Rudolf Steiner: Das Feuer

Ein Ausschnitt aus dem zweiten Vortrag, GA 110, Düsseldorf, 12. April 1909

In der Chemieepoche der siebenten Klasse beschäftigt man sich u.a. mit dem Feuer. Jeder Klassenlehrer, der dies unterrichtet, sollte dafür folgenden Ausschnitt eines Vortrages von Rudolf Steiner zur Kenntnis genommen haben.

 

„Es war eine Erkenntnis, welche durchaus auf die geistigen Quellen des Daseins zurückgeht, die Lehre, die von den heiligen Rishis verkündet worden ist in der ersten Kulturperiode der nachatlantischen Zeit. Und das ist das Bedeutsame gerade an dieser Lehre, an dieser Forschung vom Aufgange unserer nachatlantischen Zeit, dass sie so tief in alle Naturprozesse eindrang, dass sie in diesen Naturprozessen das Geistig-Wirksame erkennen konnte. Im Grunde genommen sind wir immer umgeben von geistigen Geschehnissen und geistigen Wesenheiten. Alles, was materiell geschieht, ist ja nur der Ausdruck von geistigen Tatsachen, und alle Dinge, die uns materiell entgegentreten, sind nur die äußere Hülle von geistigen Wesenheiten. Wenn nun in der genannten uralten heiligen Lehre von den uns umgebenden Erscheinungen gesprochen wurde, die wir wahrnehmen in unserer Umgebung, so wurde da immer auf eine Erscheinung besonders hingewiesen, auf die wichtigste, die bedeutsamste Naturerscheinung, die den Menschen auf der Erde umgibt. Und als diese bedeutsamste Naturerscheinung wurde angesehen von jener Geisteswissenschaft die Tatsache des Feuers. Bei allen Erklärungen dessen, was auf der Erde vorgeht, wurde in den Mittelpunkt gestellt die geistige Forschung über das Feuer. Wollen wir aber verstehen diese, wir können sagen, östliche Lehre vom Feuer, die so weittragend war in alten Zeiten für alle Erkenntnis und auch für alles Leben, wollen wir verstehen diese Lehre vom Feuer, dann müssen wir uns ein wenig umschauen unter den anderen Naturerscheinungen und Naturgegenständen, wie sie angesehen wurden von jener uralten, aber heute noch durchaus für die Geisteswissenschaft gültigen Lehre.

Da wurde alles, was zunächst in der physischen Welt den Menschen umgibt, zurückgeführt auf die sogenannten vier Elemente. Diese vier Elemente werden heute von unserer modernen materialistischen Wissenschaft allerdings nicht mehr respektiert. Sie wissen ja alle, dass diese vier Elemente heißen: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Unter der Erde hat man aber da, wo Geisteswissenschaft blühte, nicht dasjenige verstanden, was heute mit dem Worte Erde bezeichnet wird. Mit Erde wurde ein Zustand des materiellen Daseins bezeichnet, der Zustand des Festen. Alles das, was wir heute fest nennen, das wurde erdig genannt in der Geisteswissenschaft. Also, ob wir feste Ackererde haben oder ob wir ein Stück Bergkristall, ein Stück Blei oder Gold haben, alles was fest ist, wurde als Erde bezeichnet. Alles das, was flüssig ist, nicht nur das heutige Wasser, wurde bezeichnet als wässerig oder als Wasser. Wenn Sie also meinetwillen Eisen haben, und Sie bringen es zum Glühen, so dass es nach und nach durch die Hitze hinschmilzt und hinrinnt, so ist dasjenige, was da als Eisen hinrinnt, für die Geisteswissenschaft Wasser. Alle Metalle, wenn sie flüssig sind, wurden als Wasser bezeichnet. Alles das, was wir heute luftförmig nennen, dieser Zustand, den wir heute auch als gasig bezeichnen, das wurde, gleichgültig welcher Stoff in Betracht kam, ob Sauerstoffgas, Wasserstoffgas oder andere Gase, das wurde alles als Luft bezeichnet.

Als viertes Element wurde das Feuer angesehen. Die heutige Wissenschaft, das wissen diejenigen, die sich an die physikalischen Grundbegriffe erinnern, sieht im Feuer kein Ding, das man vergleichen kann mit Erde oder Luft oder Wasser, sondern die heutige Physik sieht darinnen nur einen Bewegungszustand. Die Geisteswissenschaft sieht in der Wärme oder in dem Feuer nichts anderes als etwas, was eine noch feinere Substantialität hat als die Luft. Gerade wie Erde oder das Feste sich in das Flüssige verwandelt, so geht das Luftförmige allmählich über für die Geisteswissenschaft in den Feuerzustand, und das Feuer ist ein so feines Element, dass es alle übrigen Elemente durchdringt. Feuer durchdringt die Luft und macht sie warm, ebenso das Wasser, ebenso die Erde. Während also sozusagen die anderen drei Elemente verteilt sind, sehen wir das Element des Feuers alles, alles durchdringen.

Nun sagte die alte und mit ihr auch die neue Geisteswissenschaft: Es ist noch ein anderer, ein beträchtlicher Unterschied zwischen dem, was wir Erde, Wasser, Luft und dem, was wir Feuer oder Wärme nennen. - Wie kann Erde oder Festes wahrgenommen werden? Nun, sagen wir, indem wir es berühren. Wir nehmen das Feste wahr, indem wir es berühren und es einen Widerstand ausübt. Ebenso ist es noch beim Wässerigen. Dieses gibt zwar leichter nach, der Widerstand ist nicht so groß, aber wir nehmen es doch wahr als etwas uns Äußerliches, als einen Widerstand. Und so ist es auch mit dem Elemente der Luft. Wir nehmen auch sie nur äußerlich wahr. Anders ist es mit der Wärme. Es muss da etwas hervorgehoben werden, was die heutige Weltanschauung nicht als bedeutsam ansieht, was aber als bedeutsam angesehen werden muss, wenn man hineinblicken will in die wirklichen Rätsel des Daseins. Wärme nehmen wir nämlich auch wahr, ohne dass wir sie äußerlich berühren. Das ist das Wesentliche: Wir können Wärme wahrnehmen, indem wir einen Körper, der einen bestimmten Grad von Wärme hat, berühren; wir können Wärme äußerlich wahrnehmen wie die drei anderen Elemente, aber wir fühlen Wärme auch in unseren eigenen inneren Zuständen. Daher hat die alte Wissenschaft, schon bei den Indern, hervorgehoben: Erde, Wasser, Luft nimmst du in der Außenwelt allein wahr, Wärme ist das erste Element, das auch innerlich wahrgenommen werden kann. Wärme oder Feuer hat also sozusagen zwei Seiten: eine Außenseite, die sich uns zeigt, wenn wir sie äußerlich wahrnehmen, eine innerliche Seite, wenn wir uns selbst in einem bestimmten Wärmezustand fühlen. Nicht wahr, der Mensch fühlt seinen inneren Wärmezustand, es ist ihm heiß, es friert ihn; dagegen kümmert er sich bewusst nicht viel um dasjenige, was in ihm luftförmige, wässerige, feste Substanzen sind, was also Luft, Wasser, Erde in ihm ist. Er fängt erst sozusagen an, sich zu fühlen im Elemente der Wärme. Eine innerliche und äußerliche Seite hat das Element der Wärme. Daher sagt die alte Geisteswissenschaft und mit ihr die neue Geisteswissenschaft: Die Wärme oder das Feuer ist dasjenige, wo das Materielle beginnt seelisch zu werden. Wir können daher im wahren Sinne des Wortes sprechen von einem äußeren Feuer, das wir gleich den anderen Elementen wahrnehmen, und einem innerlichen, seelischen Feuer in uns. So bildete das Feuer für die Geisteswissenschaft immer die Brücke zwischen dem äußerlich Materiellen und dem Seelischen, das nur innerlich wahrgenommen wird vom Menschen. Man stellte das Feuer oder die Wärme in den Mittelpunkt von aller Naturbetrachtung, weil das Feuer sozusagen das Tor ist, wodurch wir von außen nach innen dringen. Es ist wirklich dieses Feuer wie eine Tür, vor der man stehen kann; man sieht sie von außen an, macht sie auf und kann sie von innen anschauen. So ist das Feuer unter den Naturerscheinungen. Man betastet einen äußeren Gegenstand und lernt kennen das Feuer, das von außen zuströmt wie die anderen drei Elemente; man nimmt die innere Wärme wahr und fühlt sie als etwas, was einem selbst angehört: Man steht innerhalb des Tores, man tritt hinein in das Seelische. So sprach man die Wissenschaft vom Feuer aus. Daher aber auch sah man in dem Feuer etwas, wo zusammenspielt Seelisches und Materielles.

Es ist wirklich eine Elementarlektion der ersten menschlichen Weisheit, was wir jetzt einmal vor unsere Seele hinstellen wollen. Da haben die Lehrer etwa so gesagt: Sieh dir an einen brennenden Gegenstand, der durch Feuer verzehrt wird! Zweierlei siehst du in diesem brennenden Gegenstand. Das eine nannte man in dieser alten Zeit, und könnte es noch heute so nennen, Rauch, und das andere nannte man Licht. Denn diese beiden Naturerscheinungen treten vor uns auf, wenn ein Gegenstand durch das Feuer verzehrt wird: Licht auf der einen Seite, Rauch auf der anderen. So also sah der Geisteswissenschafter das Feuer mitten drinnen stehen zwischen Licht und Rauch. Der Lehrer sagte: Gleichsam wird geboren aus der Flamme auf der einen Seite das Licht, auf der anderen der Rauch.

Nun aber müssen wir uns einmal in bezug auf das Licht, das vom Feuer geboren ist, eine höchst einfache, aber weittragende Tatsache klar vor Augen legen. Es ist höchstwahrscheinlich, dass sehr viele Menschen, wenn man sie fragen würde: Siehst du das Licht? antworten würden: Nun gewiss seh ich das Licht! - Aber doch ist diese Antwort so falsch wie irgend möglich, denn in Wahrheit sieht kein physisches Auge das Licht. Es ist absolut unrichtig, wenn man sagt, man sieht das Licht. Man sieht durch das Licht die Gegenstände, welche fest, flüssig, luftförmig sind, aber das Licht selber sieht man nicht. Denken Sie sich einmal den ganzen Weltenraum vom Licht durchleuchtet, und die Quelle des Lichtes wäre irgendwo, wo Sie sie nicht sehen könnten, hinter Ihnen, und Sie schauen nun in den Weltenraum hinein, der durchleuchtet ist vom Lichte - würden Sie das Licht sehen? Sie würden dann überhaupt nichts sehen. Sie würden erst dann etwas sehen, wenn irgendein Gegenstand in den durchleuchteten Raum hineingestellt wird. Man sieht nicht das Licht, sondern nur Festes, Wässeriges, Gasiges durch das Licht. Also in Wahrheit wird das physische Licht überhaupt nicht mit den physischen Augen gesehen. Das ist nun etwas, was sich mit einer besonderen Klarheit vor das geistige Auge stellt. Die Geisteswissenschaft sagt deshalb: Das Licht macht zwar alles sichtbar, aber das Licht selber ist unsichtbar. Und das ist ein wichtiger Satz: Es ist unwahrnehmbar das Licht. Man kann es nicht durch äußere Sinne wahrnehmen. Man kann wahrnehmen Festes, Flüssiges, Gasförmiges, man kann gerade noch als letztes Element die Wärme oder das Feuer äußerlich wahrnehmen; das kann man aber auch schon anfangen innerlich wahrzunehmen. Das Licht selber aber kann man nicht mehr äußerlich wahrnehmen. Wenn Sie etwa glauben, dass, wenn man die Sonne sieht, man Licht sieht, so ist das falsch: Man sieht einen flammenden Körper, eine brennende Substanz, von der das Licht ausströmt. Würden Sie es prüfen, so würden Sie sehen, dass Sie Gasiges, Flüssiges, Erdiges haben. Das Licht sehen Sie nicht, sondern das, was brennt.

Also wir treten, wenn wir aufsteigen — so sagt die Geisteswissenschaft - von Erde durch Wasser, durch Luft zum Feuer und dann zum Licht, wir treten da von äußerlich Wahrnehmbarem, Sichtbarem ins Unsichtbare hinein, ins Ätherisch-Geistige. Oder, wie man auch sagt: Das Feuer steht an der Grenze zwischen dem äußerlich Wahrnehmbaren, Materiellen und dem, was ätherisch-geistig ist, was nicht mehr äußerlich wahrnehmbar ist. Was tut also ein durch die Flamme, das heißt durch das Feuer aufgezehrter Körper? Was geschieht, wenn etwas brennt? Wenn etwas brennt, so sehen wir auf der einen Seite entstehen das Licht. Das erste äußerlich Unwahrnehmbare, dasjenige, was in die geistige Welt hineinwirkt, was nicht mehr bloß äußerlich materiell ist sozusagen, gibt die Wärme, wenn sie so stark ist, dass sie eine Lichtquelle wird. Sie gibt an das Unsichtbare, an das, was nicht mehr äußerlich wahrgenommen werden kann, etwas ab, aber sie muss das bezahlen durch den Rauch. Sie muss aus dem, was vorher durchsichtig durchleuchtet war, sich herausbilden lassen das Undurchsichtige, das Rauchige. Und so sehen wir, wie in der Tat die Wärme oder das Feuer sich differenziert, sich teilt. Sie teilt sich nach der einen Seite in Licht, und damit eröffnet sie einen Weg in die übersinnliche Welt hinein. Dafür, dass sie etwas hinaufsendet als Licht in die übersinnliche Welt, dafür muss sie etwas hinuntersenden in die materielle Welt, in die Welt des Undurchsichtigen, aber Sichtbaren. Nichts entsteht einseitig in der Welt. Alles, was entsteht, hat zwei Seiten: Wenn durch Wärme Licht entsteht, so entsteht auf der anderen Seite Trübung, finstere Materie. Das ist uralte geisteswissenschaftliche Lehre.“ […]