William Gilbert - die erste fundierte Grundlagenarbeit

Ein Beitrag von Georg Farwick

Kurzer Lebensabriss

William Gilbert, auch als Gilberd bekannt, war eine Schlüsselfigur der Neuzeit, dessen Beiträge zur Elektrizität und Magnetismus wegweisend waren. Neben Galileo Galilei und Johannes Kepler gilt er als Mitbegründer der neuzeitlichen Physik. Gilbert wurde 1540 in England geboren und starb am 30. November 1603. Obwohl er vor allem als Arzt bekannt war, widmete er sich mit großem Eifer naturwissenschaftlichen Fragen, insbesondere den Phänomenen des Magnetismus und der Elektrizität. Zuvor beschäftigte er sich auch mit chemischen Themen, verlagerte seinen Fokus jedoch auf diese beiden Gebiete.

Sein Interesse am Magnetismus hatte vermutlich zwei Hauptgründe: Zum einen spielte der Kompass, ein zentrales Instrument der englischen Seefahrt, eine entscheidende Rolle. Zum anderen war Gilbert als Arzt mit der seit der Antike behaupteten heilenden Wirkung von Magnetsteinen vertraut.

Trotz seiner bahnbrechenden Erkenntnisse zögerte Gilbert lange, seine Arbeiten zu veröffentlichen. Erst 1600 erschien sein Werk in London, das bald als Standardwerk für Elektrizität und Magnetismus galt und bis 1628 allein in Deutschland drei Auflagen erlebte. Sein Vorwort verrät die Gründe für seine Zurückhaltung. Dort schreibt er mit scharfer Kritik an die Wissenschaftsgemeinschaft: „Warum soll ich diese neue und unzulässige Philosophie dem Urteil derjenigen Leute aussetzen, die darauf eingeschworen sind, den Ansichten anderer zu folgen, den gefühlslosen Verderbern der Wissenschaft, den gelehrten Clowns, den Federfuchsern, Sophisten, Salbadern und dem starrköpfigen Pöbel, um angeprangert, in Fetzen gerissen und mit Hohn überhäuft zu werden?“

Trotz dieser Bedenken blieb sein Werk ein unverzichtbarer Meilenstein in der Geschichte der Naturwissenschaften und prägte die Forschung zu Elektrizität und Magnetismus über viele Jahre hinweg.

 

Erste systematische Forschung

Bei der Erforschung des Magnetismus geht Gilbert syste­matisch vor, registriert Namen und Fundorte des Magnet­eisensteins, beschäftigt sich mit der Frage nach dem Unterschied von Eisenerz und Magneteisenstein und ver­gleicht seine Ergebnisse kritisch mit denen vorangehender Epochen. Er bestätigt dabei die bereits von Maricourt gemachten Feststellungen und findet außerdem viele wich­tige neue Erkenntnisse.

Ein Stück Eisen wird nicht nur durch Bestreichen mit einem Magnetstein magnetisch, sondern auch dann, wenn man es der Einwirkung eines magnetischen Feldes aus­setzt. Die Behauptung des uns bereits bekannten Porta, dass Eisen auch durch Bestreichen mit einem Diamanten Magnetismus annimmt, kann Gilbert eindeutig wider­legen. Er nimmt 75 Diamanten und bestreicht damit in Gegenwart vieler Zeugen verschiedene eiserne Stäbchen und Drahtstückchen, jedoch ohne Erfolg, keines der behandelten Eisen wird magnetisch. Neu ist auch die Fest­stellung, dass ein Magnet seine Wirkung verliert, wenn man ihn rotglühend macht.

Von magnetischen Salben und dergleichen auf dem Ma­gnetismus beruhenden Heilmitteln hält er nichts und meint nur, falls nicht seine Philosophie die Ärzte von der Sinn­losigkeit ihres Handelns überzeugen kann, so wird es der Tod ihrer Patienten tun.

 

Ein ungeheuer großer Magnet

Neben den Fragen des allgemeinen Magnetismus widmet sich Gilben auch den Erscheinungen des Erdmagnetismus und knüpft dabei an die bereits von Maricourt geleisteten Arbeiten an. Er stellt sich ebenfalls einen kugelförmigen Magnetstein her und nennt ihn „terella", d. h. kleine Erde, weil er ein Abkömmling der Erdkugel ist, von gleicher Gestalt und aus gleichem Material. An ihr misst er mit einer kleinen Magnetnadel die magnetischen Eigen­schaften aus. Dabei zeichnen sich Anziehungs- und Richt­kräfte längs der Kugeloberfläche ab, die auf zwei besonders ausgezeichnete Punkte, die Pole, hinweisen. Auf Grund dieser Untersuchungen, die ähnliche Verhältnisse wie auf der Erde zu Tage fördern, kommt Gilbert zu der Über­zeugung, die Erde selbst ist ein ungeheuer großer Magnet. Damit löst sich auch die viel diskutierte Frage, warum die Kompassnadel überhaupt nach Norden zeigt. Die Ge­schichte vom großen Magnetberg am Nordpol wird ebenso hinfällig wie die noch von Maricourt vertretene Ansicht, die Richtkraft komme vom Polarstern. Aus der bekannten Tatsache, dass sich stets nur Pole entgegengesetzter Polarität anziehen, schließt Gilbert sofort, der nach Norden weisende Pol der Nadel kann niemals deren Nordpol, sondern nur deren Südpol sein. Heute gilt der arktische Magnetpol als süd­magnetisch und der antarktische als nordmagnetisch. Zur Erklärung der magnetischen Vorgänge auf der Erde denkt sich Gilbert das Erdinnere neben anderen Materia­lien aus einer großen Menge von Magneteisenstein bzw. Eisenerz zusammengesetzt.

Bei dem Abtasten der Oberfläche der terella mit der Nadel bemerkt Gilbert auch, dass die, bereits 1544 von Georg Hartmann entdeckte, sogenannte Inklination, die Neigung der Nadel, unterschiedliche Werte annimmt. Am Äquator der terella liegt die Nadel parallel zu deren Oberfläche, je näher sie aber den Polen kommt, um so mehr neigt sie ihre Spitze der kleinen Kugel zu, bis sie am Pol selbst senkrecht nach unten auf deren Oberfläche zeigt. Für die polaren Breiten der Erde sagt Gilbert daher eine vertikale Einstellung der Magnetnadel voraus, was Henry Hudson 1608 auf einer Forschungsreise in das nördliche Eismeer in der Tat bestätigen kann.

 

Bernstein

Gilberts Untersuchungen auf dem Gebiet des Bernsteins finden sich vorwiegend im zweiten Kapitel des zweiten Buches seines Werkes. Sie zeugen wiederum von dem planmäßigen Vorgehen und enthalten so manchen Tadel für die zeitgenössischen Autoren, die immer nur das berichten, was sie von alten Büchern abgeschrieben haben, ohne sich selbst einmal in Experimenten zu versuchen. Da in der Zwischenzeit auch andere Materialien entdeckt worden sind, die die Anziehungskraft des Bernsteins haben, vergleicht er zunächst noch einmal alle miteinander und nennt die dem Bernstein ähnlichen Stoffe wie Glas, Siegellack, Schwefel, Mastix usw. elektrische Körper, und ihre Kraft ,,vis electrica". Stoffe, die keine elektrischen Anziehungskräfte ausüben, wie z. B. Metalle, zählt er zu den nichtelektrischen Körpern. Seine sorgfältigen Untersuchungen erlauben es ihm auch, die bereits von Cardano festgestellten Unterschiede zwischen den beiden Erscheinungen Elektrizität und Ma­gnetismus zu erweitern. Er konstatiert, dass die „vis electrica" zwar andere Stoffe anzieht, sie aber unverändert lässt und nur bei trockenen Körpern wirksam ist. Eine Erwärmung allein genügt nicht, um die Kräfte hervorzu­rufen, Reibung ist dabei unbedingt erforderlich. Eine Flamme nimmt sogar die Kraft des geriebenen Bernsteins wieder weg.

 

Verhalten magnetischer Kräfte

Die magnetischen Kräfte dagegen zeigen ein völlig anderes Verhalten, sie wirken lediglich auf Eisen ein, machen dieses dann aber ebenfalls magnetisch, ja sie treten sogar in feuchten Materialien auf. Darüber hinaus fällt ihm die unterschiedliche Größe der Kräfte besonders auf. Wäh­rend ein Magnetstein Eisen von beträchtlichem Gewicht anzuheben vermag, gelingt es dem Bernstein, nur kleine und sehr leichte Körper an sich zu ziehen.

Für seine Arbeiten baut sich Gilbert auch die Urform des elektrischen Messgeräts, das „Versorium". Es wird oft als Strohhalm-Elektroskop bezeichnet, was jedoch nicht zutrifft, denn nach seinen eigenen Angaben besteht es aus Metall, ist drei oder vier Finger lang und nach Art einer Magnetnadel auf eine scharfe Spitze gesetzt. Gilberts Buch von den Magneten verbreitet sich schnell über die europäischen Gelehrtenstuben und gelangt auch nach Italien in die Hände von Nicolo Cabeo, der sich eingehend mit ihm beschäftigt.

 

Francis Bacon - Philosoph und Lordkanzler von England

Die naturwissenschaftliche Forschung genießt zu dieser Zeit noch kein allzu großes Ansehen, ganz im Gegensatz zur Medizin. Wie wäre es sonst erklärlich, dass Galilei als Professor der Mathematik und Lehrstuhlinhaber in Pisa nur ein Bruchteil von dem verdient, was ein Professor der Medizin bekommt.

Gilberts Buch löst hier einen Wandel aus, allmählich gewinnt die Naturwissenschaft an Bedeutung. Ihr beson­derer Förderer ist der Philosoph und Lordkanzler von England, Francis Bacon, der sich als einer der ersten der so wichtigen Rolle der Naturwissenschaften im Leben des Menschen bewusst ist. Er weist auf die Notwendigkeit hin, Beobachtungen vorhandener Zustände und Experi­mente gleichermaßen zur Erforschung der Natur einzu­setzen.