Pyramiden (1)

Entnommen aus dem Buch: „Der Mensch und sein Tempel“ von Frank Teichmann.

DER PYRAMIDENBAU ALS GOTTESDIENST

Aus den bisherigen Ausführungen ist ersichtlich, dass die Ägypter ihre wichtigste Aufgabe darin sehen mussten, Pyramiden zu errichten. An ihnen hing das Gedeihen des Landes, dort begegnete ihr König den Göttern, erfuhr er deren Pläne, nach denen er das Land leitete und so den Segen der göttlichen Welt auf die Erde brachte. Ein Bauwerk, durch das solches geschehen konnte, mit errichten zu dürfen, gehörte bestimmt zu den großen Ereignissen im Leben eines jeden Ägypters. Solch gigantische Großleistungen der Bautechnik sind auch nur dadurch vorstellbar, dass alle Bauarbeiter darin ebenso ihre Aufgabe sehen und alles tun, um diesem Werk zu dienen. Die heute beliebten Darstellungen, die dem Leser den Pyramidenbau nur als Arbeit großer Sklavenhorden suggerieren wollen, beruhen immer auf dem Fehlschluss, dass diese Anlagen eigentlich sinnlose Bauten seien, die allein dem Machtstreben oder der Ruhmsucht der Pharaonen dienen sollten. Ein solches Streben wäre einem ägyptischen Pharao des »Alten Reiches« gänzlich fremd gewesen, und nur die Projektion der Vorstellungen des eigenen Zeitalters in diese urferne Vergangenheit bringt solche Missverständnisse zustande.

 

2.600.000 BLÖCKE

Um sich eine genauere Vorstellung vom Bau der Pyramiden machen zu können, seien hier noch einige Überlegungen angeschlossen. Da ist vor allem das Problem der zu bewältigenden Steinmassen. Die großen Pyramiden von Gizeh bestehen jede aus ca. 2.600.000 Blöcken von durchschnittlich 2.500 kg Gewicht. Da diese Steine an der Baustelle noch bearbeitet worden sind, müssen ca. 7.000.000 t Steine aus den Steinbrüchen herausgebrochen und an die Baustelle transportiert worden sein. Das entspräche heute 700.000 Lastwagen mit je 10 t Steinen. Das sind aber nur die durchschnittlichen Steingrößen. Einzelne Blöcke, die in die Tempelbauten der Chefren- und Mykerinospyramidenanlagen eingebaut sind, haben Gewichte von 150, 200 und sogar 500 t (Totentempel der Chefrenpyramide). Als Decksteine der »Königskammer« in der Cheopspyramide sind 50 Blöcke von je ca. 50 t Gewicht verbaut! Wie hat man sich den Transport solch gewaltiger Lasten zu denken? In allen Zeiten der ägyptischen Geschichte ist als Land-Transportmittel nur der Schlitten verwendet worden, der von Menschen gezogen wurde. Selbst große und größte Werkstücke (wie z.B. Obelisken) wurden auf Holzschlitten gelegt und dann auf Nilschlammziegelstraßen gezogen. Der Nilschlamm hat nämlich die Eigenschaft, dass er auch ungebrannt, also nur luftgetrocknet, ziemlich hart wird. Kommt er jedoch mit Wasser in Berührung, so löst er sich sofort wieder auf. Dies hat sich der Ägypter zunutze gemacht, indem er unmittelbar vor den zu ziehenden Schlitten Wasser ausgoss, das dann die Oberfläche der Nilschlammziegel hauchdünn auflöste und damit eine Gleitschicht erzeugte, auf der der Schlitten wie auf Glatteis gezogen werden konnte.

 

RAMPE

Die Pyramiden sind nun höchstwahrscheinlich so errichtet worden, dass (mindestens) eine Rampe aus Nilschlammziegeln auf die jeweilige Höhe der Pyramide gebracht wurde, über die der Transport der Blöcke erfolgte. Diese Rampe musste selbst bei jeder Schicht, um die die Pyramide höher wurde, mit erhöht und nach Vollendung des Bauwerks wieder vollständig abgebrochen und weggeschafft werden. Rechnet man sich den Rauminhalt der fertigen Rampe aus, so schwankt dieser, je nach angenommenem Neigungswinkel, zwischen 20% (20°) und 40% (15°) des Rauminhaltes der Pyramide. Rechnet man dazu, dass diese Rampe auch wieder abgebrochen werden musste, so waren also mindestens 12.000.000 t Steine und Nilschlammziegel zu bewegen gewesen!

 

3 BLÖCKE PRO MINUTE

Nimmt man nun an, dass die Bauzeit der Pyramide CA. 20 Jahre betrug und in jedem Jahr mindestens 100 Tage (während der Überschwemmungszeit) voll gearbeitet wurde (13 Stunden pro Tag), so ergibt sich die unglaubliche Summe von 1.300 fest verbauten Blöcken pro Tag. Das heißt, in jeder Minute mussten 2 Blöcke an ihre endgültige Stelle gebracht werden. Berücksichtigt man Störungen durch die notwendig werdende Erhöhung der Rampe, ungleichmäßigen Fluss der Steine (z.B. beim Bau der inneren Kammern) etc., so müssen im Durchschnitt ca. 3 Blöcke pro Minute bei kontinuierlicher Arbeit versetzt worden sein. Da an jedem Block beim Transport mindestens 10 Leute zu tun hatten, zogen also pro Minute 30, pro Stunde 1800 Arbeiter an einem bestimmten Punkt auf der Rampe vorbei. Alle diese Bewegungen mussten organisiert und geordnet ablaufen, um die kontinuierliche Weiterarbeit zu sichern. Dazuhin mussten alle diese am Bau beteiligten Menschen ernährt, versorgt und untergebracht werden. Schlitten und Seile mussten repariert, und hergestellt, das Wasser musste auf die Rampe gebracht werden usw. Ein Organisationsproblem ersten Ranges!

 

RHYTHMUS UND GESANG

Stellt man sich diese Aufgabe konkret vor Augen, so kann eine solche Organisation nur dann funktionieren, wenn alle Bewegungen am Bauplatz vollständig geordnet ablaufen. Eine Hilfe, um diese Ordnung herzustellen, war sicherlich die Musik. Von Gesängen ist bei solchen Transporten immer wieder die Rede. So sangen z.B. »die Männer mit starkem Arm« beim Transport der Statue des Thothotep folgendes Lied:

 

»Ich komme, um sie (die Steine) zu bringen,
mein Herz ist froh, die ganze Stadt freut sich,
sehr schön ist es, dies zu sehen, mehr als alle Dinge.
Der Alte dort, er lehnt sich auf das Kind,
der Starke ist zusammen mit dem Zitterer.
Ihre Herzen erhoben sich, ihre Arme wurden stark,
ein jeder von ihnen erreichte die Kraft von 1000 Mann.«

 

Der Bauplatz einer Pyramidenanlage muss ehemals einen ganz ungeheuergroßen Eindruck gemacht haben. In genau festgelegter Ordnung liefen die Arbeiten ab und bewegten sich die Bautrupps-, nach den Rhythmen, die in ihrer Umgebung erklangen. Wenn man sich diese tönende Ordnung vorzustellen versucht, so wird deutlich, dass die Teilnahme an einem solchen Werk tiefe Erlebnisse bei der Bevölkerung Ägyptens hinterlassen haben muss. Denn eine solche tönende Ordnung wurde als Abbild einer himmlischen Welt erfahren, die auch erklingend und durch und durch geordnet gedacht wurde. Sich als ein Glied einer solchen Ordnung erfahren zu dürfen, war Gottesdienst.