Vater und Sohn
An einem fichtenen Schreibtisch sitzt ein preußischer Oberst. Er ist klein, aber sehr dick; seine Taille misst ein Meter sechzig. Über der dunkelblauen Uniform trägt er eine graue Schürze und grüne Schutzärmel; schließlich ist so eine Uniform nicht billig und man braucht sie nicht mutwillig zu ruinieren, auch wenn man König in Preußen ist. Er hält nichts von Prunk; obwohl er in seiner Armee zwei Feldmarschälle kommandiert, zieht er selbst niemals eine höhere Uniform an als die eines Obersten. Sein blasses Gesicht - ein wenig gedunsen von der Wassersucht und mit blauroten Adern gemustert - ist angespannt von stiller Wut, denn er denkt an den Gegenstand, der am meisten in seinem Herzen brennt.
Er denkt an seinen ungeratenen Sohn Fritz.
Es ist etwas Seltsames um diesen Jungen! Hat er den Gouverneuren seines Sohnes nicht eingeschärft, sie sollten seinem Sohn die wahre Liebe zum Soldatenstand einprägen und ihm imprimieren, dass nichts in der Welt einem Prinzen Ruhm und Ehre zu geben vermöge als der Degen, und dass er in der Welt ein verachteter Mensch sein werde, wenn er nicht in ihm die einzige Glorie suche? Hat er nicht alle Tage vor dem Fenster des Prinzen eine Kanone abfeuern lassen, um ihn an Schlachtenlärm zu gewöhnen? Hat er nicht befohlen, dem Prinzen den allergrößten Ekel vor dem Laster der Faulheit beizubringen? Hat er nicht dem Fünfjährigen eine Miniaturkompanie kleiner adliger Kadetten zur Verfügung gestellt? Hat er nicht den Sechsjährigen im Reiten und Exerzieren ausbilden lassen? Hat er nicht angeordnet, dass man den Prinzen immer nur mit seiner Mutter schrecken dürfe, mit seinem Vater aber niemals, damit er diesen wahrhaft lieb behalte? Hat er nicht den beiden Erziehern verboten, den Prinzen jemals allein zu lassen, verboten, ihm Latein beizubringen, verboten, dass er irgendeinen nicht genehmigten Verkehr habe, hat er nicht die beiden mit ihren Köpfen für die Einhaltung seiner Instruktionen haftbar gemacht? Das alles hat er getan, er hat nichts versäumt, es war unbegreiflich, dass alles nichts geholfen hatte!
Denn was war aus dem Prinzen geworden?
Ein schlapper, weibischer, hasenfüßiger, weinerlicher Bengel, der sich wenig wusch und viel puderte, der sein Haar kräuselte, der auf den Zehenspitzen ging, auf dem Pferd hockte wie ein nasser Sack, der besser französisch sprach als deutsch, der seine Schulaufgaben schlecht lernte, der es vorzog, Flöte zu spielen und Bücher zu lesen. Hat er nicht bei einer Winterjagd Handschuhe angezogen, hat er sich nicht eine dreizinkige statt der üblichen zweizinkigen Gabel besorgt? Hat er nicht, als er durch Magdeburg reiste, die Annahme des üblichen Geschenks abgeschlagen, der tückische Bursche, nur um sich beliebt zu machen und sich von dem Geiz des Vaters abzuheben? Ah, diese Schurken von Gouverneuren; Stockprügel und Spandau: das wäre ihr gerechter Lohn!
Aber es waren ja gar nicht die Gouverneure, die an diesem Unheil schuld waren, es war jemand ganz anderes, es war seine Frau, diese immer fetter werdende hochmütige Welfin, die »Olympia«, die in keinen Lehnstuhl mehr passte und noch weniger an seinen sparsamen Hof! Sie war es, die ihm die Kinder abspenstig machte mit ihrer dummen Verschwendung, mit ihrem Aufwand für Kleider, Möbel und Nippsachen, mit ihrem Wasserfall von intrigantem französischem Geschwätz und englischen Ambitionen, sie war es, die seine Befehle und seinen Einfluss durchkreuzte und die Kinder dem Vater entfremdete. Denn natürlich gefiel den Kindern dieser hohle Aufwand, diese buhlerische Verwöhnung, und vor allem gefielen ihnen die ehrgeizigen Pläne, die sie vor ihnen ausbreitete. Denn ihr ganzer dummer Kopf war ja erfüllt von diesem englischen Heiratsprojekt: Fritz sollte die englische Prinzessin Amalie und seine Schwester Wilhelmine den englischen Thronfolger heiraten. Wenn sie selbst schon einen Bettelkönig geheiratet hatte: ihre Kinder wollte sie in den Glanz des Welfenhauses zurückführen, eitle, törichte Person, die sie war.
Nun, er war der Mann, auch mit diesem Einfluss fertig zu werden. Der Königin musste man die Bezüge kürzen und das Schuldenmachen erschweren, den Kindern musste man rundum verbieten, ihre Mutter zu sehen, wenn der Vater nicht dabei war, und schließlich musste man den Tageslauf des Prinzen noch viel genauer regeln als bisher.
Neuer Tagesablauf
Und er beginnt ein neues Reglement zu schreiben: »Am Sonntag soll Er des Morgens um sieben Uhr aufstehen; sobald Er die Pantoffeln anhat, soll er vor dem Bette auf die Knie niederfallen und zu Gott kurz beten, und zwar laut, dass Alle die im Zimmer sind, es hören können, wie folgt: >Herr Gott, heiliger Vater! ich danke dir von Herzen, dass du mich diese Nacht so gnädiglich bewahrt hast; mache mich geschickt zu deinem heiligen Willen, und dass ich nichts möge heute, auch alle meine Lebtage tun, was mich von dich scheiden kann, um unseres Herrn Jesu, meines Seligmachers Willen, Amen!< Und hierauf das Vaterunser. Dann soll er sich geschwinde und hurtig anziehen und sich propre waschen, schwänzen und pudern, und muss das Anziehen, wie auch das Frühstück, Thee - welches einzunehmen ist, während der Kammerdiener schwänzt und pudert, - in einer Viertelstunde fix und fertig sein, alsdann es ein Viertel auf acht Uhr ist.«
Es folgt Gebet, Bibel und Gesang, es folgt ein genauer Stundenplan für jeden Tag der Woche, es folgt der Samstag: »Am Sonnabend soll des Morgens bis halb elf Uhr in der Historie, im Schreiben und Rechnen alles repetirt werden, was Er die ganze Woche gelernt hat, auch in der Moral desgleichen, um zu sehen, ob Er profitirt hat. Und es soll der General Graf von Finkenstein und der Obrist von Kalkstein mit dabei sein. Hat Er profitirt, so ist der Nachmittag vor Fritzen. Hat Er aber nicht profitirt, so soll Er von zwei bis sechs Uhr Alles repetiren, was Er in den vorigen Tagen vergessen hat.«
Der König unterzeichnet. Er hat alles vortrefflich geregelt. Kein Zweifel, dass der Prinz sich jetzt nach seines Vaters Wünschen entwickeln wird. Zufrieden geht er schlafen.
Der Prinz
Inzwischen sitzt der neunjährige Prinz in der Kaminöffnung seines Wohnzimmers und liest. Aus seinem Bette hat er sich, ohne den neben ihm schlafenden Erzieher zu wecken, hinausgeschlichen und in diesen Winkel gehockt, in dem keiner das Licht sieht. Er liest französische Bücher - zeitlebens wird er deutsche Bücher nur mühsam verstehen und deshalb bald aus der Hand legen. Seine erste Erzieherin war eine Französin gewesen, die nach 40 Jahren Aufenthalt in Deutschland keine Silbe Deutsch verstand; sie hatte schon seinen Vater erzogen gehabt. Sein zweiter Lehrer, Duhan, hatte die königlichen Vorschriften für engstirnige Plattheiten gehalten und den Knaben vieles gelehrt, was der König verboten hatte, sogar ein wenig Latein. Dass er dafür vom König gelegentlich einige Tritte in den Hintern bekommt, nimmt er in Kauf. - Noch viel weniger respektiert Sophie Dorothee die Reglements ihres Gatten. Sie lässt die Kinder heimlich zu sich kommen.