Heinrich der Seefahrer

Aus: "Charakterbilder" von A.W. Grube (1876)

Nachdem in der Halbinsel Spanien die Araber mehrere Jahrhunderte hindurch die Oberherrschaft behauptet hatten, erholten sich allmählich die Gothen wieder, und ums Jahr 1035 bildeten sich zwei neue Staaten Aragonien und Kastilien. Neben diesen bildete sich aus einer kastilischen Statthalterschaft ein eigenes Reich, Portugal. Henry, ein französischer Prinz, hatte nämlich den christlichen Spaniern gegen die Araber geholfen. Zum Dank erhielt er von dem kastilischen König Alfons VI. das zwischen dem Minho und Douro gelegene Land als eine Grafschaft, vom Hafen Cale (porto cale) Portugal genannt, welche durch Eroberung in sich allmählich bis zur Mündung des Guadiana erweiterte. Die Nachfolger jenes Henry nannten sich Könige, und diese fochten tapfer wider die Mauren; ja, nachdem sie dieselben von der Halbinsel vertrieben hatten, suchten sie sogar ihre Erzfeinde in Afrika auf. König Johann (1411-1433) setzte über die Meerenge von Gibraltar, und es gelang ihm, das feste Ceuta an der afrikanischen Küste einzunehmen. Von diesem Hafen aus begannen nun große Entdeckungen.

Der dritte Sohn des Königs Johann, Infant Heinrich, widmete nämlich alle seine Mußezeit den Wissenschaften, besonders aber der Erd- und Himmelskunde. In seiner Lernbegier verließ er den Hof und wählte seine Wohnung im südlichen Teile von Portugal, in Lagos, naher bei dem Kap St. Vinzenz. Hier war er der afrikanischen Küste möglichst nahe und konnte mancherlei Nachrichten von den gegenseitigen Bewohnern einsammeln. Allgemein ging zu jener Zeit das Bestreben, einen Seeweg nach Indien zu finden, nach jenem durch seine Fruchtbarkeit und Reichtümern gelobten Lande. Der Infant Heinrich hing immer dem Gedanken nach, ob es nicht möglich sein sollte, um Afrika herum nach dem südwestlichen Ufer zu kommen, denn irgendwo müsse doch der Erdteil ein Ende haben. Auch war ja aus alter Zeit eine Sage überliefert, dass Afrika bereits einmal umschifft sein. Aber man fürchtete die Hitze unter dem Äquator, und hielt sie dort für so groß, dass alles verbrennen müsste, was die Linie passierte. Man erzählte sich Geschichten von wilden, grimmigen Tieren, welche die Schiffe anfielen, von Feuerströmen und schlammigem Wasser, das sich bis zur Gallert verdickte, und worin die Schiffe stecken blieben. Solcher Fabeln schreckten von allem Versuchen ab. Dazu kam, dass man immer noch an der Küste entlangschlich, und obwohl seit 1300 der Kompass erfunden war, sich nicht gern auf das hohe Meer wagte.

Sorgfältig forschte Heinrich, was er von den Seefahrern und Kaufleuten über die Westküste Afrikas erkunden konnte. Die gesammelten Nachrichten gaben ihm Mut, auf eigene Kosten Fahrzeuge zu rüsten und loszuschicken. Allein die ersten Steuermänner hatten die Köpfe noch zu sehr voll von jenen schrecklichen Farben, sie fürchteten sich, als sie in das weite Meer hinauskamen und kehrten unverrichteter Sache wieder um. Heinrich ward darob sehr erzürnt, endlich fand er zwei tapfere Ritter, die gaben ihm ihr Wort, nicht eher umkehren zu wollen, als bis sie etwas Ordentliches gefunden hätten. Sie fuhren und fuhren, da brachen ein Unwetter und ein Sturm los und schleuderte ihr Schiff auf die kleine Insel Porto Santo. Heinrich ließ dort eine Kolonie anlegen, den Boden mit Korn, Gemüse und Wein bepflanzen, auch verschiedene Tiere aussetzen, die sich unter dem schönen, warmen Himmel sehr vermehrten. Ein einziges trächtiges Kaninchen lieferte in wenigen Jahren eine so zahlreiche Nachkommenschaft, dass man im Ernst befürchten musste, sie werde alle Pflanzungen der Insel zerstören.

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Von Porto Santo sah man oft bei hellem Wetter einen fernen Nebelberg am Horizonte, und Heinrich ließ auf denselben lossteuern. Man fand so die Insel Madeira (im Jahre 1420), und auf derselben einen einzigen, dichten, dem Anschein nach von Menschen nie betretenen Wald von 18 Meilen Länge und mehr als 4 Meilen Breite. Der Wald wurde angezündet, und das Feuer soll länger als sieben Jahre gebrannt haben. Heinrich legte auch hier eine Kolonie an, schickte Sämereien und Haustiere, ließ Wein aus Zypern und Zuckerrohr aus Sizilien dorthin verpflanzen, und beides gedieh auf dem mit Asche so herrlich gedüngten Boden und unter dem schönen Himmel ganz vortrefflich. Noch jetzt ist der Zucker aus jenen Inseln von vorzüglicher Feinheit, obwohl er wenig angebaut wird.

Durch diese Entdeckungen ward der Mut des Prinzen immer mehr belebt, obwohl seine Seeleute immer noch nicht ohne Furcht waren. Sie kamen zu den von der Küste nicht weit entfernten kanarischen Inseln, welche bereits den Alten unter dem Namen der „glücklichen Inseln" bekannt waren. Sie fanden auf diesen mehrere Vulkane, und der hohe Teide auf Teneriffa wirbelte Dampfwolken auf. Da kamen sie wieder auf den Gedanken, nun möchte das Feuer des Äquators beginnen. Dennoch schiffte man weiter in die offene See hinein und entdeckte 1432 eine der Azoren Inseln, die zwischen Portugal und Amerika an 200 Meilen von der Küste entfernt liegen. Diese Inseln waren völlig menschenleer; 1449 bekamen sie die ersten Einwohner. Jetzt haben sie einen großen Überfluss an Getreide und Wein und versehen die portugiesischen und spanischen Schiffe auf ihren Fahrten nach Amerika und Ostindien mit Erfrischungen.

Inzwischen war man südwärts noch nicht über die kanarischen Inseln hinausgekommen, denn dort erstreckte sich ein Vorgebirge westwärts in's Meer, welches man bis dahin als das Ende der Welt angesehen und das Kap Non (nämlich non plus ultra) genannt hatte. Das Meer machte hier gewaltige Strudel und konnte auch kühnen Seefahrern Besorgnis erregen. Gilianez, ein mutiger und verständiger Steuermann, wagte verschiedene Versuche, aber anfangs vergeblich; endlich aber steuerte er tief ins offene Meer hinein, und so gelang es ihm (1433), das gefährliche Kap Non zum befahren, das nun auch seinen Namen ändern musste und Kap Bojador genannt wurde, d.h. dass umfahrende Vorgebirge. Diese Begebenheit erregte allgemeines Aufsehen und machte dem Infanten Heinrich große Freude, wiewohl man die Küste jenseits Bojador fast ganz wüst und öde fand. Die einzige Ausbeute waren Robben und Seehundsfelle.

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In den Bewohnern, welche die christlichen Seefahrer auf den afrikanischen Küsten antrafen, glaubten sie lauter Christenfeinde zu treffen. Sie mordeten, plünderten und führten die Menschen als Gefangene fort. Aus diesen Räuberreihen entstand der Negerhandel. Im Jahre 1442 sah die Hauptstadt Portugals, Lissabon, die ersten Menschen mit schwarzer Hautfarbe, lockigem Haar und dicken Lippen. Man hatte sie in der Gegend des Goldflusses gefangen. Die Unglücklichen boten für ihre Freiheit Goldstaub. Dies war es, was die habsüchtigen Europäer begehrten. Nunmehr entstand ein allgemeiner Eifer für die Entdeckungsreisen; die Goldgier trieb Menschen zu Schiffe, die sich sonst nimmer mehr über den Kreis der bekannten Welt hinausgewagt hätten. Kaufleute aus Venedig und Genua ließen diese Schiffe ausrüsten, alles wollte neue Länder mit Goldflüssen entdecken. Da man diese aber nicht zugleich fand, raubte man Neger.

Um 1440 erreichten die Portugiesen den Fluss Senegal. Hier fanden sie zum ersten Mal wilde heidnische Neger; die sie in nördlicher getroffen hatten, waren alle Mohammedaner gewesen. Nahe an der Mündung des Senegal liegt das grüne Vorgebirge und vor diesem zehn Inseln, welche man die Inseln des grünen Vorgebirges (kapverdische) genannt hat. Dahin kamen die Portugiesen im Jahre 1447. Diese Inseln sind sehr gebirgig, haben aber eine so warme Luft, dass die niedrigen Gegenden mit immergrünen Bäumen bedeckt sind. Da die portugiesische Regierung sich nicht viel um sie kümmerte, sind sie wenig angebaut und menschenleer. - Es dauerte übrigens bis 1462, dass man die Küste des eigentlichen Guinea entdeckte; nun war man bis in die gefürchtete Gegend des Äquators gekommen, ohne von der Sonnenhitze verbrannt zu sein. Man fand hier Gold, Elfenbein, Wachs und andere Kostbarkeiten, so dass sich in den nächsten Jahren die Schifffahrt nach Afrika sehr vermehrte.

Alle diese Entdeckungen, von Porto Santo bis Guinea, eine Strecke von 500 Meilen, verdanken wir dem Infanten Heinrich. Wenn er auch nicht selber mitschiffte, so wurden doch alle jene Fahrten nach seinen Entwürfen vorgenommen, und welche Freude muss der Mann empfunden haben, dass ein so herrlicher Erfolg diese Entwürfe krönte. Er war es, der den Grund zur Größe und Macht des kleinen Königreichs Portugal legte, denn eine Zeit lang war dieser Staat der kühnste und mächtigste Handelsstaat in Europa.