Sokrates philosophiert mit Aristippos

Sokrates. Sage mir, Aristipp, wenn dir ein paar junge Leute übergeben würden, um den einen zum regieren, den andern so, dass er weder Lust noch Vermögen zum regieren habe, zu erziehen, - wie wolltest du es anstellen? - Machen wir, wenn dir's recht ist, gleich mit der Nahrung als dem unentbehrlichsten, den Anfang.

Aristippos. (lächelnd) Die Nahrung möchte allerdings, da man ihrer zum Leben nicht wohl entbehren kann, der erste Punkt sein.

Sokrates. Ohne Zweifel werden unsre beiden Zöglinge um Essenszeit zu Tische gehen wollen?

Aristippos. Man sollt' es denken.

Sokrates. Nun könnte aber gerade um diese Zeit ein dringendes Geschäfte abzutun sein: welchen von beiden wollten wir so gewöhnen, dass er lieber die Befriedigung seines Magens aufschieben möchte, als ein nötiges Geschäft?

Aristippos. Freilich wohl den ersten, der zum Regieren erzogen werden soll, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, dass die Staatsgeschäfte unter seiner Regierung ungetan bleiben.

Sokrates. In diesem Fall hat es wohl mit dem Trinken dieselbe Bewandtnis? Er wird sich auch gewöhnen müssen, Durst leiden zu können?

Aristippos. Keine Frage!

Sokrates. Und wie ist es mit dem Schlafe? Welchen von beiden wollen wir so erziehen, dass er spät zu Bette gehen, früh aufstehen, und, wenn's nötig ist, die ganze Nacht wach bleiben könne?

Aristippos. Immer noch den ersten, versteht sich.

Sokrates. Und der Afrodisischen Befriedigungen sich enthalten zu können, um auch von diesen sich nicht an pflichtmäßigen Geschäften verhindern zu lassen?

Aristippos. Eben denselben.

Sokrates. Ferner, keine Arbeiten noch Beschwerlichkeiten zu scheuen, sondern sie vielmehr freiwillig zu übernehmen, welchen von beiden wollen wir dazu anhalten?

Aristippos. Unleugbar den, der zum Regieren gebildet werden soll.

Sokrates. Und überhaupt alles zu lernen, was man wissen und können muss, um über seine Gegner Meister zu werden, welcher wird dessen wohl am meisten bedürfen?

Aristippos. Freilich der künftige Staatsmann; denn ohne diese Kenntnisse und Geschicklichkeit würde ihm alles Übrige zu nichts helfen.

Sokrates. Dünkt dich nicht, einer der so erzogen ist, werde von seinen Gegnern nicht so leicht gefangen werden können, wie andre Tiere? Denn unter diesen gibt es einige, die ihren Magen so kirre macht, dass sie, ihrer natürlichen Schüchternheit ungeachtet, dem Reiz der Lockspeise nicht widerstehen können, und dadurch gefangen werden; andere, denen man durch (betäubende) Getränke nachstellt; noch andere, wie z. B. die Wachteln und Rebhühner, die, sobald sie von der Stimme eines Weibchens gelockt werden, in brünstiger Begierde herbei geflogen kommen, und, über der gehofften Lust alle Gefahr vergessend, sich ins Netz des Vogelstellers stürzen.

Aristippos. Dagegen ist nichts zu sagen.

Sokrates. Dünkt dich nicht auch, es gereiche einem Menschen zur Schande, sich von einem blinden Trieb wie die unverständigsten Tiere überwältigen zu lassen? Die Ehebrecher, zum Beispiel, wissen, indem sie andern ins Gehege gehen, recht gut, dass sie Gefahr laufen, in die Strafe des Gesetzes zu fallen, und was für schreckliche und schmähliche Misshandlungen ihrer warten, wenn sie ertappt werden; und doch ist weder Schaden noch Schande vermögend, den Ehebrecher zurückzuhalten, dass er sich nicht blindlings in die größte Gefahr stürze, um einen Trieb zu befriedigen, zu dessen Stillung ihm so viele gefahrlose Wege offen stehen. Muss ein solcher Mensch nicht ganz und gar von einem bösen Dämon besessen sein?

Aristippos. So dünkt mich's

Sokrates. Da die unentbehrlichsten Geschäfte der Menschen größtenteils unter freiem Himmel verrichtet werden müssen, wie z. B. der Kriegsdienst, der Ackerbau, und eine Menge anderer Arbeiten und Beschäftigungen des gemeinen Lebens, dünkt dich nicht, es sei eine sehr große Nachlässigkeit, dass so Wenige sich üben, ihren Körper gegen Frost und Hitze abzuhärten?

Aristippos. Allerdings.

Sokrates. Ein künftiger Regent oder Befehlshaber wird also auch zu dieser Art von Übung angehalten werden müssen?

Aristippos. O ganz gewiss muss er das.

Sokrates. Wenn wir denn also darüber einig sind, dass nur solche, die in allen besagten Dingen eine völlige Gewalt über sich selbst erlangt haben, für regierungsfähig zu achten sind, werden wir nicht alle, die es nicht so weit gebracht, mit denen, die an Staatsverwaltung ganz und gar keinen Anspruch machen, noch zu machen haben, in Eine Klasse stellen müssen?

Aristippos. Unstreitig.

Sokrates. Nun dann, mein lieber Aristipp, da du beide Klassen so gut zu stellen weißt, hast du auch schon überlegt, in welche von beiden du dich selbst füglich stellen könnest?

Aristippos. Wenn das alles mir gelten soll, Sokrates, so muss ich dir sagen, dass ich weit entfernt bin, an einen Platz unter denen, die es aufs regieren angelegt haben, Anspruch zu machen. Offenherzig zu reden, ich hege keine große Meinung von dem Verstand eines Menschen, der an der Sorge sich selbst das Nötige zu verschaffen, wiewohl sie ihm alle Hände voll zu thun gibt, nicht genug hat, sondern sich auch noch mit der Verpflichtung beladet, für die Bedürfnisse der übrigen Staatsbewohner zu sorgen. Ist es nicht die größte Torheit, um andrer Leute willen sich selbst so manchen Genuss, wozu man Lust hätte, zu entziehen, und da man mit aller Mühe und Arbeit gleichwohl nicht immer alle Wünsche des Publikums befriedigen kann, zu riskieren, dass einem am Ende noch der Prozess deswegen gemacht wird? Denn, es ist nun einmal nicht anders, das Volk glaubt von seinen Obern alles fordern zu können, was unser einer seinen Sklaven zumutet. Ich verlange von meinen Leuten, dafür zu sorgen, dass ich mit allem was ich brauche immer reichlich versehen sei, aber daß sie selbst nichts davon anrühren; und gerade so macht es das Volk in Republiken mit seinen Vorstehern; ihm sollen sie alles schaffen was sein Herz gelüstet, aber sie sollen immer reine Hände haben. Meine Meinung von der Sache ist also diese: Wem es darum zu tun ist, recht viel Sorge und Plackerei zu haben, und sich und andern immer was zu tun zu machen, der mag sich dem Staat widmen, und den wollen wir, auf besagte Weise, zum regieren erziehen lassen; ich für meinen Teil stelle mich unter die, welche ihr Leben so gemächlich und angenehm als möglich zuzubringen wünschen.

Sokrates. Nun so wollen wir, wenn's dir gefällig ist, untersuchen, wer angenehmer lebt, die Regierenden, oder die Regierten?

Aristippos. Recht gern.

Sokrates. Gehen wir einmal die bekanntesten Völker durch. In Asien z. B. regieren die Perser; die Syrier, PhrygierLydier hingegen werden regiert; in Europa regieren die Skythen, und die Mäoten sind ihnen untertan; in Lybien (Afrika) regieren die Karchedonier (Karthager) und die Libyer müssen sich von ihnen beherrschen lassen. Welche von diesen leben nun, deiner Meinung nach, angenehmer? Oder, weil du doch auch zu den Griechen gehörst, welche unter den griechischen Völkern scheinen dir angenehmer zu leben, die regierenden, oder die regierten? und

Aristippos. Das kann mir gleich viel seyn. Ich, für meine Person, bin Niemandem dienstbar. Mich dünkt, es giebt zwischen beyden noch einen Mittelweg, der weder durch Herrschaft noch Dienstbarkeit, sondern durch Freyheit gerade zur Glückseligkeit führt, und das ist der, den ich zu gehn versuche.

Sokrates. Nun freylich wohl, wenn er, so wie er weder durch die Herrschaft noch die Dienstbarkeit geht, auch nicht durch die Menschen gienge, möchtest du recht haben; da du aber unter Menschen lebst, und doch weder selbst regieren, noch regiert seyn willst, so wirst du, denke ich, bald genug erfahren, daß die Mächtigen es immer in ihrer Gewalt haben, den Schwächern, sowohl in Masse als einzeln, das Leben sauer zu machen und sie dahin zu bringen, daß sie ihnen dienstbar seyn müssen. Oder weißt du nicht, wie wenig Bedenken die Stärkern sich im Kriege darüber machten, die Früchte zu schneiden die der Schwächere gesäet, und die Bäume umzuhauen die er gepflanzt hat, kurz, wie sie ihn, wenn er sich nicht im Guten unterwerfen will, von allen Seiten so lange zu ängstigen wissen, bis sie ihm begreiflich gemacht haben, er thue besser zu dienen, als mit Stärkern als er ist in ofner Fehde zu leben? Und wie könnte dir unbekannt seyn, daß es auch im bürgerlichen Leben nicht anders hergeht, und daß, wer Muth und Vermögen hat, immer Mittel findet den Furchtsamen und Unmächtigen unter sich zu bringen und Vortheil von ihm zu ziehen?

Aristippos. Dafür hab' ich ein gutes Mittel. Eben darum, damit es mir nicht so ergehen könne, schließe ich mich in keinen besondern Staat ein, sondern lebe allenthalben als ein Ausländer.

Sokrates. Das gesteh ich! Da hast du dir eine feine List ausgedacht! Freylich, seitdem Sinnis und Skeiron und Prokrustes todt sind, ist ein Fremder bey uns auf der Landstraße so ziemlich vor ihres gleichen sicher. Indessen sehen wir doch, daß selbst diejenigen, die in ihrem eignen Vaterlande die Ersten im Staate sind, mit allen Vortheilen, die sie vor andern voraus haben, es doch nicht dahin bringen können, sich gegen Beeinträchtigungen sicher zu stellen. Sie lassen es zwar in dieser Absicht an Gesetzen nicht fehlen; sie bewerben sich, außer ihren Geschlechts- und Blutsverwandten, noch um andere Freunde, um einen Anhang zu haben, auf dessen Beystand sie sich im Nothfall verlassen können; sie befestigen ihre Städte, schaffen Vorräthe von Waffen herbey, um auf den Fall eines Angriffs im Vertheidigungsstande zu seyn, und setzen sich über dies noch in auswärtige Verbindungen; - und mit allen diesen Anstalten und Vorkehrungen zu ihrer Sicherheit, sind sie dennoch nicht vor Beleidigung gedeckt. Und du, der du von dem allen nichts hast, einen großen Theil deines Lebens auf den Landstraßen, wo man denn doch noch immer mancherley Beleidigungen ausgesetzt ist, zubringst, und in allen Städten, die du durchwanderst, immer weniger als der geringste Bürger zu bedeuten hast, also gerade so einer bist, über den böse Buben sich am liebsten her machen: du bildest dir ein, vor Beleidigungen sicher zu seyn, weil du ein Fremder bist? Worauf gründest du diese Zuversicht? Etwa darauf, weil dir in allen Städten, wenn du ankommst und wenn du wieder weiter ziehst, öffentliche Sicherheit zugesagt wird? Oder vielleicht auch, weil du denkst, niemand werde eben viel dabey zu gewinnen glauben, wenn er dich zum Sklaven bekäme?  

Und in der That, wer möchte einen Menschen gern in seinem Hause haben, der nichts arbeiten wollte und dem nur das köstlichste gut genug wäre? - Wahr ists indessen, daß Hausherren, die solche Sklaven haben, eben nicht sehr verlegen sind, wie sie sich mit ihnen helfen sollen. Den Kitzel vertreiben sie ihnen durch Hunger; damit sie nichts stehlen können, wird alles sorgfältig vor ihnen verschlossen; davon zu laufen, verbietet man ihnen durch Fußschellen, und gegen die Faulheit sind Schläge ein bewährtes Mittel. Oder wie hältst du es mit deinen Sklaven, wenn du einen dieses Gelichters unter ihnen entdecktest?

Aristippos. Ich züchtige ihn ohne Barmherzigkeit so lang und so viel, bis er seine Schuldigkeit tut. Aber, erlaube mir zu fragen, Sokrates, worin sind die jungen Leute, die zu jener königlichen Kunst erzogen werden, in welche du mir die höchste Glückseligkeit zu setzen scheinest, von denen verschieden, die aus Not elend leben müssen, wenn sie freiwillig hungern und dürsten, frieren und den Schlaf sich entziehen? Ich für meinen Teil sehe nicht, worin der Unterschied liegen soll, ob das nehmliche Fell freiwillig oder unfreiwillig durchgegerbt wird, oder ob überhaupt eben derselbe Leib alle diese Peinigungen willig oder gezwungenerweise aushalten muss. Man muss wahnsinnig sein, um den Willen zu haben sich selbst zu peinigen.

Sokrates. Wie, Aristipp? du siehst hier keinen Unterschied? Er fällt doch, dächte ich, stark genug in die Augen. Wer aus freiem Willen hungert, kann auch essen wenn er will; das ist aber nicht der Fall bei dem Gezwungenen. Überdies versüßt sich der erste die gegenwärtige Unlust durch die Hoffnung, wie die Jäger der gehofften Beute wegen sich allen Beschwerlichkeiten der Jagd mit Vergnügen unterziehen. Gleichwohl ist der Preis, womit der Jäger sich für seine Mühe belohnt hält, etwas sehr unbedeutendes: Aber wer sich keine Anstrengung dauern lässt um die Freundschaft edler Menschen zu gewinnen, oder um ein braver Kriegsmann und Heerführer zu werden, oder überhaupt seine Leibes- und Gemütskräfte so zu üben, dass er tüchtig werde seinem Hause wohl vorzustehen, seinen Freunden nützlich zu sein, und sich um sein Vaterland verdient zu machen: siehst du nicht, dass schon die Mühe selbst, die er sich geben muss, um zu dem allen zu gelangen, ihr Vergnügen mit sich führt, und dass ein fröhliches Gemüht, der Beifall seines eigenen Herzens und die Hochachtung und Zuneigung anderer Menschen eine reiche Belohnung seiner Arbeiten und Aufopferungen sind? Noch mehr: Leichte, bloß zur Kurzweil vorgenommene Beschäftigungen und Genüsse die mit keiner Mühe erkauft werden, können weder dem Körper eine harte und gesunde Beschaffenheit zuwege bringen, wie die Meister der Gymnastik behaupten, noch die Seele mit irgend einer schätzbaren Kenntnis bereichern: angestrengte und ausdauernde Bemühungen hingegen verschaffen uns den Genuss des Besten und führen zu großen und preiswürdigen Dingen. So sagt schon Hesiodos irgendwo:

Zu der Untugend ist's leicht auch Scharenweise zu kommen,
Breit und glatt ist der Weg, und nur zu nahe ihr Wohnsitz;
Aber auf steile, mit saurem Schweiß nur erklimmbare Höhen
Haben die Götter die Tugend gesetzt, langwierig und rau ist
Anfangs der Weg zu ihr; doch ist erstiegen der Gipfel,
Dann ist er leicht und freundlich zu gehn, so schwierig er erst war.

Auch bezeugt es der Dichter Epicharmos, da er sagt:

- für Müh und Arbeit
Verkaufen uns die Götter alles Gute.

Und an einem andern Orte:

Du suchst das Glück im Schoß der Weichlichkeit,
Betrogener, Scham und Reue wirst du finden.

Auch der berühmte Prodikos erklärt sich in der Schrift vom Herkules, die er öfters vorzulesen pflegt, über die Tugend auf eben diese Weise, und zwar, so viel ich mich erinnern kann, folgendermaßen.

Als Herkules das Alter erreicht hatte, wo der Knabe sich in den angehenden Jüngling verliert, und junge Leute, indem sie ihre eigenen Herren zu sein anfangen, zu erkennen geben, ob sie in ihrem künftigen Leben den Weg der Tugend oder den entgegengesetzten gehen werden, zog er sich einstmals, noch unentschlossen welchen von beiden Wegen er einschlagen wolle, an einen stillen einsamen Ort zurück, um der Sache ernstlich nachzudenken. Da däuchte ihn, als sehe er auf einmal zwei Frauenpersonen von mehr als gewöhnlicher Größe auf ihn zukommen: die eine von edler Gestalt und Gesichtsbildung, voll Würde und Anstand, ihre Farbe frisch und rein, ihr Auge ernst und züchtig, ihre Stellung und Gebärde sittsam, ihr Anzug glänzend weiß; die andere hingegen zeichnete sich durch die aufgedunsene Fleischigkeit und mürbe Zartheit aus, die von überflüssiger Nahrung und allzu weichlicher Lebensart erzeugt zu werden pflegen; von ihrer natürlichen Farbe ließ die künstliche Weiße und Röte, die sie der Schminke schuldig war, wenig oder nichts erraten; sie trug sich so, dass sie höher und gerader schien als sie von Natur war; ihre weltoffenen Augen schossen mit einer Freiheit, die an Frechheit grenzte, hin und her, und bei ihrem Anzug hatte sie dafür gesorgt, dass ihre Reize dadurch vielmehr ins vorteilhafteste Licht gesetzt als verdeckt und verdunkelt werden möchten. Ihre immer unsteten und beschäftigten Blicke irrten bald mit sichtbarer Selbstgefälligkeit auf ihrer eignen Person herum, bald flogen sie umher, und suchten ob sie auch von andern beobachtet werde; ja nicht selten sah sie sich sogar nach ihrem eignen Schatten um.

Wie die beiden Frauen dem jungen Herkules näher kamen, blieb die erste bei ihrem gewöhnlichen Schritt; aber die andere, um ihr zuvorzukommen, lief gerade auf den Jüngling zu, und redete ihn folgendermaßen an. Ich sehe, lieber Herkules, dass du noch unentschlossen bist, welchen Weg im Leben du gehen wollest. Wähle mich zu deiner Freundin, und ich will dich auf den anmutigsten und gemächlichsten Weg führen; kein Vergnügen soll dir ungenossen entgehen, alles hingegen was Mühe, Beschwerlichkeit und Schmerz heißt, in deinem ganzen Leben dir unbekannt bleiben. Vor allem also wirst du dich weder mit dem Kriege noch mit andern Geschäften bemengen müssen. Deine einzige Sorge wird sein, die leckerhaftesten Schüsseln und die köstlichsten Getränke ausfindig zu machen, dich zu fragen was du am liebsten sehen und hören möchtest; was jedem deiner Sinne den angenehmsten Kitzel gewähren könne; dich wenn du der Liebe zu pflegen Lust hast, nach den Schönsten und Reizendsten umzusehen, auf Schwanenfellen und Rosen zu schlafen, und dir alle diese Genüsse mit der allerwenigsten Mühe zu verschaffen. Sollte dir jemals einfallen, die Quellen, aus welchen dir das alles zufließen wird, möchten abnehmen oder endlich gar versiegen: so fürchte nicht dass ich es je so weit mit dir kommen lassen werde, dass du, um diese Lebensart fortsetzen zu können, dich irgend einer mühseligen Leibes- oder Geistesarbeit unterziehen müsstest. Nein! Andere werden für dich arbeiten, und du sollst die Früchte ihrer Arbeit genießen. Weise nichts von der Hand und scheue dich vor Nichts, das dir Gewinn bringen kann: Denn auf allen Seiten von allem auf alle mögliche Weise Vorteil zu ziehen, dazu gebe ich meinen Freunden unbedingte Gewalt.

Hier hörte sie auf zu reden und nun erkundigte sich der junge Herkules nach ihrem Namen. Meine Freunde, sagte sie, nennen mich Eudämonia; aber die mir übel wollen, geben mir, um mich zu verkleinern, den Namen Wollust.

Inzwischen war auch die andere Frau herbeigekommen, und nahm jetzt das Wort. Auch mich, o Herkules, sprach sie, führt eine wohlwollende Neigung zu dir; denn ich kenne deine Erzeuger, und habe deine Sinnesart von Kindheit an beobachtet. Dies lässt mich hoffen, du werdest, wenn du meinen Weg erwählst, große und preiswürdige Taten zu Stande bringen, deren Glanz auch auf mich zurückfallen, und mich den Menschen, wegen alles Guten, so sie von dir empfangen, lieber und ehrwürdiger machen werden. Ich will dich nicht mit Vorspiegelungen eines Lebens voller Wonne hintergehen; sondern was die unwandelbare Ordnung der Götter ist, davon sollst du treulich und wahrhaft von mir berichtet werden. Von allem was Gut und Schön ist, teilen die Unsterblichen den Menschen nichts ohne Arbeit und Bemühung zu. Willst du, dass die Götter dir gnädig sein, so musst du ihnen den schuldigen Dienst erweisen. Willst du von Freunden geliebt sein, so musst du dich deinen Freunden nützlich machen; willst du von irgend einer Stadt geehrt sein, so musst du ihrem Gemeinwesen gute Dienste leisten; wünschest du in der ganzen Hellas den Ruhm eines trefflichen Mannes zu erhalten, so musst du dein Möglichstes tun, dich um die ganze Hellas verdient zu machen. Verlangst du, dass die Erde dir reichliche Früchte trage, so musst du sie tüchtig bauen; willst du durch Viehzucht reicher werden, so musst du deiner Herden fleißig warten; oder willst du durch den Krieg emporkommen, und dich in den Stand setzen deine Freunde zu schützen und die Feinde zu überwältigen, so musst du dich zuvor der Kriegskünste unter geschickten Meistern mit Eifer befleißigen, und dann erst noch durch viele Übung lernen, wie sie gehörig anzuwenden sind; und sogar die großen Leibeskräfte, womit die Natur dich begabt hat, würden dir wenig helfen, wenn du nicht durch gymnastische Übungen mit Anstrengung und Schweiß sie geschickt zu gebrauchen gelernt und deinen Körper der Seele zu gehorchen angewöhnt hättest.

Hier (sagt Prodikos) fiel ihr die Wollust in die Rede, und sagte: Du siehest, lieber Herkules, was für einen langen und mühseligen Umweg zum Lebensgenuss dieses Weib dir vorzeichnet: da ich hingegen dich auf dem bequemsten und kürzesten Weg zum glücklichsten Leben führe. Elende, versetzte ihr die Tugend, wie darfst du von Glückseligkeit reden, und wie wenig muss das, was du gut und angenehm nennst, diesen Namen verdienen, da du es nicht einmal der Mühe wert hältst, etwas dafür zu tun? Wie solltest du auch wissen können was wahres Vergnügen ist, da du den Reitz des Bedürfnisses nie erwartest, sondern dich mit Speisen anfüllst bevor dich hungert, und trinkst ohne zu dürsten? Damit du mit einiger Lust essen könnest, muss die Kochkunst alle ihre Erfindungen erschöpfen; um mit Vergnügen zu trinken, musst du dir die teuersten Weine anschaffen und mitten im Sommer nach Schnee herumlaufen; und um schlafen zu können, nicht nur die weichsten Matratzen und Decken, sondern noch kostbare und zierlich gearbeitete Bettstellen nötig haben, und diesen sogar noch Tapeten unterlegen; denn du gehst nie schlafen, um vom Arbeiten auszuruhen, sondern weil du vor Langweile sonst nichts anzufangen weißt. Die Afrodisischen Vergnügungen erzwingst du, ohne Bedürfnisse durch alle Arten von künstlichen Reizmitteln, und mit den Männern nicht zufrieden, machst du dir sogar welche aus deinem eigenen Geschlecht. Was für Ehre hast du davon, dass du der Unsterblichen eine bist? Die Götter haben dich aus ihrer Gesellschaft ausgestoßen, und allen guten Menschen bist du verächtlich. Das süßeste was man hören kann, hat dein Ohr nie gehört; denn wann hörtest du dich jemals loben? Das angenehmste, was die Augen sehen können, hast du nie gesehen; denn wo sahest du jemals ein großes oder schönes Werk, das du zu Stande gebracht hättest? Wer hat dir jemals geglaubt, wenn du etwas bezeugest? Wer nimmt sich deiner an, wenn du in Mangel gerätst? Oder welcher Mensch, der bei Verstand ist, könnte sich entschließen dein Gefolge zu vermehren, wenn er sieht, was es für ein Ende mit ihnen nimmt. In den besten Jahren des Lebens schon unvermögend (weil sie ihre Kräfte in Trägheit und Ausschweifungen verzehrt haben) sind sie blödsinnig und stumpf in den Jahren, deren eigentümlicher Vorzug Besonnenheit und Weisheit sein sollte. Während ihrer Jugend in Müßiggang und Üppigkeit aufgefüttert und fett gemacht, bringen sie ihr Alter in Kummer und schmutziger Dürftigkeit hin, beschämt von der Erinnerung dessen was sie ehemals taten, zu Boden gedrückt von dem was sie jetzt zu tun genötigt sind; Toren die im Frühling des Lebens alle Arten von Vergnügungen nicht schnell genug durchlaufen können, und alles Beschwerliche für den Winter aufsparen.

Ich aber lebe mit Göttern und guten Menschen, und keine schöne Tat, kein preiswürdiges Werk weder von Göttern noch Menschen vollbracht, kommt ohne mich zu Stande. Auch werd' ich von Göttern und Menschen über alles hoch gehalten. An mir findet der Künstler und Handwerksmann eine erwünschte Mitarbeiterin, der Hausherr eine getreue Haushälterin, die Dienstboten eine freundliche Gehilfin. Im Frieden und im Kriege gleich unentbehrlich, fördre ich in jenem alle gemeinnützlichen Arbeiten, und bin in diesem die zuverlässigste Streitgenossin; und keine Freundschaft ist dauerhaft, die ich nicht gestiftet habe.

Auch fehlt es meinen Freunden so wenig an Vergnügungen, dass vielmehr ihnen allein der reine Genuss derselben zu Teil wird. Da sie dem Ruf des Bedürfnisses nie zuvorkommen, so haben sie, um mit Vergnügen zu essen und zu trinken, weder großer Zurüstungen noch vieles Aufwandes nötig. Ihr Schlaf ist viel süßer als wenn sie ihn nicht durch Arbeit gewonnen hätten; aber sie wehklagen nicht, wenn sie sich ihm entreißen müssen, und verabsäumen nichts nötiges um seinetwillen. In ihrer Jugend haben sie die Freude sich von den Alten loben zu hören, im Alter ist's ihnen angenehm von der Jugend geehrt zu werden. Mit Vergnügen erinnern sie sich dessen, was sie ehemals getan haben, und mit Vergnügen ist alles, was sie gegenwärtig tun, begleitet. Wie könnt' es ihnen auch an Vergnügen fehlen, da sie um meinetwillen begünstigt von den Göttern, geliebt von ihren Freunden, geehrt in ihrem Vaterlande sind? Und ist endlich das Ziel gekommen, das einem jedem gesetzt ist, so liegen sie nicht ruhmlos und vergessen im Grabe, sondern gepriesen und besungen von der Nachwelt, blühen sie immer und ewig im Andenken guter Menschen fort. Dies, o Herkules, zu erstreben ist deiner edlen Abstammung würdig, und diese hohe allein wünschenswerte Eudämonie wird der Preis deiner Anstrengungen sein.

So weit der Unterricht, welchen Prodikos die Tugend dem jungen Herkules erteilen lässt. Es versteht sich, dass ich dir nur den Inhalt seines Werks und den Sinn der Reden mitgeteilt habe; denn an die Pracht und Schönheit seines Ausdrucks mache ich keinen Anspruch. - Dir, lieber Aristipp, kann es einen reichen Stoff zu nützlichen Betrachtungen geben; denn du würdest auf alle Fälle wohltun, wenn du einmal einen Versuch machtest, über den Zweck und die Einrichtung deines künftigen Lebens nachzudenken.