Veränderung im Erleben einer selbstverständlichen Autorität

Rudolf Steiner, aus der GA 297a, 4. Nov. 1922

[…] Wenn wir dem Kinde Unterricht erteilen, so bemerken wir, dass es vor diesem Augenblick, der etwa zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahr liegt, noch nicht sich selber ordentlich von der Umwelt unterscheidet, nicht ordentlich sich als Ich erlebt - wenn es auch längst «Ich» zu sich sagt. In diesem Augenblicke des Lebens lernt es sich so recht unterscheiden von der Umwelt. Wir können jetzt nicht mehr bloß auf das Kind wirken mit Märchen, mit allerlei Unterricht, wobei wir die Außenwelt beleben. Wir können jetzt schon die Aufmerksamkeit darauf richten, dass das Kind sich von der Außenwelt als «Ich» unterscheidet.

Aber noch etwas wesentlich anderes tritt ein, das ganz tief mit dem moralisch sich Entwickelnden zusammenhängt. Das tritt ein: In der anfänglichen Zeit jener Lebensepoche, in der das Kind der [selbstverständlichen] Autorität hingegeben ist, nimmt es diese autoritative Persönlichkeit so, wie sie ist. Zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre - es braucht sich dessen sogar nicht bewusst zu sein, es kann tief im Empfindenden, im, wie man sagt Unterbewussten vor sich gehen, aber da ist es —, da sieht sich das Kind durch seine Entwickelung gewissermaßen gezwungen, hindurchzuschauen durch die autoritative Persönlichkeit auf das, von was diese autoritative Persönlichkeit selbst getragen ist. Diese autoritative Persönlichkeit sagt: Das ist wahr, das ist gut, das ist schön. - Jetzt möchte das Kind fühlen und empfinden, woher dasjenige bei der autoritativen Persönlichkeit kommt, was das Wissen über das Gute, Wahre, Schöne ist, das Wollen im Wahren, Guten, Schönen ist. […]