1. Ein Korse wird groß in Frankreich

Ein Beitrag von Ines Krapf

Der folgende Text beschreibt bildhaft und bewegt das Leben von Napoleon und eignet sich wunderbar, um den Schülerinnen und Schülern Geschichte nahe zu bringen. Er ist in vier Teile gegliedert. 


Geburt auf der Insel Korsika

Im Frühjahr des Jahres 1769 flüchtet Carlo Bonaparte gemeinsam mit zahlreichen korsischen Rebellen in die entlegenen Bergregionen, die das Landesinnere Korsikas durchziehen. Die französischen Truppen besiegen Korsika. Die Bevölkerungszahl Korsikas beträgt zu dieser Zeit höchstens 120.000 Menschen, die hauptsächlich aus Bauern und Hirten bestehen. Mit nur wenigen Schusswaffen und begrenzter Munition versuchten sie sich gegen Frankreich zu verteidigen, einem Land, das zu jener Zeit als das modernste in Europa gilt und rund 22 Millionen Einwohner zählt.

Der korsische Kampf für die Freiheit endet letztendlich in einem Scheitern und fordert tausende Tote und Verwundete. Die Überlebenden kehren in ihre Städte und Dörfer zurück, darunter auch Carlo Bonaparte und seine schwangere Frau Letizia.

Am 15. August 1769 bringt Letizia einen Jungen zur Welt, Napoleon Bonaparte. Als Kind, das nach der Niederlage Korsikas geboren wurde, entwickelt der Junge eine starke Abneigung gegen Frankreich, das Land, das er später einmal beherrschen wird. „Ich kam zur Welt, als das Vaterland unterging", äußert Napoleon später.

Korsika ist nun eine französische Kolonie. Über die Jahrhunderte hinweg haben die Bewohner der Mittelmeerinsel immer wieder gegen Invasoren, darunter Römer und Genua, gekämpft. Nach der Eroberung durch die Franzosen setzen die korsischen Rebellen ihren Widerstand fort. Doch Napoleons Vater, Carlo, arrangiert sich bald mit den neuen Machthabern. Als er gerade einmal 25 Jahre alt ist, tritt er im Jahr 1771 in den französischen Justizdienst ein und macht Karriere. 

Schon bald wird Carlo als Vertreter des korsischen Adels nach Versailles geschickt. Am französischen Hof gewinnt er Anerkennung, doch sein Sohn Napoleon hat später kaum ein gutes Wort für ihn übrig. Stattdessen preist er umso mehr seine Mutter, die schöne und willensstarke Letizia. 

„Als Mutter", sagt Napoleon, „war sie unvergleichlich." Letizia Bonaparte war eine energische Frau und von ihren 13 Kindern überlebten 8. Napoleon sagte, dass er seinen Lebenserfolg ihrer Erziehung verdanke. Letizia führte ein strenges Regiment und lehrte ihren Kindern Opferbereitschaft und Disziplin. „Manchmal schickte sie mich ohne Abendbrot zu Bett", erinnert sich Napoleon, „als wäre nichts zu essen im Haus gewesen. Man musste lernen, ohne dass andere es bemerkten, zu leiden. Selbst ihre Zärtlichkeit war streng."

Carlo und Letizia Bonaparte gehören dem korsischen Adel an und besitzen ein Haus auf dem Land sowie eines in der Stadt. Trotzdem sind sie keineswegs wohlhabend.


Militärausbildung in Frankreich

Im Jahr 1777 trifft Carlo Bonaparte in Versailles ein. Hier erlebt er den prachtvollen französischen Hof, der ganz Europa fasziniert. Länder wie England, Österreich, Preußen und Spanien schauen auf Frankreich, das als wohlhabendstes Land gilt. Carlo hat den starken Wunsch, seinen Söhnen ein staatliches Stipendium zu verschaffen, damit sie in Frankreich zur Schule gehen können.

Im Winter 1778 reist Napoleon zum ersten Mal nach Frankreich. Der schmale und blasse Junge ist erst neun Jahre alt und steht vor einem harten Leben. Er wird in eine Militärschule aufgenommen und leidet nicht nur an der winterlichen Kälte Nordfrankreichs. Der junge Napoleon spricht kaum Französisch und wird in den nächsten fünf Jahren weder seine Familie noch sein Zuhause sehen. Er fühlt sich nicht mit Frankreich verbunden, sondern betrachtet sich selbst als Korse. Seine Mitschüler sind Kinder französischer Adlige, er ist Ausländer. Er wird zum Einzelgänger.

Als er 15 Jahre alt ist, kommt Napoleon an die Königliche Militärakademie nach Paris. Hier bekommt der heranwachsende junge Mann einen ersten Eindruck von der Pracht und Größe Frankreichs. Einer seiner Lehrer beschreibt ihn als ruhig, ehrgeizig und ich-bezogen.

Mit 16 Jahren beginnt Napoleon seinen Militärdienst und absolviert eine Ausbildung in der Artillerie als Unterleutnant. Er ist begierig darauf, sein Handwerk zu erlernen: Laden, Zielen, Kanonen postieren, er kennt jeden Handgriff. So beginnt eine der größten Militärkarrieren der Geschichte. 

Napoleon zeigt einen ungeheuren Wissensdurst. Er liest viel, insbesondere Bücher über Geschichte und Militärtheorie. Er beschäftigt sich auch mit den Naturwissenschaften und studiert die Werke der Philosophen der Aufklärung, wobei Rousseaus Schriften ihn besonders beeinflussen. Freiheit, Gleichheit und die Abschaffung von Privilegien interessieren ihn. Doch für den gebürtigen Korsen bleibt Gleichheit vor allem ein unerreichbarer Traum. Napoleon ist sich bewusst, dass er in Frankreich kaum eine Chance hat. Er spürt deutlich, dass das Regime ihm keine Position anbieten wird, die seinem Ehrgeiz entspricht. Die höheren Posten sind dem Hochadel vorbehalten, während Napoleon dem niederen Adel angehört.

Angesichts der Realität, die seine Träume zunichtemacht, beginnt Napoleon zu schreiben. Er verfasst eine Geschichte über Korsika und wagt sich an einen Roman. Es frustriert ihn, dass das politische System ihn zum Schreiben von Romanen drängt, während er spürt, dass er für Größeres berufen ist und ein besonderes Schicksal auf ihn wartet. 

 

Es ist die Revolution, die Napoleon befreit

Am 14. Juni 1789 bricht die Revolution in Paris aus. Wütende Menschenmengen erobern die Straßen und fordern Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die Unruhen erfassen ganz Frankreich, die Monarchie steht am Rande des Abgrunds. Die Nationalversammlung entzieht dem Adel und der Kirche ihre alten Vorrechte und setzt der jahrhundertealten Ordnung ein Ende. Nach langen Jahren der Unterdrückung fordern die Menschen ihre Rechte ein – die Revolution hat begonnen. Während die Revolution ausbricht, dient Napoleon fern ab von Paris in der Armee. 
Im Sommer 1792 kommt Napoleon nach Paris und wird Zeuge der letzten Tage der Monarchie. Im Juni stürmen die Menschen den Palast und stürzen Ludwig XVI. Im Herbst wird die Republik ausgerufen. Von diesem Zeitpunkt an möchte Napoleon Teil dieser neuen Welt sein. Er möchte eine Rolle spielen und beginnt damit in einem Land, das er gut kennt – Korsika.

 

Zurück auf Korsika

Napoleon Bonaparte ist nun 23 Jahre alt, ein idealistischer Revolutionär, der in der Heimat seiner Vorfahren nach einer wichtigen Mission strebt. Die Republik gewährt den Korsen nun die gleichen Rechte wie den Franzosen. Als Hauptmann der korsischen Nationalgarde stürzt sich Napoleon mit Eifer in die Politik der Insel. Sein Held aus Kindertagen ist Pasquale Paoli, der einflussreiche korsische Gouverneur, der einst den Kampf gegen die französischen Besatzer führte. Napoleon träumt davon, sich für die Rechte und Freiheit seines Volkes einzusetzen.
Doch leider wird er bitter enttäuscht. Paoli vertraut ihm nicht und strebt weiterhin nach einem unabhängigen Korsika. Während Napoleon gut damit leben könnte, wenn Korsika ein Teil des revolutionären Frankreichs wäre, empfindet er sich sowohl als Korse als auch als Franzose. Seine lange Zeit der Ausbildung und Schulung in Frankreich hat ihn verändert.

Bald führt Napoleon die Opposition gegen Paoli an, und es kommt zu einer offenen Auseinandersetzung. Paoli zeigt sich als stärker, und Napoleon muss fliehen. Die Anhänger von Paoli zerstören das Haus seiner Familie, und die korsische Nationalversammlung erklärt alle Bonapartes zu Verrätern des Vaterlands, die für immer rechtlos und geschändet sind.

 

Flucht nach Frankreich

Es sind ausgerechnet seine eigenen Landsleute, die ihn für vogelfrei erklären. Napoleon erkennt, dass der korsische Traum ausgeträumt ist, und wendet sich endgültig Frankreich zu. Am 10. Juni 1793 tritt Napoleon die Flucht übers Meer an. An Bord sind auch seine inzwischen verwitwete Mutter sowie seine drei Brüder und drei Schwestern. Napoleon ist 24 Jahre alt, als er die Insel seiner Kindheit verlässt und Kurs auf Frankreich nimmt.

In Frankreich angekommen, erlebt Napoleon ein Land im Blutrausch. Der König wurde hingerichtet, gefolgt von der Königin und vielen anderen durch die Guillotine. Die Städte sind in Aufruhr, und Aufstände erschüttern die Provinzen. Robespierre übernimmt die Macht und schwört, die Republik um jeden Preis gegen ihre Feinde zu verteidigen. Die Revolution wird zu einer Schreckensherrschaft. Frankreich ist innerlich zerrüttet und führt Krieg mit fast allen Ländern Europas. Österreich, Spanien, Preußen und Großbritannien haben der jungen Republik den Kampf angesagt, während diese den aufständischen Völkern Unterstützung verspricht.

 

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