Mumifizierung

In folgender Art könnte man den Kindern von der Mumifizierung in Ägypten erzählen.

Die Menschen im alten Ägypten hatten eine sehr genaue Vorstellung von dem, was sie nach ihrem Tod erwartete. Das Reich der Toten, so dachte sie, befände sich unterhalb der Erde – dort, wo die Sonne nach ihrem Untergang im Westen ihre weitere Bahn zog. Wenn also auf der Erde Nacht war, so schien im Reich der Toten die Sonne. Daher bestatteten die Ägypter ihre Toten auch nur auf der Westseite des Nils im Sand der Wüste. Sie verkürzten damit den Verstorbenen ihren Weg ins Totenreich.

Man dachte, dass sich das Leben im Jenseits äußerlich nur wenig vom Leben hier auf der Erde unterschied. Aus diesem Grund gab man den Verstorbenen und besonders den Pharaonen all die Gegenstände des alltäglichen Lebens mit in ihr Grab, die sie später im Reich der Toten brauchen würden. Das waren zum Beispiel aufwendig verzierte Kutschen, Möbelstücke, Schiffsmodelle, sogar konserviertes Essen, aber auch Socken und hunderte Lendentücher - die antike Unterwäsche.

Als „Bar“ bezeichneten die Ägypter die Seele des Menschen. Wenn ein Mensch sein Leben aushauchte, verließ Bar den Körper in Gestalt eines Vogels. Nachts reist Bar auf der Barke des Sonnengottes „Re“ durch die Unterwelt, tagsüber kehrt er in den Körper zurück, vorausgesetzt, die sterbliche Hülle blieb unversehrt. Daher versuchten die Ägypter den Leichnam möglichst gut zu erhalten.

Der Wüstensand selbst zeigte den Ägyptern, wie das Mumifizierung ging. Arme Verwandte, die sich keine aufwendige Bestattung leisten konnten, legten ihre Toten in Ziegenfelle gehüllt einfach in den trockenen Wüstenboden. Der Sand hat die Eigenschaft, die Verwesung des Körpers auf natürliche Weise zu stoppen. Er enthält nämlich etwas Salz. Das Salz entzog dem Körper alle Flüssigkeiten und das war wichtig. Auch wenn wir Obst dörren, trocknen wir es, um es haltbar zu machen. Die Flüssigkeit muss heraus. Man schaufelte eine flache Sandgrube und bedeckte den Toten mit Steinen, damit der Leichnam vor Aasfressern, wie Schakalen und streunenden Hunden, geschützt war. Vielleicht erhoben die alten Ägypter den Schakal deshalb zum Totengott „Anubis“, damit er sie fortan bewache, anstatt sie zu fressen. Der Reise in die andere Welt stand nun nichts mehr im Wege. Die natürliche Mumifizierung des Körpers setzt ein.

Bei Pharaonen und hohen Beamten perfektionierte man die Methode der Mumifizierung. Je größer die Bedeutung des Verstorbenen war, desto länger dauerte die Einbalsamierung. Sie konnte bis zu 70 Tage in Anspruch nehmen. Anwesend waren immer Priester, denen eine große Bedeutung für das Gelingen zukam. Sie begleiteten jede Phase mit mythischen Riten und Ritualtexten. Am Ende hieß es: „Du wirst wieder leben, du wirst ewig leben.“

Die Einbalsamierung erfolgte durch besonders ausgebildete Männer. Die Techniken verlangten große Geschicklichkeit und Erfahrung. Zuerst wurde die Leiche gewaschen, dann das Gehirn mit einem Haken entfernt und die inneren Organe entnommen, weil die Flüssigkeiten in Leber, Darm, Magen und Lunge einer schnellen Zersetzung verursachten. Man legte diese Organe in vier Krüge, Kanopen genannt, deren Deckel die Köpfe der vier Söhne des Horus versinnbildlichten. Der Arbeitstisch war geneigt und besaß eine Rinne, damit die Körpersäfte abfließen konnten. Anschließend wurde der Körper in Natron (eine Salzlösung) gelegt, das dem Körper die letzte Flüssigkeit entzog. Natron ist eines der wenigen altägyptischen Wörter, die noch in unserer Sprache fortleben. Anschließend wurde die getrocknete Leiche mit Öl eingerieben, damit das Fleisch weich blieb und nicht brach und zerfiel.

Jetzt umwickelte man den Toten mit Leinenbinden, die mitunter eine Länge von mehreren hundert Metern hatten. In der Anfangszeit übergoss man das bindenumwickelte Gesicht mit verdünntem Gips und formte die Züge des Gesichtes nach. Die Porträtähnlichkeit sollte dem umherschweifenden Ba bei der Rückkehr das Erkennen des ihm zugehörigen Körpers ermöglichen. Aus den Gipsnachbildungen entwickelten sich die Mumienmasken aus Stoff mit Bemalung und schließlich die Totenmasken aus reinem Gold, deren herrlichste die des Tutanchamun ist.

Die umhüllte Leiche wurde nochmals mit breiten Bändern zur festeren Haltbarkeit umwunden. Das Leinen tränkte man mit feinem, duftendem Öl. Zwischen die Schichten schob man Amulette aus Halbedelsteinen und Gold. Sie bildeten für die Grabräuber einen Anreiz, sich nicht mit dem Diebstahl der Grabbeigaben zu begnügen, sondern auch die Mumien aufzubrechen und nach Schmuck zu durchsuchen.

Durch die Mumifizierung blieben nicht nur die Knochen erhalten, sondern auch die Muskeln, das Fleisch und die Haut. Die Mumie von Ramses II ist ein Meisterwerk der Mumifizierung. Gesicht, Haut und Haare sind auch noch nach über 3000 Jahren außerordentlich gut erhalten. Natürlich ist sein Körper heute uralt, aber man kann sich diesen Mann richtig vorstellen mit seinen strengen Gesichtszügen und seiner Adlernase.

Die Ägypter wussten, wie zerbrechlich die konservierten Leichname waren. Daher bauten sie kostbare Särge, um die heiligen Mumien zu schützen. Manche waren aus purem Gold.  

 

Fragen zum Text

  1. Warum begruben die Ägypter ihre Verstorbenen auf der Westseite des Nils?
  2. Warum mumifiziert schon allein der Wüstensand die Verstorbenen?
  3. Wie lange dauerte in der Regel die Mumifizierung eines Pharaos?
  4. Welche Organe wurden entfernt und wo wurden sie aufbewahrt?
  5. Was geschah mit „Ba“, nachdem der Mensch gestorben war?
  6. Warum entwickelten die Grabräuber auch die Leinentücher der Mumien?