Ich bin der Rhein

Ein Beitrag von Marcus Kraneburg (Freie Waldorfschule am Kräherwald / Stuttgart)

Ein Aufsatz mit diesem Thema begleitete uns über knapp zwei Wochen in der Geographieepoche der 5. Klasse. Wichtig war mir, dass die Kinder den Rhein aus der ICH-Perspektive des Wassers beschrieben: Was war zu sehen? Wie verändert sich die Landschaft, wie wandelt sich der Charakter des Wasserlaufes? Wie mag sich das Wasser fühlen, wenn es jung und spritzig aus den Quellen der Schweizer Alpen sprudelt, sich über Stock und Stein in die Tiefe stürzt ... der Bodensee ... der Rheinfall ... sich dann beruhigt, immer breiter wird und nach dem romantischen Mittelrhein, wo auch die Loreley zuhause war, sich schließlich behäbig - gleichsam alt geworden - in die Nordsee ergießt. So ein Fluss hat ein Leben.

Jedes Kind hatte im Vorfeld die Aufgabe, sich genauer über eine Stadt am Rhein zu informieren und interessante Stichpunkte zu ihrer Geschichte mitzubringen.

Nachdem der Rhein von mir im Unterricht Tag für Tag beschrieben worden war, bekamen die Kinder als Orientierungshilfe von mir jeweils Stichpunkte, die sie auf Ihrer Reise mit dem Wasser verwerten konnten.

Es entstanden tolle Arbeiten!

 

Hier der Aufsatz von Leonie:

Ich bin der Rhein

Ihr kennt mich alle. Ich bin der Rhein. Doch wisst Ihr eigentlich über mich Bescheid? Wisst Ihr zum Beispiel, dass ich alt und zugleich jung bin? Denn all die frischen Wassertropfen, die aus der Quelle kommen, haben meinen Weg noch nie erlebt. Wir werden 52 Tage brauchen, um von der Quelle bis zur Mündung zu fließen. Ich ändere meinen Namen sehr oft. Zuerst heiße ich Vorderrhein und Hinterrhein, dann Alpenrhein und Hochrhein. Im weiteren Verlauf ändere ich meinen Namen noch dreimal und heiße dann Oberrhein, Mittelrhein und ganz am Ende Niederrhein.

 

Ich bin ein erstaunlicher Fluss

Ich zähle zu den größten Flüssen Europas und fließe aus seinem Herzen zur Nordsee. Sechs Staaten streife oder durchfließe ich: die Schweiz, Österreich, Liechtenstein, Frankreich, Deutschland und Holland. Mein Flusslauf verbindet die Alpen mit der Nordsee und ich werde immer reicher und größer durch die Flüsse, die mich speisen. Die Menschen brauchen mich als Trinkwasser oder fahren mit ihren Schiffen viele nützliche Dinge hin und her. Auf meinem Weg sehe ich viele wunderschöne Landschaften und grüne Wiesen. Wisst Ihr eigentlich wie viele junge Geschwister ich habe? Sie heißen Mosel, Neckar und Main. Ich habe zwar noch mehr, aber darüber werdet Ihr später erfahren. Ich kann sehr stolz auf mich sein, denn ich bin schließlich 1230 km lang!

 

Meine Geburt

Ich bin ein ganz besonderer Wassertropfen, denn meine Wiege liegt in den Schweizer Alpen. Kaum bin ich aus der Quelle herausgesprudelt, fließe ich in den Tumasee, der 2345 m über dem Meeresspiegel unterhalb des Sankt Gotthard liegt. Hier oben wachsen keine Bäume mehr und nur im Sommer hat es ein wenig Gras. Aber es macht Spaß so über die blanken Felsen zu springen. Die Menschen nennen mich hier am Anfang meiner Reise Vorderrhein.

Oh Hilfe, da ist ein Steinbock, der direkt auf mich zukommt. Er scheint Durst zu haben! Da habe ich aber Glück gehabt, er hat nicht mich, sondern andere Wassertropfen getrunken.

Hier im Gebirge ist es oft stürmisch. Aber das lieben wir. Es fühlt sich einfach toll an. Als Vorderrhein fließe ich über viele Felsen, daher sind wir Wassertropfen quirlig, aufbrausend und überschäumend. Wir haben viel Spaß, sind fröhlich und freuen uns auf die Reise, die vor uns liegt. Manchmal stürze ich mich in die Tiefe wie im Rausch und tauche tief in das klare Wasser ein. Kurz vor der schweizer Stadt Chur verbinden wir uns mit dem Hinterrhein.

 

Chur

Chur ist die älteste Stadt der Schweiz. Ihr Name kommt aus dem Keltischen und er bedeutet „Sippe" oder „Stamm". Sie liegt am breiten Alpenrhein und hatte im 13. Jahrhundert 1000 Einwohner und eine große Stadtmauer. Heute leben hier 33.000 Einwohner. Chur liegt etwa 593 m über dem Meeresspiegel.

Will man über die Alpen nach Italien, geht man am besten die Nord-Süd Route Europas an Chur vorbei. Hier in Chur gibt es viele alte Bürgerhäuser aus dem 16. - 18. Jahrhundert. Außerdem wurde hier auch das erste Bistum nördlich der Alpen im 4. Jahrhundert gegründet.

Nachdem ich diese Stadt durchflossen habe, schwimme ich durch ein Tal am Fürstentum Liechtenstein vorbei. Zwei Tage später sind wir schon am Bodensee. An der Stelle, an der ich in das Becken des Bodensees fließe, lagere ich viel Kies und Sand ab, den ich von unterwegs mitgebracht habe. Damit ich hier immer schön weiter fließen kann, werden der Sand und der Kies aus dem Flussbecken gebaggert. Im Bodensee verliere ich die anderen Wassertropfen und ich sehe zum ersten Mal ganz unbekannte Tropfen. An den Bodensee grenzen drei Länder: die Schweiz, Österreich und Deutschland.

Ich brauche 12 Tage durch den Bodensee. Nun wechsle ich erneut meinen Namen. Ich heiße jetzt Hochrhein und fließe an schönen Wiesen und Flussauen vorbei. Von hier aus sind es noch etwa 1000 km bis zur Mündung.

Oh je, aber was kommt denn jetzt? Ich wundere mich schon die ganze Zeit über das Rauschen. Es ergreift mich ein Wasserfall, der mit voller Kraft in die Tiefe fällt! Hilfe, da traue ich mich nicht herunter! Ich lasse den anderen gerne den Vortritt, aber nun fangen alle an zu schubsen!

Puh, ich habe es geschafft. Ich bin tatsächlich den Rheinfall bei Schaffhausen hinuntergesprungen und ich habe mich nicht verletzt. Das lag wahrscheinlich daran, dass mit mir noch so viele andere Wassertropfen hinuntergesprungen sind. Innerhalb einer Sekunde könnten wir ein ganzes Schwimmbecken füllen. Bald erreichen wir Basel.

Es liegt im Dreiländereck. Ich fließe mitten hindurch und bilde die Ländergrenzen. Zuerst trenne ich Deutschland und die Schweiz und dann Deutschland von Frankreich. Hinter Basel nennt man uns den Oberrhein.

 

Basel

Die Stadt Basel liegt zu beiden Seiten des Rheins. Sie ist die drittgrößte Stadt der Schweiz und hier haben sich viele Pharmafirmen niedergelassen. In ihr wohnen heute 170.000 Einwohner. Erste Siedlungsspuren der Kelten konnte man für das fünfte Jahrhundert v. Chr. feststellen. Die Stadt wurde mehrere Male von der Pest heimgesucht, bei der ein großer Teil der Bevölkerung starb. 1356 erschütterte dann, zu allem Übel, auch noch ein starkes Erdbeben die Stadt. Basel war früher eine wichtige Station der Reisenden auf ihrem Weg nach Italien.

 

Nun bin ich erwachsen

Jetzt bin ich nicht mehr so jung wie zuvor. Ich bin nun erwachsen. Wir sind nun hinter Basel. Hier ist es ganz ruhig und wir springen gar nicht mehr durch die Luft. Es ist Mittag und die Sonne brutzelt direkt vom Himmel auf unsere Wasseroberfläche.

Seid wir Basel passiert haben, müssen wir aufpassen, dass uns keine Schiffe streifen, denn in Basel war ein großer Hafen, von dem aus Schiffe nach Norden unterwegs sind. Wir bilden jetzt einen Grenzfluss zwischen Deutschland und Frankreich und schaukeln langsam durch die oberrheinische Tiefebene, die wie ein gemachtes Bett für mich ist. Hier herrscht ein mildes Klima, was sich sehr günstig auf den Weinbau und die Landwirtschaft auswirkt.

Im Westen liegen die Vogesen. Hier entspringt meine Schwester, die Mosel, die weiter nördlich zu uns stoßen wird. Östlich von uns entspringt mein Bruder, der Neckar im Schwarzwald, der eine ganze Weile parallel zu uns fließen wird, bis er sich dann doch mit uns vereint. Aber dort ist wieder ein Tropfen, den ich im Bodensee kennen gelernt habe. Er meint, dass wir bald in Straßburg sein werden.

 

Straßburg

Straßburg wurde im 12. Jahrhundert von den Römern gegründet. Die Stadt Straßburg ist die größte Stadt im Elsass. So nennt man die Gegend um Straßburg herum. In Straßburg selbst steht das sehr berühmte Münster.

Straßburg finde ich toll. Das ist mir etwas peinlich. Aber das liegt daran, dass Goethe hier studiert hat und ich seine Gedichte so schön finde. Außerdem wurde hier die erste Zeitung gedruckt. Schade, jetzt sind wir schon durch die Stadt geflossen. Es war sehr hübsch.

Langsam erreichen wir Mannheim. Dort fließt mein Bruder, der Neckar, in mich hinein. Er hat seine Quelle auf der Baar in Villingen Schwennigen. Er entwässert den zentralen Teil Baden-Württembergs und so bringt er ganz schön viel Wasser mit sich.

Mittlerweile bin ich schon sehr erschöpft, dennoch ein Stück weiter nördlich bei Mainz fließt nun auch noch der Main dazu. Das gibt ein gewaltiges Gedränge. Ruck zuck haben wir auch schon wieder eine Namensänderung erfahren. Wir heißen jetzt Mittelrhein und fließen jetzt in einer sehr kurvenreichen Strecke zwischen Bingen und Koblenz. Hier bekomme ich richtig Platzangst, so eng ist es mitunter, denn noch zwei weitere Flüsse fließen in uns hinein. Von Osten her kommt die Lahn und von Südwesten die Mose.

Linksrheinisch sehe ich von meinem Flussbett aus den Hunsrück und die Eiffel und rechtsrheinisch liegt der Taunus und der viel besungene Westerwald. Man spricht hier auch vom romantischen Rheintal. Hier auf dieser schönen Strecke bei Koblenz sehen wir viele Burgen. Bei St. Goarshausen müssen wir um einen Felsen herum schwimmen. Oh, und was sehe ich, hier müsse schon viele Boote gesunken sein, so wie das Flussbett aussieht. Wahrscheinlich ist an der Sage von der Loreley doch etwas dran. Es heißt, eine Nixe habe Tag und Nacht auf dem Felsen gesessen und ihr wunderschönes goldenes Haar gekämmt. Dadurch habe sie die Seemänner so verwirrt, dass diese nichts mehr auf die Strömung geachtet hätten und am Felsen zerschellt wären.

Bis wir endlich die Mündung erreicht haben, müssen wir noch 500 km zurücklegen.

 

Nun bin ich alt geworden

Ich bin nun schon ganz schön alt geworden und fließe mit den vielen anderen Wassertropfen als alter, breiter Fluss behäbig dahin. Nun möchte mein Nachbar etwas von mir. Was haben Sie gesagt Herr Nachbar? Tut mir leid, ich höre nicht mehr so gut. Was, die Lahn kommt uns besuchen? Das ist sehr schön, denn dann können wir neue Freundschaften schließen!

In den letzten Tagen habe ich sehr viele Freunde gefunden. Mit ihnen habe ich mich darüber unterhalten, wie lange es noch dauern wird bis die Mosel auf uns trifft. Ah, da vorne wird das Wasser unruhig, da kann ich sie schon sehen. Die Wassertropfen vorne wussten schon, wie weit es noch bis zur Nordsee ist. Es sind noch 400 km.

 

Bonn

Nun fließen wir durch Bonn. Bonn war ursprünglich ein römisches Lager. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 war Bonn die Hauptstadt von Westdeutschland. Ich höre eine wunderschöne Musik und meine Nachbarn tanzen. Ach ja, Bonn ist die Geburtsstadt von Beethoven!

 

Köln

Weiter geht's durch Köln. Köln war die größte deutsche Stadt im Mittelalter. Dort steht ja noch der Rest der alten Stadtmauer! Die Stadtmauer hatte 12 Tore und 52 Mauertürme. Meine Nachbarn staunen. Als Niederrhein fließen wir am Kölner Dom vorbei. Der Bau dieser drittgrößten Kirche der Welt begann im Jahre 1248. Hier wimmelt es nur so von Menschen. Das ist auch kein Wunder bei fast einer Millionen Einwohnern.

Was? Nur noch sieben Tage bis zur Nordsee? Da bin ich aber gespannt. Ob es bald wohl stinkt und es überall Rauch und schlechte Luft gibt? Nein, das war früher: Wir kommen beim Ruhrgebiet vorbei, in dem Kohle abgebaut wird. Heute merkt man davon nichts mehr. Ja, oh je, da fließt ja auch schon die Ruhr in uns hinein. Hoffentlich ist sie ganz sauber! Und, schon wieder ein Fluss, die Lippe.

Jetzt fließen wir über die Grenze und kommen ohne Pass in die Niederlande. Das ist wunderbar! Aber hier werden wir getrennt. Ein Teil fließt in die Waal und ein anderer in den Niederrhein. Ich will in den Niederrhein fließen. Hilfe! Wo muss ich nur hin?

Ich habe es richtig gemacht. Nun geht es ganz langsam vorwärts. Das muss für die Schiffe auch ganz schön langweilig sein und für die Menschen, die auf ihre Waren warten, ist es sicher sehr zeitraubend. Schiffe sind zwar billiger als wenn die Güter per Bahn verschickt werden, aber dafür wesentlich langsamer.

 

Rotterdam

Na endlich haben wir Rotterdam erreicht. Die ersten Siedler Rotterdams waren Heringsfischer. Im Jahre 1230 wurde die Stadt Rotterdam gegründet, nachdem an dem Flusse Rotte ein Damm gebaut worden war. Rotterdam liegt zum größten Teil unter dem Meeresspiegel, so dass sie von Deichen geschützt werden muss.

Wow, ist der Hafen dort groß! Ich glaube, es ist der größte Hafen durch den ich je geschwommen bin. Ein Nachbar neben mir behauptet, es sei der größte Seehafen Europas.

 

Nordsee

Juhu, wir haben es geschafft, jetzt sind wir frei und haben unendlich viel Platz. Aber, pfui, wie schmeckt denn hier das Wasser! Das ist ja ganz salzig! Oh je, jetzt habe ich ganz viel davon verschluckt, weil ich mich so aufgeregt habe. Ich befürchte, dass ich nun auch sehr salzig schmecken werde. Aber das scheint ja allen hier so zu gehen. Dann ist es auch nicht so schlimm!