Das Wunder der Farbe

Ein Beitrag von Jörg Frenzel (Freie Waldorfschule Kaltenkirchen)

Einführung und etwas Farbtheorie

Eine Welt ohne Farben? Undenkbar! Jedes Jahr erleben wir aufs Neue das Wunder des Frühlings. Wie ausgezehrt nach dem langen grauen Winter lechzen wir nach Licht und Farben. Das satte Grün der Wiesen, das zarte helle Gelb-Grün der noch ganz jungen Blätter, die leuchtenden Farben der Krokusse, die sich durch das abgestorbene braungraue Laub des Vorjahres ihren Weg ins Licht bahnen. Das leuchtende Gelb der Narzissen zu Ostern. Das gelbe Meer der Rapsfelder. Und so geht es weiter im Jahreslauf. Der Juni betört uns mit dem tiefen Rot der Rosen, dem geheimnisvollen Violett des Flieders, gepaart mit seinem schweren unvergleichlichen Duft.

Unendlich die Vielfalt der Grüntöne, unendlich das Blau des Himmels. Der Juli schenkt uns das Goldgelb des reifen Korns und schließlich schließt der Herbst mit einer wahren Explosion der Farben von Pflanzen und Früchten den jährlichen Reigen. Schon am Beispiel der Pflanzen lässt sich die Vielfalt der Farben und deren Wirkung auf unser Empfinden eindrücklich zur Anschauung bringen. Auch die Farben der Tierwelt versetzen uns in Erstaunen und erfüllen uns mit Ehrfurcht vor der Schönheit der Natur. Denken wir nur an die Pracht exotischer Vögel oder Fische! Farben begleiten und durchdringen unser Leben, auch in der Mode, in der Kunst, im Design. Sie stimmen uns leicht und heiter, ernst oder feierlich, wecken unsere Leidenschaft oder wirken geheimnisvoll und verinnerlichend. Farben können uns beruhigen oder in Erregung versetzen. Kinder sind fasziniert von Farben. Es gibt wohl kaum ein Kind, das nicht spontan mit Buntstiften oder Malfarben jeglicher Art auf Papier, Wänden oder auf dem Bürgersteig seinem inneren Empfinden Ausdruck verleiht. Diese Bilder sind meist erzählender Natur. Sie spiegeln die Erfahrungswelt des jungen Menschen wider. Die Farben werden ihren Vorstellungen entsprechend gewählt. Der Himmel wird durch einen blauen und der Boden durch einen Balken dargestellt. Die Luft dazwischen wird weggelassen, da man sie nicht sehen kann. Die Farbe hat einen assoziativen, erzählenden Charakter.

Der künstlerische Umgang mit der Farbe beginnt in dem Moment, wo ich die Farben unabhängig von ihrer lediglich beschreibenden Funktion als eigenständige Qualität erlebe und einsetze. Welche Farbe passt zu dieser und welche nicht? Welche Farben steigern sich gegenseitig? Wie wirkt ein Rot, ein Gelb, Grün oder Blau auf mich, ganz unabhängig von dem Gegenstand, an dem ich die Farbe wahrnehme? Wie steigere ich die Wirkung der Farbe durch Reduktion auf wenige? Hier beginnt das Abenteuer der Farbe, das Abenteuer der Malerei.

„Malen ist das Denken in Farben!“ Zu diesem bewussten Umgang mit der Farbe will dieser Beitrag einen ersten Einstieg bieten.

Dazu können wir einen einfachen handelsüblichen Tuschkasten mit meist 12 Farben benutzen. Es gibt natürlich Kästen mit einer schier überwältigenden Auswahl an Farbtönen. Wir werden sehen, dass ich das eigentlich nicht brauche, da ich fast alle Töne aus wenigen Ausgangsfarben mischen kann.

Das Kind oder auch der unerfahrene Erwachsene wird dazu neigen, die Farben ungeordnet und bunt nebeneinander zu setzen. Aber auch das ist schon ein faszinierendes Erlebnis. Schon das einfache Eintauchen des Pinsels und das Setzen von Farbflecken kann eine inspirierende Erfahrung sein. Wichtig ist beim Malen in jedem Fall das TUN, das AUSPROBIEREN! Spielen Sie mit den Farben herum und ertappen Sie sich dabei, wie ein Gelb, ein Rot, ein Grün, ein Blau oder ein Violett auf Sie wirkt! Welche Bilder, welche Gefühle steigen in Ihnen auf?

Und - was ist überhaupt „Rot“?

Der Tuschkasten bietet meist 2 Varianten an. Das leuchtende Orange-Rot (Feuerrot, Zinnoberrot) und das dunklere blaustichige Karminrot, das sich manchmal schon in Richtung Pink bewegt. Beim Blau finden wir meist ebenfalls 2 Varianten: das rotstichige Ultramarin und das grünstichige Preußisch-Blau.

An dieser Stelle scheint mir ein kurzer Exkurs in die Farbtheorie angebracht. Wir unterscheiden grundsätzlich 2 Arten von Farbmischungen:

Subtraktive Farbmischung

Mische ich physische (materielle) Farben miteinander, so ist das Ergebnis stets dunkler als die Ausgangsfarben. Das „subtraktiv“ (lateinisch: abziehen) bezieht sich also auf die geminderte Helligkeit. Alle Farben lassen sich theoretisch aus 3 Grundfarben ermischen. Diese „Primärfarben“ hingegen lassen sich nicht aus anderen Farben ermischen. Es sind die Farben Gelb, Rot (Magenta) und Blau. Alle weiteren Farben ergeben sich aus der Mischung dieser Farben. Mische ich 2 Primärfarben miteinander, erhalte ich die Sekundärfarbe, aber stets eine weitere rein-bunte Farbe (Rot und Blau ergibt Violett, Gelb und Rot ergibt Orange, Gelb und Blau ergibt Grün). Mische ich alle 3 Primärfarben, entstehen gebrochene „unbunte“ Farben, die Tertiärfarben wie z.B. Braun oder ein Olivgrün. Diese sind deutlich dunkler als die Ausgangsfarben und wirken weniger strahlend. Mische ich die Primärfarben zu gleichen Teilen, entsteht ein neutrales Grau, im Idealfall Schwarz. Diese Farbmischung findet bei allen Malfarben und auch beim Druck Anwendung. (In einem Farbkopierer finde ich z.B. Patronen mit Magenta, Gelb, Cyanblau und zur Erhöhung des Kontrastes das Schwarz. Das rasterartige Übereinanderdrucken dieser Farben ergibt alle weiteren Farben)

Additive Farbmischung

Mische ich (körperlose) Lichtfarben miteinander, ist das Ergebnis stets heller als die Ausgangsfarben. Deshalb „additiv“ (lateinisch: hinzufügen), bezogen auf die Helligkeit. Interessanterweise ergeben sich die Grundfarben des Lichts aus der Mischung der Grund-Körperfarben - also Blau-Violett (Ultramarin), Zinnoberrot und Grün – und umgekehrt! Die additive Farbmischung findet in der Bühnenbeleuchtung, beim Fernsehen oder Computer-Monitor ihre Anwendung. Mische ich die Grundfarben des Lichts, ergibt sich Weiß. Die beiden Farbmischungen sind also konträr und bedingen sich doch gleichzeitig! Die erste scheint in die Verdichtung, in die Materie zu drängen, die zweite in die Entmaterialisierung, in das Geistige.

In der Abbildung sehen wir, dass das, was wir meist mit „Rot“ assoziieren, eigentlich eine Mischfarbe ist, das Gelb-Rot. Das erklärt auch, dass ich mit diesem Rot niemals ein Violett ermischen kann, wenn ich Blau hinzugebe. Es wird immer ein schmutziges Braun ergeben. Ich müsste hierzu immer ein blaustichiges Karminrot (Magenta) und ein rotstichiges Blau (Ultramarin) wählen!
 

Der Farbkreis

In der Vergangenheit haben sich viele Forscher und Künstler mit der Theorie der Farbe auseinandergesetzt und versucht, diese in einem System darzustellen. Die heute gebräuchlichste Form ist der Farbkreis nach Johannes Itten (1888-1967), der an der Werkkunstschule „Bauhaus“ in Weimar lehrte. Im Zentrum sehen wir die 3 Primärfarben Gelb, Rot und Blau, aus denen sich in der 2. Stufe die Mischfarben Orange, Grün und Violett ergeben. Die Primärfarben und deren Mischfarben finden sich im 12teiligen Umkreis und erzeugen untereinander eine weitere Mischfarbe. Alle Farben bestehen aus lediglich 2 Grundfarben, sind also rein-bunte Farben. Die warmen rot-gelben Farben und die eher kühlen, dunklen Blau- und Grüntöne liegen sich wie Tag und Nacht gegenüber. Genau diametral gegenüber liegen sich das Orange und das Blau-Grün (Zyan), die Farben also, die wir als am wärmsten und am kältesten empfinden. Die Farben, die sich im Kreis genau gegenüber liegen, bezeichnet man als Komplementärfarben. Sie werden vom Auge selbsttätig erzeugt und erscheinen als Nachbild. Schaue ich z. B. lange auf ein intensives Gelb und richte dann meinen Blick auf eine weiße Fläche, erscheint ein Violett, bei Rot ein Grün. (Ausprobieren!) Diese Farben steigern sich also gegenseitig und wurden und werden in der Malerei immer wieder bewusst angewandt. Auch in der Pflanzenwelt stoßen wir immer wieder auf diesen Kontrast. Denken wir nur einmal an das Feuerrot einer Rosenblüte inmitten der dunkelgrünen Blätter oder das Violett im Hellgrün des Flieders oder das Gelb und Violett in der Krokusblüte! Vielleicht ist es ja so, dass das menschliche Auge, die menschliche Seele das Einseitige nicht erträgt. Es drängt sie zum Ausgleich. Mit der Komplementärfarbe ist der Farbenkreis „komplett“. Alle Farben neutralisieren sich zu einem farblosen Grau! Die Lichtfarben addieren sich zum lichten Weiß!

Dies sollte ein kurzer Einstieg in die Wunderwelt der Farben sein. Nun wollen wir uns der Praxis zuwenden!