Der Schmeichler

Im fernen Osten lebte vor vielen Jahren ein reicher, weiser Fürst. Eines Tages zeigte man ihm eine Lobschrift, die seine Güte und Tapferkeit, seine Klugheit und Gerechtigkeit in den höchsten Tönen pries. Der Herrscher ließ den Verfasser dieser Schrift zu sich rufen. Der Schreiber, ein gewitzter Buchhalter, erhoffte sich mit seiner Schrift einen Geldvorteil, war schnell zur Stelle und trat mit gespielter Bescheidenheit vor den Fürsten. Er warf sich ihm zu Füßen und schaute demütig auf die vergoldeten Schuhspitzen des mächtigen Mannes.

„Du hast also diese Lobschrift über mich aufgesetzt?“ „Erhabene Majestät“, sprach der Buchhalter, „es war meine Pflicht, Eure guten Eigenschaften niederzuschreiben. Nicht ich habe die Worte gewählt, sondern ein guter Geist half mir, eure Ruhmestaten in einfache Worte zu kleiden.“ Der Fürst schaute den Mann lange an, bevor er antwortete: „Du darfst dir etwas wünschen. Wenn es in meiner Macht steht, werde ich dir deinen Wunsch erfüllen.“ Einige Minuten lang überlegte der gerissene Schreiberling, was er sich wünschen könnte. Doch ihm fiel kein entsprechender Wunsch ein. Dabei dachte er sich, dass er mehr erhalten werde, wenn seine Bitte möglichst bescheiden sei. Deshalb sagte er: „Majestät, ich habe lange nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich keinen Lohn brauche, außer Eure Hand küssen zu dürfen.“

„Du bist zu bescheiden und verdienst einen größeren Lohn“, sprach der Fürst, „aber zuerst will ich dein Denken prüfen. Es gibt unter meinem Volk viele Neider, die mit deiner Lobschrift nicht einverstanden sind. Hier in diesem Raum, ist einer von ihnen, der glaubt, ich sei dumm und eitel!“ Erschreckt hoben alle anwesenden Höflinge die Köpfe. „Nun, was meinst du, Schreiber: Wie soll ich diesen Mann bestrafen?“ Empört schrie der Buchhalter: „Dieser Mann, der glaubt, eure Majestät sei dumm und eingebildet, sollte mit Stockschlägen aus dem Schloss geprügelt werden!“ „Nun, du hast dein eigenes Urteil gesprochen, Schreiber, da du es warst, der glaubte, ich falle auf deine plumpe Schmeichelei herein.“ Mit diesen Worten ließ der weise Fürst den Schmeichler mit Stockschlägen aus dem Schloss prügeln.