Es lebe der Sonnenkönig! - 1670 (ERZÄHLUNG)

„Monsieur«, hatte Seine Majestät, der König, zum Minister der Finanzen und Wirtschaft, Jean Baptiste Colbert, gesagt, »langwei­len Sie uns nicht länger mit Ihren Zahlen! Sehen Sie ganz einfach zu, dass Sie genügend Geld in die Staatskassen bekommen, und al­les wird sich von selber regeln.«

Colbert blieb nichts anderes übrig, als sich höflich zu verneigen, zu lächeln und das Thema zu wechseln. In seinem Portefeuille aus rotem Maroquinleder lagen die Zusammenstellungen jener ungeheuren Kosten für die zahllosen Wünsche und Anordnungen Lud­wigs XIV.

Der angeordnete Um- und Neubau der Schlösser St. Germain, Chambord und Fontainebleau hatte bisher sechzig Millionen Goldfranken gekostet, der Ausbau von Clagny bedeutete weitere zwanzig Millionen. Versailles - dieses Schloss aller Schlösser - musste nach den Berechnungen der Architekten Mansart ohne die Inneneinrichtung mehr als sechshundert Millionen verschlingen. Dazu wünschte Kriegsminister Louvois eine stehende Armee von hunderttausend Mann. Festungsbaumeister Vauban hatte Pläne für ein Dutzend Festungen vorgelegt, die nach dem neuen Prinzip sternförmiger Schanzen und Vorwerke angelegt werden sollten. Die Flotte musste vergrößert, die Verwaltung umgebaut, neue Staatswerkstätten mussten eingerichtet und der Aufwand eines ungeheuren Hofstaates aufgebracht werden. Und nun hatte der Kö­nig bei dieser Unterredung, die in der prunkvollen »Salle de paix« in Gegenwart einiger völlig ahnungsloser und unverantwortlicher Herzöge stattgefunden hatte, so ganz leichthin geäußert, er habe noch eine Idee, wie Frankreichs Vorherrschaft im Geistigen und Künstlerischen über Europa verankert werden könne.

»Sie, Monsieur Colbert«, hatte er befohlen, »werden Uns eine Liste aller berühmten Personen Europas: der Philosophen, For­scher, Entdecker, Dichter und Künstler einreichen. Wir werden sodann allen eine Pension, einen Ehrensold Frankreichs, aussetzen, sie zu korrespondierenden Mitgliedern Unserer Akademien ma­chen und solcherart an Uns fesseln!« »Und das Geld, Sire? Das Geld?« hatte Colbert verzweifelt ein­geworfen. »Woher sollen die ungeheuren Summen kommen?«

Daraufhin hatten Seine Majestät geruht, den Minister auf die schon erwähnte Weise zu verabschieden. Einen gewissen Erfolg hatte Colbert dennoch zu verzeichnen: Der König hatte die uner­hörte Gnade gehabt, ihn für den Nachmittag zur Ausfahrt in seine Kutsche einzuladen. Dabei mochte das Gespräch fortgesetzt wer­den.

Die sechsspännige Prunkkarosse ist schwer vergoldet, ihre ver­schnörkelten und geschweiften Verzierungen sind kostbare Einle­gearbeit. Auf den Köpfen der Rosse wippen Federbüsche, ihre Schabracken wehen, die Lakaien auf Bock und Rücksitz sind in die Farben des Hauses Bourbon gekleidet. Adelige Offiziere der Königsgarden und edelsteinblitzende Herzoge, Grafen oder Marquis sprengen auf rassigen Vollblutpferden hinterdrein. Alles glit­zert von Seide, Samt, Ordenssternen, Spitzenkragen und Man­schetten, Federhüte, gepuderte Locken und geschminkte Gesichter umringen die Staatskutsche. Seine Majestät im roten Seidenrock mit dem blauen Band des St.-Ludwigs-Ordens und hoheitsvoll er­höht durch die wallende Allongeperücke, lehnt lässig in den wei­ßen Seidenpolstern und blickt an Colbert vorbei, der bescheiden gegenüber Platz genommen hat. Während der Wagen langsam um die Baustelle des rechten Seitenflügels von Versailles rollt, blickt Ludwig XIV. auf die bis zum Horizont verlaufenden Gärten. Welch ein Kunstwerk hat Le Notre mit ihnen geschaffen!

Da sind große Springbrunnen und Wasserkünste. Regenbogen­farbig sprüht der Wasserstaub über schneeweiße Marmorgöttin­nen, über Tritonen und Nymphen aus grünlicher Bronze herab. Hinter den funkelnden Schleiern laufen silberhelle Kanäle in die Weite des Parks. Vergoldete Barken mit purpurnen Segeln schwim­men darauf, feinziselierte Brücken wölben sich von Ufer zu Ufer, und rechts und links breitet sich der blühende Teppich der Blu­menbeete: Geometrie der Natur, Kreise, Spiralen, Vierecke, Rhomben, und dazwischen Pyramiden aus zugeschnittenem Buchsbaum, Kegel aus Thujen und seltsam zugestutzte Zwerg­bäume.

»Sehen Sie, Colbert«, sagt der König »so haben Wir den Geist Unserer Zeit begriffen. Es ist der Geist der Mathematik, der Geo­metrie. Wir haben Uns den Kreis konstruiert, dessen einziger Mit­telpunkt Wir selber sind. Gefällt es Ihnen, was Wir bauen?«

»Großartig, Sire! Aber verzeihen Sie dem Finanzminister, wenn er hinter allem die Rechnungen sieht. Dazu die verdorbenen Bau­ern, die hingeopferten Armeen, die uns auf dem Schlachtfelde der Wirtschaft fehlen werden. Wissen Euere Majestät, dass Le Notre gleichzeitig fünfundzwanzigtausend Mann und zehntausend Pferde im Schlossgarten beschäftigt? Aus Hunderttausenden von armen Bauern, kleinen Handwerkern und braven Bürgern pressen wir die Summen. Die Steuer- und Zolleinkünfte des Staates sind an Finanzleute verpachtet, die ebenfalls ihren Profit zu machen gedenken. Ein Schwärm adeliger Land- und Pfründenbesitzer saugt ebenfalls die Bevölkerung aus, bezahlt selbst keinerlei Abga­ben, während sich das Volk vor den ungeheuren Lasten kaum mehr zu retten vermag.«

Der König macht eine ärgerliche Handbewegung. »Sie langweilen Uns schon wieder mit Ihren bürgerlichen Vor­stellungen, Monsieur! Wir wissen, dass Sie am liebsten die Vor­rechte der Stände abschaffen und Erzbischöfe und Herzöge wie Krämer besteuern wollten. Sie sind eben selbst ein Bürger, Colbert, ein Geizhals und kleiner Buchhalter! Wissen Sie überhaupt, was Adel bedeutet? Um auch nur das geringste Hofamt ausüben zu können, muss die Reinheit adeliger Abstammung über wenigstens zwei Jahrhunderte nachgewiesen werden. Um die Ehre zu genie­ßen, die Ihnen soeben unverdientermaßen zuteil wird: nämlich in die Karosse des Königs zu steigen, muss dieser Nachweis bis ins 14. Jahrhundert zurückgehen. Und dieses kostbare Blut möchte ein Monsieur Colbert aus Reims mit schäbigen Steuern belegen.«

»Vergebung, Sire! Nicht für mich wünsche ich Geld einzuneh­men, sondern für Sie! Damit der König all seine Wünsche erfüllt sieht.« Ludwig lächelt versöhnlich. »Gut, Colbert! Sie sind Unser getreuer Diener. Machen Sie Vor­schläge!« »Man sollte an die Stelle der Steuerpächter Finanzbeamte set­zen, die die Verpachtung der staatlichen Monopole beaufsichtigen. Das Ministerium wird künftig verordnen, wie viel und zu welchen Preisen produziert werden muss. Außerdem möchte ich neue Steu­ern ausschreiben. Ich habe scharf nachgedacht, was in Frankreich außer der Luft noch nicht besteuert ist: vielleicht die Zahl der Fen­ster, den Unterhalt von Pferden und Kutschen oder die Erlaubnis zum Tragen von Kniehosen und Degen?« »Sie werden sich zum Feind des Parlaments machen, Colbert!« »Mit den Parlamenten muss man aufräumen, wenn der König absolut regieren will. Es geht nicht an, dass das Recht der Steuerbe­willigung in den Händen der Generalstände liegt.«

»Darin stimme ich Ihnen zu! In Unserem Land soll der Satz gelten: Un roi, une foi, une loi! Ein König, ein Glaube, ein Ge­setz!« »Unsere vordringlichste Aufgabe muss dem Ausbau der Flotte gelten. Der Ozean spielt heute eine entscheidende Rolle. Wir brau­chen Kolonien, die uns Rohstoffe, Edelmetalle, Sklaven liefern. Holland besitzt fünfzehntausend Schiffe, England fünftausend, wir aber, Sire, kaum sechshundert.«

»Das wird sich ändern, Monsieur. Bauen Sie eine Kriegsflotte!« »Dazu benötigen wir Mannschaften. Ich schlage vor, man sollte den Gerichten Anweisung geben, Verbrecher auch künftig nicht zur Verstümmelung oder zum Tod, sondern vornehmlich zur Ga­leere oder zum Schiffsdienst zu verurteilen. Warum sollen wir uns gesunder Ruderkräfte berauben!«

»Ausgezeichnet, Monsieur! Gedenken Sie etwa auch die Ar­beitskräfte für Ihre geplanten Staatswerkstätten, Werften, Webe­reien und Gobelinmanufakturen auf solche Weise zu beschaffen?« »Gewiss, Sire! Die Landstraßen sind voller Bettler, Landsteicher, die Waisenhäuser voller Kinder, in den Vorstädten soll man die jungen Frauenpersonen zusammenfangen und all diesen nutzlosen Pöbel in die Manufakturen stecken. Das wird den Staatsfinanzen gut tun und die Gassen sicherer machen!«

»Voila, Monsieur! Den Staatsfmanzen - aber der Staat bin ich!« Ludwig legt sich noch bequemer in die Polster der Kutsche zu­rück. Er scheint zufrieden zu sein. Colbert nützt diese günstige Stimmung. »Geruhen Euere Majestät zu erkennen«, sagt er »dass letztlich meine Finanz- und Wirtschaftspolitik genau so wie die Zimmer­fluchten Ihres Schlosses Versailles oder die Gärten Le Notres nur Strahlen sind, die zum Herzen einer einzigen Sonne verlaufen: zu Ihnen, Sire!«

Der König blickt in den Riesenpark. Alle Straßen, Kanäle und Heckenreihen verlaufen zum Herz­stück dieser kleinen Welt: zum Hauptgebäude des Schlosses. Das Schloss ist die Sonne, die ihre Lichtpfeile nach allen Seiten aussen­det; es ist das Gestirn, um das sich das Volk bewegt - die Kathe­drale der neuen Zeit. Verlängert man die Achsen der Wege, Kanäle, Korridore, In­nenhöfe, so schneiden sich alle Linien in einem Punkt: im Schlaf­zimmer Seiner Majestät des Königs.

Ludwig XIV. wendet sich gnädig an Colbert. Er erweist dem bürgerlichen Minister eine neue, große Auszeichnung. »Wir würden Uns freuen, Sie, Monsieur Colbert, heute Abend beim Ballet in Unseren Gärten zu sehen!« Colbert versinkt beinah in seiner Verbeugung. Er stammelt überwältigten Dank.

Obwohl an den Seitenflügeln, an den riesigen Terrassen und an neuen Fontainen noch gearbeitet wird, finden bereits märchen­hafte Feste in den Gärten von Versailles statt. Wenn die blitzenden Karossen auf dem großen Halbrund der oberen Terrasse vorfah­ren, glühen die Vergoldungen von den »Mansard-Dächern« im Schein zahlloser aufgesteckter Fackeln. Auf die Mitte des Halb­kreises senkt sich die kolossale Treppe, über die mit langsamen, würdigem Schritt der Hofstaat herabzieht. Alle Fenster des Schlös­sen strahlen im Kerzenschein. Das im Park verdämmernde Licht der Pechpfannen lässt von den Blumenornamenten der Beete nur noch den geometrischen Teppichcharakter sehen. Die Damen tragen weitgebauschte Seiden- und Brokatröcke, glitzernde Mieder und hohe Frisuraufbauten, die von Juwelen, Goldborten und Perlenstickerei so steif sind, dass man sich damit nur majestätisch bewegen kann.

Langsam wandelt man in Gruppen plaudernd durch die hohen Heckengänge, aus deren dreifach hintereinander gestaffelten Ku­lissen weiße Marmorstatuen leuchten. Mondschein spiegelt auf fernen, halbverborgenen Teichen, und im Sternenlicht erkennt man das geheimnisvolle Düster künstlicher Grotten.

Damen und Kavaliere reihen sich um das »Tapisvert«: ein lan­ges Wiesenviereck, dessen kurz geschnittener Rasen als Spielplatz des Hofs dient. Erwartungsvolle Stille breitet sich aus. Denn nun nähert sich leise Musik: ein zweiter Aufzug, die Mitspieler des Ballets; der König selber schreitet in ihrer Mitte. Licht flammt auf. Viertausend Fackeln werden von versteckten Lakaien entzündet, Kaskaden von Raketen und Sternwerfern sprü­hen hinter den Wasserkünsten. Blaues und rotes Licht strahlt - wie man es von Chinesen und Indern gelernt hat - über die Mamorgötter.

Die Darsteller sind als antike Götter und Göttinnen, als Nym­phen und Heroen verkleidet. Sie drehen sich im zierlichen Reihen­schritt zum Takt der Musik, die hinter Büschen verborgen aufspielt. Im Balletschritt fügen sich die Figuranten zu Sternbildern, bis plötzlich aufstrahlende Fanfaren den großen Auftritt der Maje­stät ankündigen. Colbert, der bescheiden hinter den Herzogen, Grafen, Baronen und ihren seidenrauschenden Damen steht, weiß, dass nun der Höhepunkt naht.

Feierlich schreitet eine goldene, ganz in Licht getauchte Figur auf das Tapisvert. Sie trägt einen ungeheuren Kopfputz aus goldenen Flammen­strahlen, die von Haupt, Hals, Schultern und Hüften auszugehen scheinen. In gelbe chinesische Kaiserseide gekleidet, tritt König Lud­wig XIV. in den Kreis der Tänzer. Die Sonne hat die Nacht be­siegt, alle Sternbilder verblassen vor diesem Mittelpunkt.

Ein tiefes Aufseufzen der Bewunderung läuft durch die Reihen des Hofadels. Im Tanzschritt bewegt sich die Majestät zum prunk­vollen Thronsessel am Ende des Rasenstücks. Elfe, Nymphen, Jä­gerinnen und antike Göttinnen umschweben die wandelnde Sonne. Die Kavaliere und Damen im Park klatschen begeistert Beifall und brechen in den Ruf aus: »Vive le roi soleil! Es lebe der Sonnenkönig!«

Nur der bürgerliche Colbert steht schweigend im Dunkel und rechnet, was dieses Fest, die Kostüme, der Aufwand wieder kosten mögen. Tausend Bauern müssen dafür bis zum Umfallen werken, zehn­tausend Kinder müssen dafür hungern, hunderttausend Soldaten dafür marschieren. Doch was zählt das? Der König ist groß, und er allein ist es, der regiert.