jetzt sind wir aber in der sechsten Klasse, und von Algebra weit entfernt.
In der Grammatikepoche behandelten wir die Fälle des Objektes (Genitiv usw.). Dort fiel mir auf, dass die Deklinationen immer die gleichen sind, egal welches Wort man verwendet. Im Genitiv, Mehrzahl, weiblich heißt es z.B.: der Frauen, der Taschen usw., nicht: die Frauen, die Taschen. Darauf fiel mir ein, ich könnte somit eigentlich anstatt eines regulären Wortes, wie in der Mathematik einen Platzhalter einsetzen. Natürlich keinen langweiligen Buchstaben, wir sind ja nicht in der achten Klasse. Ich machte den Versuch bei einer Gruppenarbeit.
Die Klasse hatte wie schon öfters drei Worte erhalten, eins männlich, eins weiblich und eines sächlich, und sollte diese Worte durchdeklinieren:
der Mann die Männer
des Mannes der Männer
dem Manne den Männern
den Mann die Männer
die Frau die Frauen ...
das Kind die Kinder …
Nun kam die unvorbereitete Probe. Ich verlangte von den Dreiergruppen die Deklination der Kunstworte: „der Zipfzupf, die Zipfzupf, das Zipfzupf“. Ohne große Unsicherheit zu zeigen, begannen sie mit den Deklinationen:
der Zipfzupf die Zipfzupfe
des Zipfzupfes der Zipfzupfe
dem Zipfzupfe den Zipfzupfen
den Zipfzupf die Zipfzupfe
die Zipfzupf die Zipfzupfe ...
das Zipfzupf die Zipfzupfe …
Sehr beeindruckte mich, dass auch fast alle Gruppen beim Dativ sogar das notwendige „e“ von „Zipfzupfe“ anfügten. Schließlich heißt der Satz ganz ausgeschrieben z.B. folgendermaßen: Ich gebe dem Zipfzupfe die Ehre. Diese erste Algebraanwendung machte schon mal ordentlich Spaß! Und trotzdem bleibt die Frage: Warum machen wir Grammatik, warum Algebra, und in diesem Fall auch noch Algebra in der Grammatik? Die einfachste Antwort ist wohl die, dass Algebra ein Schritt zum abstrakten Denken ist, insofern nötig. Aber Grammatik, diese beherrscht doch fast jeder im Alltag sowieso?
Dazu kann ich mit meinem Erlebnis im Unterricht antworten: Es ist sehr deutlich erlebbar gewesen, dass die Kinder sehr intensiv nachdenken mussten, und tatsächlich war auch spürbar, dass sie auf einer völlig anderen Art zu denken hatten, als z.B. in der Mathematik. Es ist eine andere Qualität des Denkens. Und die Deklination eines Phantasiewortes, war nur eine abstraktere Grammatik, was den Kindern erstaunlich wenig zusätzliche Anstrengung abverlangte, aber durchaus reizvoll war.
Am letzten Grammatikepochentag schrieben wir unseren Abschlusstest, und nun hatte sich jeder Schüler als Zusatzaufgabe mit einem Kunstwort auseinanderzusetzen, und tatsächlich, dieses Wort bereitete den Schülern kaum größere Schwierigkeiten.
das Zottotel die Zotottel
des Zotottels der Zottotel
dem Zottotel den Zottoteln
den Zottotel die Zottotel
die Zottotel die Zottoteln ...