Die Reihen für Bilddenker

Ein Beitrag von Isabella Geier (Freie Waldorfschule Augsburg)

Vorwort
Manche Kinder können sich die Reihen des Einmaleins einfach nicht merken. Mit der im Folgenden beschriebenen Methode habe ich in meiner Tätigkeit als Förderlehrerin sehr gute Erfahrungen gemacht. Es waren die Kinder selbst, die mitgeholfen haben, die Methode auszufeilen. Vielen Dank an Euch alle! Nun ist es mir ein Anliegen, möglichst vielen weiteren Kindern das Erlernen des Einmaleins zu erleichtern. Darum diese Broschüre.

Voraussetzungen
Bevor die Methode angewendet werden kann, sollte das Kind das Prinzip einer Reihe verstanden haben. Wenn es durchschaut, dass eine Reihe bedeutet, auf dem Zahlenstrahl von eins bis hundert gleichgroße Abschnitte einzuteilen, und wenn es versteht, dass Malnehmen nichts anderes als das Addieren der immer gleichen Menge bedeutet, der immer gleichen Zahl, dann wird es die Methode nicht nur mechanisch anwenden, sondern mit verstehendem Bewusstsein begleiten. Wichtig ist natürlich auch, dass das Kind den Zehnerübergang beherrscht. Es muss ihm klar sein, was Einer und was Zehner sind, und welche Zehner zwischen zehn und hundert nacheinander folgen. Und die dritte und letzte Voraussetzung ist, dass jede Reihe, die mit dieser Methode gelernt wurde, dann auch mindestens eine Woche lang täglich geübt, und danach ab und zu wiederholt wird. Dann ist der Lernerfolg quasi garantiert.

Die Methode
Schritt eins:
Das Kind legt die Zahlen 1 – 9 und eine 0 aus weichem Kunststoff so auf den Boden, wie sie z.B. beim Festnetztelefon angeordnet sind. Wenn keine Zahlen aus Kunststoff verfügbar sind, dann können die Zahlen auch einfach mit Kreide auf den Boden geschrieben werden.

Schritt zwei:
Das Kind stellt sich ohne Schuhe auf die Anfangszahl der Reihe, die gelernt werden soll, also z. B. auf die 7. Die Lernbegleiterin/der Lernbegleiter sagt dem Kind nun eine Zahl der 7er-Reihe nach der anderen. Das Kind wiederholt sie, sucht sie mit den Augen, macht einen Schritt und steht dann auf der genannten Zahl, und zwar immer auf dem Einer, die Zahl mit den Fußsohlen ertastend. Also bei 21 auf die 1, bei 35 auf die 5 usw. Es erkennt dabei ein Muster. Dieses Muster, das es mit seinem Willen Schritt für Schritt erobert, führt es von da an sicher von Zahl zu Zahl. Wenn es auf der 8 von 28 steht, weiß es, dass es danach auf die 5 und dann auf die 2 muss. Das Beherrschen der Reihenfolge der Zehnerzahlen hilft ihm die 5 zur 35 zu ergänzen, die 2 zur 42. Meistens braucht es nur 2 – 3 Runden um das Muster und damit die Zahlen der Reihe zu erfassen. Und es ist gut das Ganze auch rückwärtsgehen zu lassen, um es noch besser zu verankern. Es wird solange geübt, bis das Kind alle Zahlen ohne Hilfe in der richtigen Reihenfolge vorwärts und rückwärts gehen und sagen kann.

Wenn das Kind einige Reihen gelernt hat, wird es erkennen, dass die Reihen 2, 4, 6 und 8 nur ganz bestimmte, eben nur die geraden Zahlen enthalten. Die Muster variieren nur in deren Reihenfolge.

Bei den Reihen 1, 3, 7 und 9 kommen dagegen alle Zahlen vor. Auch da variiert nur die Reihenfolge. Die Variationen sind nicht sehr groß. Das spielt beim Erlernen einer einzelnen Reihe keine Rolle, später beim Wiederholen der ein oder anderen Reihe aber schon. Jedoch können sich die Kinder die ersten 3 – 5 Zahlen einer Reihe meistens ganz gut merken und sehen dann nach ein paar Schritten, um welches Muster es sich handelt.

Schritt drei:
Jetzt werden die Zahlen weggeräumt, oder das Kind wird an eine andere Stelle des Raumes geführt. Nun geht und sagt es die Reihe noch einmal, als lägen die Zahlen noch auf dem Boden, und zwar wieder vorwärts und rückwärts.

Das klappt meistens auf Anhieb. Wenn nicht, wird Schritt zwei noch einmal wiederholt. Das Kind hat also nicht nur die Anordnung der Zahlen auf dem Boden abgespeichert und sieht sie vor seinem inneren Auge, sondern auch die Abfolge der Zahlen nach dem Muster der jeweiligen Reihe in seinem Bewegungsapparat. Das Kind weiß aber noch nicht unbedingt, wievielmal 7 die 35 beispielsweise ist. Das kann es sich einprägen, indem es mit den Fingern die Schritte mitzählt. Bei der ersten Position streckt es den Daumen, bei der zweiten den Zeigefinger, bei der dritten den Mittelfinger usw. So hat es bei der letzten Position, der 0, alle 10 Finger streckt.

Schritt vier, bzw. Schritt eins in der abgekürzten Variante:
Das Kind setzt sich und stellt sich nun die Anordnung der Zahlen auf dem Tisch vor. Dann macht es den Weg der Reihe mit den Fingern. Dabei benutzt es zuerst den Daumen, dann den Zeigefinger, Mittel-, Ring- und kleinen Finger. Die zweite Hälfte der Reihe macht es dann mit der anderen Hand in der gleichen Reihenfolge. Viele Kinder können die beiden Hälften der Reihe auch mit der gleichen Hand machen und wissen trotzdem, dass sie insgesamt 10 (Finger)-Schritte gemacht haben. Optimal ist es, wenn das Kind dabei die Position benennt, also beim Daumen: 1 x 7 = 7, beim Zeigefinger: 2 x 7 = 14, usw. (Foto links). Manche Kinder haben damit aber Schwierigkeiten und erfassen die Position eher intuitiv über die Position der Finger. Auch mit den Fingern wird die Reihe vorwärts und rückwärts geübt.

Wenn es eher um das Wiederholen und Festigen, nicht um die erste Erarbeitung geht, überspringe ich das Laufen und lasse die Kinder einen Mini-Taschenrechner zeichnen, ca. 5x7cm (Foto rechts). Dann werden die Reihen gleich mit den Fingern „eingetippt“. Vorwärts und rückwärts. Danach wird der Rechner auf die Seite gelegt und die Reihe auf den Tisch getippt. Es wird nur noch geschaut, wenn es gar nicht mehr weitergeht.

Schritt fünf:
Dem Kind wird nun aufgetragen, eine Woche lang die neu gelernte Reihe täglich einmal mit Schritten auf dem Boden und mit den Fingern auf dem Tisch zu üben, selbstverständlich vorwärts und rückwärts. Das ist wirklich wichtig, um sie sicher im Gedächtnis zu verankern. Hier übernimmt das Kind die Verantwortung für seinen Lernerfolg.

Schritt sechs:
Beim nächsten Treffen nach einer Woche wird die Reihe wiederholt. Jetzt soll das Kind noch lernen, die Zahlen der Reihe durcheinander nennen zu können. Dazu eignet sich das „Fingerwackeln“, wie ich es nenne. Kind und Lernbegleiterin/Lernbegleiter sitzen sich gegenüber. Letztere(r) stützt die Ellenbogen auf den Tisch und hält die beiden Hände mit der Innenfläche zum Kind nebeneinander nach oben. Sie/er sagt dem Kind, an welcher Seite die Reihe mit der Position 1 beginnt. Dann sagt sie/er beispielsweise: 5 x 7 und bewegt den 5. Finger. Das Kind überlegt und sagt dann 35. Danach wackelt beispielsweise der 9. Finger, während das Kind 9 x 7 hört und darauf 63 sagt. Je nachdem, wie lange das Kind überlegen muss, werden wenige Positionen immer wieder abgefragt, bis weitere dazukommen.

Schritt sieben:
Das Gelernte wird an Hand von entsprechenden Rechenaufgaben angewendet. Außerdem soll die Reihe zu Hause einmal die Woche geübt werden, wobei es genügt, die Reihe einfach vorwärts und rückwärts zu sagen. Wenn es Unsicherheiten gibt, kann jederzeit auf das Muster zurückgegriffen zu werden.

Vorteile:
Diese Methode kommt Kindern entgegen, die vorzugsweise mit der rechten Hirnhälfte arbeiten, also den so genannten Bilddenkern. Oft sind das Kinder, die eine Lese- und/oder eine Rechtschreibstörung haben. Es gibt aber auch viele Bilddenker, die gar kein Problem haben, sich die Reihen zu merken. Das Lernen der Reihe fällt ihnen mit dieser Methode trotzdem leichter. Es geht einfach schneller.
Aber auch Kinder mit einer Lernschwäche kommen erfahrungsgemäß mit dieser Methode besser zurecht als mit denen, die im Klassenverband üblicherweise angewendet werden.

Die Reihe als Stern
Die Idee mit den Mustern gibt es auch als Anordnung der Zahlen im Kreis. Dann ergeben die Reihen verschiedenartige Sterne, wenn man die Punkte auf dem Kreis der Reihe nach verbindet. Das ist ästhetischer, außerdem erkennen die Kinder beim Laufen, wenn die Zahlen o – 9 im Kreis angeordnet auf dem Boden liegen, dass sie immer die gleiche Anzahl Schritte weitergehen müssen.

Das Wesen der Reihe wird also bewusster, auch wenn man nach dem ersten Bewusstmachen praktischerweise bei der 6er-Reihe statt 6 Schritte nach vorn, immer vier, bei der 7er-Reihe immer 3, bei der 8er-Reihe immer 2 und bei der 9er-Reihe immer einen Schritt zurückgeht.
Ich fange meist mit dem Stern an um das Wesen der Reihe bewusst zu machen. Für das Wiederholen oder Auffrischen gehe ich zum „Taschenrechner-Muster“ über, bzw. ich schaue einfach, mit welchem Muster das Kind sich leichter tut.

Zusammenfassung der schnellen Variante:

Rechner zeichnen (ca. 5x7cm) > Reihe mit dem Finger vorwärts und rückwärts in den Rechner tippen > Rechner beiseitelegen u. Reihe auf den Tisch tippen.

Schluss:
Ich hoffe, diese Anregungen tragen dazu bei, vielen Kindern mit Schwierigkeiten, bedingt durch die langen Corona-Pausen oder durch etwas anderes, das Erlernen und Üben des Einmaleins zu erleichtern.

Ich freue mich über jedes Feedback, das geeignet ist, die Methode zu verbessern oder zu ergänzen.
Isabella Geier, isabella.geier@waldorf-augsburg.de