Anbau und Ernte von Rüben

Bericht einer Bauersfrau

ca.  1910

In meinem elterlichen Betrieb wurden viele Runkelrüben ("Runkelröwen") ange­baut.  Zu damaliger Zeit gab es noch nicht das viele Kraft- und Milchfutter für die Kühe wie jetzt. Die Runkelrüben verlangten einen guten Boden mit reichlich Dünger, besonders Mist. Sie wurden hauptsächlich an die Kühe verfüttert für Milcherzeugung im Winter. Auch den Schweinen gab man wohl ab und zu ein paar Runkeln zum Fressen, sie wirkten gut auf die Verdauung.

Im zeitigen Frühjahr, so Anfang April wurde der Runkelsamen ausgelegt. Wir bezogen den Samen meistens vom Gärtner. Es gab gelbe und weiße Rüben. Die gel­ben Rüben konnten sehr dick werden, aber die weißen Rüben enthielten mehr Zucker. Wir verbauten aber meistens die gelben Rüben, die kannten im Durch­schnitt wohl 5 bis 7 Pfund wiegen. Der Samen wurde nun im Garten auf einem gut gedüngten Stück, wo meistens Hühnerdünger untergegraben war, in Reihen ausgelegt. Die Reihen waren so 25 bis 30 cm voneinander, und dann durfte nicht so weit dick gesät werden. Jedes Samenkorn enthält 3 bis 5 feine Samen­körner für sich. Man legte großen Wert darauf, möglichst kräftige Pflanzen zu bekommen. Zwischen den Reihen wurde immer wieder gehackt und von Un­kraut gesäubert. Ende Mai/Anfang Juni, noch vor der Heuernte wurde dann ausgepflanzt aufs große Feld. Die Pflanzen hatten dann auch wohl ihre bestimm­te Größe, so um 25 cm die Rübe, unten meistens so fingerlang und dick wie ein Bleistift. Zum Runkelpflanzen ("Runkelplanten") halfen sich die Nachbarn ge­genseitig. Auch Kinder mussten helfen. Zunächst wurden am frühen Morgen schon die Pflanzen gezogen. Es wurden immer die besten heraus genommen. Man achtete auch immer darauf, dass die Pflanzen ordentlich zusammen kamen und nicht durcheinander, denn alles wirkte schon auf das Gelingen des Pflanzens hin. Der Vater brachte sie mit dem Karren zum Land, und hier wurden sie zu mehreren Haufen abgeladen. Das Feld war schon vorher in mehrere Parzellen eingeteilt und mit einem grünen Zweig abgesteckt. Daher konnte je­der sehen, wo er anfangen und aufhören musste. Man nannte dieses bestimmte Stück "Fack". So viel Pflanzer da waren, meistens waren es 5 bis 6, so viel "Fäcker" waren auch da. Und in jedes "Fack" kam ein Haufen Pflanzen zu lie­gen, so dass jeder sie in greifbarer Nähe hatte. Um zwei Uhr ging meistens die Arbeit los. Bemerken möchte ich noch, dass das Land auch eine gute Lage Mist bekommen hatte. Wir mussten direkt hinter dem Pflug pflanzen. Wir hatten im linken Arm ein Häufchen Pflanzen, so ungefähr 80 Stück konnten es wohl sein. Mit der rechten Hand wurden nun die Pflanzen direkt an der Furche ge­legt, so ungefähr 35 bis 40 cm auseinander. Man musste immer schön aufpas­sen, nicht zu hoch und nicht zu niedrig. Wenn die zweite Furche da war, dann wurden die Pflanzen angedrückt mit Daumen und Zeigefinger beider Hände. Sie mussten mit der Rübe bis zum Hals in der Erde stehen, dann war das Andrücken ein Leichtes. Aber es konnte auch wohl vorkommen, dass die Pflanzen mit dem Bauen zu tief in die Erde kamen oder auch wohl gar nicht mit Erde bedeckt waren. Wenn ersteres zutraf, musste man die Pflanze heraufziehen bis zum Hals und dann festdrücken. War die Pflanze aber gar nicht mit der Erde in Be­rührung gekommen, dann wurde einfach ein neues Loch gemacht. Man steckte die linke Hand in die lose Erde und zog sie etwas nach vorne, und mit der rechten Hand wurde in diese Öffnung die Pflanze gesetzt. Es musste alles sehr schnell geschehen, denn die Zeit war früher auch sehr kostbar. Am besten war es, beim Hinlegen der Pflanzen das rechte Maß zu beobachten. Dann hatte man viel Zeit gewonnen. Die Reihen waren so 40 cm auseinander, so dass die Pflanzen ungefähr im Quadrat standen.

Sa ging die Arbeit laufend weiter, bis abends dann das Feld fertig war. Es war im Allgemeinen nach keine leichte Arbeit, da wir alles in gebückter Stel­lung machen mussten. Die Pflanzen wuchsen bei gutem Wetter schnell heran. Es musste dunkel und warm sein. Brennende Hitze und Platzregen waren nicht gut. Schon bald zeigte sich auch das Unkraut, und so mussten wir schon anfan­gen zu hacken. Wir konnten am besten dazu die kleine Schaufelhacke ("Kres­ser") gebrauchen. Die ist etwas spät herausgekommen. Vorher gebrauchten wir die drei- oder vierzinkige Hacke ("Hacker"). Es kam auch wohl vor, dass hier und da Pflanzen eingingen. Sie wurden sofort durch neue frische Pflanzen ersetzt. Wir nannten das in plattdeutsch "Noplanten" (Nachpflanzen). Es durf­te ja keine kahlen Stellen auf dem Acker geben. Nach mehreren Wochen, wenn alles im vollen Wachstum war, wurden die Runkeln angehäufelt, man zog mit einem kleinen Einscharpflug durch die Reihen, dieser Pflug wurde von einem Pferd gezogen. Das Pferd wurde von einem Mann am Kopf geführt, und der Pflug wurde van einem Mann gesteuert. Alles wurde ganz vorsichtig gemacht, dass ja keine Pflanzen beschädigt wurden. Man nannte diese Arbeit    "Runkeln anbaun". Hierdurch wurde viel Unkraut bekämpft. Die Pflanzen wuchsen jetzt auch schneller und kamen bald mit den Blättern aneinander. Dann bekam das Unkraut keine Luft. So war vorerst die meiste Arbeit an den Runkelrüben ge­tan. Wir waren dann auch froh, denn es war ja schon in der Heuernte. Im Herbst konnte man schon die Runkeln blättern. Ein begehrtes Futter für die Schweine.

Um Allerheiligen war nun die Zeit da, dass man die Runkeln ernten konnte. Keine schöne Jahreszeit, meistens war es nasskalt. Ja, mitunter konnte es schon frieren. Am Vormittag wurden nun die Runkeln gezogen, wir nahmen immer zwei Reihen vor und legten diese geordnet in eine Reihe. Wir wurden unten immer gut durchnässt, weil sich das Wasser von Tau und Regen in den Blättern aufhielt, ja so­gar Eisstücke waren manchmal zu finden. Mit einem scharfen Spaten wurde nun das Laub von den Runkeln abgestoßen. Das war meistens Männerarbeit. Am Nachmittag wurden sie mit dem Kastenwagen nach Hause gefahren zu einer Miete. Wir mussten aber sämtliche Rüben mit der Hand auf- und abladen. Die oberste Schicht wurde schön aufgepackt. Dann mit Stroh bedeckt, dann kam eine gute Schicht Laub darüber, was wir fuderweise  aus dem nächstgelegenen Wald holten. Zuerst kam eine dünne Schicht Erde darüber. Auch wurden zwei kleine Drainage-Rohre oben aufgestellt. Dann konnten die Rüben besser aus­atmen. Auf dem Acker blieben die Runkelblätter liegen und wurden tief unter­gepflügt, und anschließend Weizen gesät, denn Runkelland war sehr geeignet für Weizen.

Im Ersten Weltkrieg mussten wir viele Steckrüben (Riesen) anbauen. Sie waren schwer zu ziehen. Es gab weiße und gelbe Steckrüben. Die gelben waren gut geeignet zum Kochen. Die Bearbeitung war dieselbe wie bei den Runkeln, die Steckrüben hatten lange nicht das Gewicht wie die Runkeln, waren aber viel fester und zäher. Damals mussten wir sie alle abliefern, denn die Zeit war noch schlimmer als im letzten Krieg. Wenn uns die Leute in der Stadt sahen mit den Steckrüben, so riefen sie schon von Weitem:   Bleibt doch fort mit euren Steck­rüben. So leid waren es die Leute mit dem Steckrübenessen.

Als letzte Hackfrucht kamen wohl die Stoppelrüben ("Herbströwen"). Sie wurden gleich nach der Ernte ausgesät, das heißt, wenn die Stoppeln untergepflügt waren. Damit hatte man wenig Arbeit, sie verlangten aber gute Düngung. Am besten war immer noch Jauche. Im Herbst, wenn das Vieh aufgestallt wurde, konnte man die Rüben schon verfüttern. Es werden heute auch noch diese Rü­ben (Knollen) angebaut, und sogar für Silos. Aber der Anbau der Runkelrüben ist mächtig zurückgegangen. An ihre Stelle ist der Mais gekommen auch haupt­sächlich für Silos, und damals als Mast- und Milchfutter verfüttert. Es hat früher keiner geträumt, dass man hier zu Lande noch Mais verbauen könnte.

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