Variationen beim Rezitieren
Ein Beitrag von Siegmund Baldszun
Als Lehrende sind wir erst einmal schon zufrieden, wenn unsere Klasse die Sprachübung, das Verslein, das Sprüchlein oder das Gedicht ordentlich zusammen sprechen und mit der Zeit auch gelernt haben. Aber nur zu leicht kommen wir in eine Art "Waldorf-Leiern" hinein. Wie können wir das vermeiden? Die bloße Bitte, doch nicht so langweilig zu sprechen, oder die Aufforderung, jetzt doch mal kräftig zu sprechen, sind zu abstrakt und reichen oft nicht. Wie können wir die Sache künstlerisch, kindgemäß angehen?
In dem grundlegenden Handbuch "Enseigner dans la joie - Französischunterricht in den Klassen 1-4" finden sich viele Anregungen dazu.
So können wir z.B. die Kinder bildhaft zu verschiedenen Sprechstimmungen anregen indem wir verschiedene Sprechweisen kurz charakterisieren:
- gemütlich, wie eine liebe Großmutter (patiente comme la bonne grand-mère)
- feurig und wild, wie ein Wirbelwind (furieux et sauvage comme un ouragan)
- sanft, wie Kätzchen (doux comme un petit chat)
- schnell wir der TGV nach Paris (rapide comme le TGV à Paris)
Eine andere Möglichkeit ergibt sich als Anregung aus der Stimmung der 4 Temperamente, die uns auch zu einem etwas theatralischerem Ausdruck ermutigen dürfen (ohne dabei zu sehr in Klischees zu verfallen):
- triste et philosophique (mélancholiquement) comme le petit Pierrot.
- fort et ferme (cholériquement) comme la grande Caroline.
- drôle et joyeux (de manière sanguin) comme la petite Madeleine.
- tranquille et paresseux (phlegmatique) comme le bon Gustave.
Als weitere Variationsmöglichkeiten bieten sich die unterschiedlichsten Aufteilungen an:
- die ganze Klasse zusammen
- die rechte Hälfte alternierend mit der linken Hälfte
- eine Bankreihe nach der anderen
- nur jeweils ein Tisch bzw. eine Bank mit 2 Kindern
- alle stellen sich auf die Bank/den Stuhl und sprechen von oben
- nur 6 Kinder vorne vor der Klasse
- zwei Kinder draußen vor der Tür mit einer bestimmten Textstelle
- alle nur flüsternd (vor der Tür kontrolliert ein Kind, ob es etwas versteht)
- alle mit geschlossenen Augen
- eine Gruppe geht rezitierend um die Klasse herum
- ginge es auch im Kanon mit 2-3 Einsätzen hintereinander?
- Wer könnte den Text von hinten anfangen?
- ein Kind darf heute die Variationsart bestimmen und sich etwas wünschen
- usw.
Kurzum, es gibt unendlich viele Variationsmöglichkeiten, die durch die Gesichtspunkte von Raum, Zeit und Bildhaftigkeit angeregt werden. Dabei spielen die jeweiligen Polaritäten und deren Zwischenstationen eine wichtige inspirierende Rolle, wie z.B. bei der Spannung zwischen Gruppe und Solist deutlich werden kann.
Wichtig wäre noch, dass wir als Lehrende immer wieder genau beobachten und reflektieren, welche Variation wie auf die Kinder gewirkt hat, was zu vermeiden wäre oder was sich pädagogisch als fruchtbar erwiesen hat.
Bon travail!
