Die Erfindung der Reibungselektrisiermaschine

Die Erfindung der Reibungselektrisiermaschine, deren Urform Otto von Guerickes drehbare Schwefelkugel ist, bringt einen starken Aufschwung in der Experimentier­tätigkeit mit sich. Nunmehr steht, gemessen an damaligen Verhältnissen, erstmals Elektrizität in „größerer Menge" zur Verfügung.

Überall, besonders in England, Frankreich und Holland, stürzen sich die Naturforscher mit Feuereifer auf die Materie Elektrizität, zumal die Mittel für ihre Unter­suchungen leicht zu beschaffen sind. Als Folge davon werden manche Entdeckungen gleichzeitig oder doch kurz nacheinander an verschiedenen Orten von verschiedenen Gelehrten gemacht. Da es zunächst kaum periodisch wis­senschaftliche Veröffentlichungen in Zeitschriftenform gibt, gelangen die Forschungsergebnisse erst mit gewisser zeitlicher Verzögerung zur allgemeinen Kenntnis. Sie werden meist in Briefen an andere bekannte Gelehrte oder an wissenschaftliche Gesellschaften mitgeteilt und dort auf den Sitzungen verlesen.

 

Auch der Mensch leitet das elektrische Fluidum

In London setzt Gray seine Versuche fort. Er findet nicht die Masse eines Körpers als maßgebend für die Menge des elektrischen Fluidums, die er aufnehmen kann, son­dern nur seine Oberfläche. Gray ist auch der erste, der das Verhalten des menschlichen Körpers als Leiter der elektrischen Kraft untersucht. Die Experimente hierzu, die sehr bald zu einer beliebten Spielerei und Unterhaltung höfischer Kreise werden, beginnen am 8. April 1730. Ein etwa acht oder neun Jahre alter Junge wird mit Schnüren aus Rosshaar so an der Decke eines Zimmers aufgehängt, dass er waagerecht mit dem Gesicht nach unten schwebt. Unterhalb seines Gesichtes stellt Gray einen Schemel mit Schnitzelchen aus Papier und Stanniol. Nun hält er die geriebene Glasröhre an die blanken Fußsohlen des Jun­gen, und sofort fliegen ihm die auf dem Schemel liegenden Schnitzel ins Gesicht. Im Laufe der Zeit wandelt Gray die Versuche in vielfältiger Weise ab. Der Knabe wird auf einen Harzkuchen gestellt und sobald seine eine Hand mit dem geriebenen Glasstab in Berührung kommt, zieht die andere ausgestreckte Hand eifrig ihre Schnitzelchen an. 1732 sind es schon zwei Knaben; der eine ist an Schnüren horizontal aufgehängt, der andere steht auf dem Harzkuchen. Beide geben sich die Hand.

Über die Stärke der elektrischen Kraft des Wassers in gläsernen Gefäßen

In dem kleinen pommerschen Städtchen Kammin macht der Gutsbesitzer und Jurist, Ewald Jürgen von Kleist, am 11. Oktober des Jahres 1745 eine eigenartige Entdeckung. Kleist, der sich in seinen Mußestunden mit elektrischen Experimenten beschäftigt, möchte Elektrizität in eine Flasche leiten und steckt zu diesem Zweck einen Nagel in den Hals eines kleinen Medizinfläschchens. Zur Aufladung hält er sie mit dem Kopf des Nagels an den Konduktor einer Elektrisiermaschine. Sobald er nach beendeter Aufladung den Nagel mit der Hand berührt, bekommt er einen leichten Schlag. Dieser Schlag wird außerordentlich kräftig, sobald die Flasche mit Alkohol oder Quecksilber gefüllt ist.

 

Wenige Monate später, aber unabhängig von ihm, macht in Holland Pieter van Musschenbroek die gleiche Feststellung. Musschenbroek, Professor an der Universität in Leiden und zu seiner Zeit bekannter und geachteter Physiker und Mathematiker, befasst sich ebenfalls mit der Elektrizität. Dabei behindert ihn oftmals das Seeklima, weil durch die feuchte Luft elektrisch aufgeladene Körper verhältnismäßig schnell wieder ihre Ladung verlieren. So sucht er nach einer Möglichkeit, Elektrizität über eine längere Zeit hinweg zu speichern. Er greift ebenfalls zu einer Flasche, füllt sie mit Wasser, steckt einen Draht hinein und verbindet diesen mit der Elektrisiermaschine. Wäh­rend er noch am Probieren ist, besucht ihn ein Leidener Bürger. Dieser schaut der Sache interessiert zu, ergreift mit der einen Hand die Flasche und nähert die andere dem Draht, worauf er einen mächtigen Schlag erhält.

Musschenbroek versucht das gleiche und wird ebenso von einem heftigen Schlag getroffen. Er ist darüber so er­schrocken, dass er, wie er sagt, das Experiment selbst um den Preis des ganzen Königreichs Frankreich nicht ein zweites Mal wiederholen möchte. Er hat es aber wohl doch getan. Für diese Flasche wird der Name "Leidener Flasche" eingeführt, der sich alsbald überall durchsetzt.

 

Winkler in Leipzig widmet sich noch im gleichen Jahr eingehend dieser „Verstärkungsflasche", nicht ohne sich aber vorher von einem Kollegen bestätigen zu lassen, dass bei den Schlägen keine gesundheitlichen Schäden zu erwarten sind. Trotzdem hat er nach dem Schlag Nasen­bluten und kann mit der rechten Hand einige Tage lang nicht schreiben.

Auch seine Ehefrau riskiert, neugierig wie Frauen manch­mal sind, einige Schläge. Sie büßt es, indem sie hinterher kaum gehen kann und sich sehr schwach fühlt.

 

Ein erstes Todesopfer

Eine Zeitlang geht du Fay bei seinen Experimenten ein Abbe namens Nollet zur Hand. Beide zusammen stellen ebenfalls Elektrisierungsversuche mit Menschen an. Zuerst du Fay an sich selbst, indem er sich auf ein an Seiden­schnüren aufgehängtes Brett legt und in bekannter Weise mit einer Glasröhre, die man Leidener Flaschen nennt, aufladen lässt. Als ihm dabei Nollet aus Versehen mit der Hand zu nahe kommt, springt zum Entsetzen beider ein Funke von du Fay auf Nollet über, der mit einem Knistern verbunden ist und einen stechen­den Schmerz verursacht.

Alle diese Versuche mit den elektrischen Schlägen der Leidener Flaschen sind nicht ganz ungefährlich. Musschenbroek hatte ja bereits frühzeitig ihre unangenehmen Wirkungen gespürt. So kann es nicht ausbleiben, dass die Experimente ihr erstes Opfer fordern. 1750 stirbt der deutsche Mathematiker und Physiker Johann Gabriel Doppelmayr in Nürnberg an den Folgen des heftigen Schlages einer Batterie Verstärkungsflaschen.

 

In den Salons gebildeter Kreise

Die Erscheinungen der Elektrizität sind bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein nur einem kleinen Kreis von Naturwissenschaftlern näher bekannt. Während in England und Frankreich bereits lebhaft auf diesem Gebiet gearbeitet wird, findet die neue Materie in Deutschland zunächst noch wenig Interesse.

Die Lage ändert sich jedoch, als die bereits erwähnten Leipziger Professoren Bose und Winkler die Beschäftigung mit ihr aufnehmen. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Elektrizität nicht nur in zahlreiche Studierstuben eindringt, sondern binnen kürzester Zeit auch höfische Kreise und die gebildeten Schichten der Bevölkerung fesselt.

 

Der elektrische Kuss

In den Salons der gebildeten Kreise wird es Mode, über elektrische Fragen zu plaudern und die Langeweile mit elektrischen Experimenten zu vertreiben. Aus der ernsten wissenschaftlichen Forschung wird bald ein Spiel, man lebt ja auch im lebenslustigen Zeitalter des Barock. Bose bringt es darin zu einer wahren Meisterschaft und erfindet für seine geladenen Gäste ganz besondere Attrak­tionen. Zu ihrem Empfang muss eine hübsche Dame jedem Ankommenden den Begrüßungskuss darbieten. Die Dame steht dabei auf einem Isolierschemel und ist mit einer Elektrisiermaschine verbunden. Nähert sich ihr ein neuer Gast, um den Kuss entgegenzunehmen, so erhält er zum Ergötzen der bereits Anwesenden einen unerwar­teten Schlag. Dieser „elektrische Kuss" macht Bose weithin bekannt.

Einen imposanten Versuch startet  Nollet im April des Jahres 1746 vor König Ludwig XV. und seinem Hof im Schloss zu Versailles. 180 Gardisten marschieren im Kreise auf. Jeder Soldat gibt dem anderen die Hand und ohne dass sie es ahnen, entlädt er über sie eine Leidener Flasche. Zur Begeisterung aller Anwesenden springen sämtliche Soldaten vor Schreck fast gleichzeitig in die Luft. Nollet gibt sich mit den 180 Soldaten noch nicht zufrieden. Bald darauf stellt er 700 Karthäusermönche in einer 900 Fuß langen Linie auf, wobei je zwei durch einen eiser­nen Draht miteinander verbunden sind. Auch sie springen wie auf Kommando in die Höhe. Wenn wir auch heute über diese Spielereien lächeln mögen, ein Gutes haben sie doch. Unzählige Menschen, die zuvor nie etwas von der Elektrizität gehört haben, kommen auf diese Weise mit ihr sozusagen schlagartig in Berührung.

Was bei diesen Experimenten vor sich geht und was diese Elektrizität eigentlich ist, wissen sie natürlich nicht. Aber wissen es denn die Gelehrten? Um es kurz zu machen, sie wissen es auch noch nicht.