Blut ist ein ganz besonderer Saft

Dass Blut ein ganz besonderer Saft ist, wusste nicht nur Goethe. Das rote Lebenselixier hat zu allen Zeiten und in allen Kulturen eine Bedeutung gehabt, die weit über die biologische oder medizinische Bedeutung hinausgeht. Die Vorstellung vom Blut als Sitz der Seele ist bereits im altbabylonischen und ägyptischen Gedankengut vorhanden. Es gilt vielfach als das göttliche Lebenselement, das in den Menschenkörpern wirkt und ungebrochene Vitalität symbolisiert. Blutopfer stellten eine besondere Form der rituellen Zeremonie dar, bei der tierisches oder menschliches Blut einer Gottheit dargeboten wird, und sie ist ein wesentliches Merkmal archaischer Kulte in praktisch allen Kulturen der Welt.

Dafür gibt es viele Beispiele in afrobrasilianischen Religionen oder den Mysterienreligionen. Im zur römischen Kaiserzeit gepflegten Mithras- und Kybele-Kult wurden die Gläubigen mit dem Blut geopferter Stiere übergossen, deren Lebenskraft sie sich aneignen sollten. Im Aztekenreich Altmexikos war Menschenblut für die Stärkung der Sonne - die bei ihrem nächtlichen Weg durch die Unterwelt kraftlos geworden war - ein unerlässliches Mittel, das allein die kosmische Ordnung aufrechterhalten konnte. Und bei den Mayas im südlichen Mittelamerika wurden die Götter in Form von Blutopfern genährt. Blut - von den Mayas auch »die kostbare Flüssigkeit« genannt - war das Getränk der Götter.

Auch in der christlichen Kultur lebt die mystische Bedeutung des Blutes fort: Im Alten Testament schlachtet Moses den Stier und verteilt das Blut mit seinem Finger auf dem Altar, um ihn zu entsündigen. Und im Neuen Testament lässt der Evangelist Johannes Jesus sagen: »Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns esst und sein Blut nicht trinkt, so habt ihr kein Leben in euch«. Bis heute spricht der Priester bei der Wandlung in einem katholischen Gottesdienst die Worte: »Nehmet und trinket alle daraus: Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden.«

Man wusste, dass im Blute des Menschen etwas lebt, was eine höhere Bedeutung hat. So stammt der berühmte Eingangssatz "Blut ist ein ganz besonderer Saft" aus dem goetheschen Faust. Mephisto spricht ihn zu Faust, als dieser den Vertrag des Teufels mit seinem Blut unterschreiben soll. Das Blut schafft Bindung. In Familien, Dorfgemeinschaften, aber auch Volksgemeinschaften fühlte man das: Die Blutsverwandtschaft bindet Mensch an Mensch. Bei den Pharaonen des alten Ägyptens war beispielsweise die Geschwisterheirat nicht ungewöhnlich. Man sah das Blut als Träger der Geistigkeit. Je reiner und begrenzter man das Blut in den Erbströmen hielt, desto größer war die erwartete Machtkonzentration im Geistigen.

Blutsbindungen konnte man jedoch auch freiwillig eingehen. Dann sprach man von so genannter Blutsbruderschaft. Symbolhaft mischte bzw. vereinte man hierbei das eigene Blut mit dem eines anderen. Eine Verbindung der höheren Art war besiegelt. Das Blut hängt stark mit unserem ICH zusammen. Ist der Verlust an Blut zu groß, so verliert man sein Bewusstsein.