Der Hexenglaube

Der Glaube an die Wundertaten Gottes im Gottesurteil schwand dahin. Dafür glaubten die Menschen um so mehr an Wundertaten und Zauberkünste des Teufels. Ihm trauten sie unerhörte Macht zu, durch Eingriffe in den natürlichen Gang der Weltordnung Pflanzen, Tiere und Menschen zu verderben. Er brauchte aber menschliche Diener dazu. Das waren die Hexen. In einem mit Blut unterzeichne­ten Vertrag verschrieben sie ihm Leib und Seele und erhielten dafür Zauberkraft. Sie konnten jetzt Sturm und Hagel heraufbeschwören, Regen und Schneefall verhindern, aus Kräutern und Wurzeln Zau­bertränke brauen, Kühe verhexen, dass sie blutige oder schwarze Milch gaben, und mit dem bösen Blick Aussatz und andere Krank­heiten hervorrufen und kleine Kinder töten.

In gewissen Nächten aber feierten sie mit dem Teufel zu Tausen­den den Hexensabbat. Sie schmierten einen Schafbock, eine Ziege, eine Ofengabel oder einen Besenstiel mit einer grünen Salbe ein, setz­ten sich rittlings darauf, sprachen «Auf und davon, oben hinaus und nirgends an!» und flogen zum Kamin hinaus durch die Nacht zum Zauberberg. Das schaurige Fest begann mit einer grässlichen Ver­fluchung Gottes und der Anbetung des Satans. Eine Teufelsmesse ver­höhnte das christliche Abendmahl. Man aß Kröten und kleine Kin­der. Und dann wurde getanzt und geschwelgt. Zum Schluss aber gab der Teufel seinen Buhlerinnen neue Befehle und Anweisungen, den Menschen auf jegliche Weise Leid und Schaden zuzufügen.

Das alles glaubten die Menschen, erzählten es weiter und vermu­teten nun hinter jedem Unglück eine Hexe. Rote Haare, schielende Augen, eine lange Nase, ein Hinkebein, aber auch außergewöhnliche Schönheit waren verdächtige Zeichen. Als einmal ein Bauer dem Bruder Klaus im Ranft von einem sol­chen Verdacht berichtete, gab ihm der Heilige zur Antwort:

Du tust der Frau Unrecht! Geh hin und bitte sie um Verzeihung, so wird fortan dein Vieh behütet werden! Weil du so freventlich über sie geurteilt hast, darum hat der böse Feind (der Teufel) Gewalt bekommen, dein Vieh anzugreifen.

Leider erteilte der Papst einen ganz andern Rat, als ihm um die gleiche Zeit (1484) zwei deutsche Ketzerrichter meldeten, das Hexenunwesen nehme überhand. Er gab den beiden Inquisitoren den Auf­trag, das übliche Ketzergericht gegen die Hexen einzusetzen, «damit die Seuche der verruchten Ketzerei ihr Gift nicht weiter verbreite». Damit bestätigte er den Hexenglauben, und die beiden Ketzerrichter gingen eifrig ans Werk und schrieben gleich ein ganzes Buch über die gotteslästerlichen, scheußlichen Untaten der Hexen und die Dring­lichkeit ihrer Ausrottung. Es erging diesen armen Menschen nun nicht anders als allen andern «Ketzern»: Der Verdacht führte zur Einkerkerung, die Folter zum Geständnis und das erpresste, falsche Geständnis zum Tod auf dem Scheiterhaufen.

Die Hexenbrände breiteten sich über ganz Europa aus und wur­den in den nächsten zwei Jahrhunderten immer grässlicher. In Deutschland wütete die Verfolgung zeitweise so entsetzlich, dass in einzelnen Dörfern nur zwei, drei Frauen übrig blieben. In der Stadt Quedlinburg wurden 1589 an einem einzigen Tag 133 Hexen ver­brannt, in Bamberg im Laufe des Jahres 1659 ihrer 600, darunter 22 sieben- bis zehnjährige Mädchen. In der Schweiz griff der fürchterliche Wahn besonders im Alpengebiet um sich. Allein im Wallis fanden in den Jahren 1428/29 über 200 Hexenprozesse statt.

Ein tapferer deutscher Arzt, Johann Weier, schrieb schon 1563 ein sechsbändiges Werk gegen den Hexenglauben, und im 17.Jahrhun­dert erhob der Jesuit Friedrich Spee, der viele Hexen zum Scheiter­haufen begleitet hatte, verzweifelt seine Stimme:

Gar viele werden unschuldig gefoltert, gepeinigt, gereckt, gegeißelt, ge­schraubt und mit neuer grausamer, unmenschlicher Marter überhäuft, bis sie vor unleidlicher Größe der Pein bekennen, was sie nie gedacht haben. Bekennen sie aber nicht, so spricht man, der Teufel stärke sie, und müssen alsdann noch gräulicher als sonst hingerichtet werden. O Gott, was für eine Gerechtigkeit! Ich beteure bei einem Eide, dass ich noch keine einzige zum Feuer begleiten helfen, von der ich, wenn ich alles reiflich erwogen habe, sagen könnte, dass sie des Lasters in Wahrheit schuldig gewesen.

Trotz solcher Mahnrufe dauerten die Hexenverbrennungen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts fort, und ihre Opfer sind unzählbar; es waren nach niedrigsten Schätzungen viele hunderttausend.

Die letzte in der Schweiz hingerichtete Hexe war die Glarner Dienstmagd Anna Göldi. Man warf ihr vor, sie habe einem Kind in einem Zauberkuchen Stecknadelsamen zu essen gegeben; dieser Same sei in des Kindes Bauch aufgegangen, und nun spucke es Steck­nadeln. Das wurde geglaubt und mit dem Tode bestraft im Jahre 1782. Elf Jahre später loderte in Polen Europas letzter Hexenbrand.