Worte zum Leuchten bringen

Ein Beitrag von Christoph Cleve (Deutschlehrer an der Rudolf–Steiner–Schule Dortmund)

Fundstücke aus der Poetikepoche in Klasse 10b

«In Saus und Braus verjubeln wir die Worte ... Sagt einer ‹Baum›, ‹Pferd› oder ‹Himmel› - da leuchtet nichts mehr auf», so schreibt der Dichter und Kulturkritiker Carlo Mierendorff, und zwar vor knapp einhundert (!) Jahren, zu Beginn der «Goldenen Zwanzigerjahre», als das beschleunigte Lebenstempo in den rasch anwachsenden Großstädten die Menschen geradezu berauschte und vielleicht auch ins Taumeln brachte. Bis heute hat der Umgang mit dem schriftlichem Wort rasant weiter Fahrt aufgenommen: Worte sprudeln uns entgegen, sobald wir «ins Netz gehen», spülen via Mail, SMS, WhatsApp, Twitter, Facebook etc. Kommunikationsangebote herein, auf die wir flott mal eben reagieren. Eine Wortschwemme ergießt sich in medial vermittelten Diskussionsrunden, Talkshows, Reality-Soaps, Comedy-Shows, kurz getakteten News. Das alles kann informativ, kann unterhaltsam, kann verbindend sein. Worte sind eben prima Transportmittel.

Da wirkt die Anregung Gedichte zu verfassen vielleicht wie die Aufforderung, einen Staudamm zu bauen, damit die Flut der Worte auch mal sich beruhigen, sich sammeln, sich vertiefen darf. Poetisches Schreiben bedeutet innezuhalten und behutsam im Wortschatz der eigenen Sprache als Schatzgräber auf die Suche zu gehen. Selten fließt ein Gedicht einfach so aus der Feder; Gedichte wollen eher - wie es früher hieß - «geschmiedet» werden, mit Bedacht und Geschick geformt. Genau dazu möchte die Poetikepoche in der 10. Klasse animieren.

Es wird Zeit und Raum gegeben zum Lauschen auf den Klang der Worte, zur Achtsamkeit für die Leuchtkraft der Sprache. Mancher schlummernde Gedanke, manches verborgene Gefühl taucht auf diese Weise auf, wird erfahrbar und mitteilbar, anstatt in der Wortschwemme des Alltagsgetriebes unterzugehen. Worte sind eben nicht nur Transportmittel: Sie tragen die Schönheit, die Freude und genauso auch die Hässlichkeit, die Tragik der Welt in sich. Um mit beidem bewusst gestaltend und durchaus auch spielerisch umzugehen, tut es gut, Formen und Stilmittel kennenzulernen und sie übend anzuwenden. An den folgenden Fundstücken aus dem Unterricht kann zugleich Freude am Klang der Sprache und an der abgelauschten Tiefenschärfe des einzelnen Wortes abgelesen werden. Der eingangs zitierte Carlo Mierendorff jedenfalls würde sich freuen, denn: «Statt Schall und Speichel aus dem Maul brauchen wir die gezirkelte, elastische, zu festem Schnitt geschärfte Klinge der Sprache.» - Danke, liebe Schüler der 10b, fürs Klingenschärfen!

Christoph Cleve (Deutschlehrer an der RSS Dortmund)

 

Vergnügungen

(nach einer Vorlage von Bertolt Brecht)

Verstehen, hinterfragen, geistreich unterhalten
 Neue Orte kennenlernen
  Andere sich freuen sehen
   Entwicklung, die Belohnung nach Anstrengung
    Die Melancholie
     Das Meer
      Der Humor
       Im Bett liegen, sauber sein
        Sonnenaufgang
         Kettenkarussell
          Geschichte
           Kerzenschein
            Schöne Worte, fremde Sprache
             Theater
              Träumen
               Gemocht werden.

                        Mara E.

 

Missvergnügen

Der Zug, der zu spät kommt
 Die lange Schlange im Supermarkt
  Unnötige Unfreundlichkeit
   Sich im Bett hin und her drehen
    Warten
     Dinge nicht verstehen
      Keine Antwort bekommen
       Aus einem Traum gerissen werden
        Hitze
         Zu viele Menschen
          Aufdringlichkeit
           Unaufmerksamkeit anderer
            Eigene Fehler
             Sellerie
              Furcht
               Streit.

                       Johannes Z.

 

Im Rausch

Da sitzt er
wie ein Nirgendwer.
Seinen Kummer
spült er runter.

Probleme
kennt er keine mehr.
Denn sein Kopf
ist beinah völlig leer.

Er setzt an zum nächsten Schluck,
hadert hin und her,
gibt sich einen Ruck
Und macht die Flasche leer.

Die Tränen fließen
Neben seinen Handrücken.
Er lässt den Alkohol siegen
Und alles andere missglücken.

Romy G.

 

Liebe ist

Eine Hand, die eine andre hält,
ein Band, das niemals auseinanderfällt.
Ein Lachen, das von Herzen geht,
ein Drachen der im Winde weht.

Eine Sonne, die im Meer versinkt,
eine Wonne, die im Herzen klingt.
Eine Tat, die Sicherheit verstrahlt,
ein Rat, der die Zukunft schöner malt.

Ein Gefühl, das nur für einen gilt,
ein Gewühl im Herzen, das dein Verlangen stillt.
Eine Umarmung, die voller Vertrauen ist,
eine Erfahrung, die man nie vergisst.

Solvei W. / Romy G./ Lorena B./ Angelia L.

 

Stress ist ...

ein Tag, der voller Termine ist,
ein Blag, das mich ärgert mit großer List,
eine Rede, die frei gehalten wird,
eine Fehde, die meine Sinne verwirrt,

ein Wecker, der mich früh morgens weckt,
ein Stecker, der im Mund des Kindes steckt,
eine Erwartung, der ich nicht genügen kann,
eine Ermahnung, die mit einem Fehler begann,

ein Uhrzeiger, der stetig vorwärts geht,
ein Geiger, der die Noten nicht versteht,
ein Lehrer, der unangekündigt prüft mit 'nem Test,
ein Verehrer, der einfach nicht locker lässt.

Solvei W.

 

Intolerante Gesellschaft

Ich sitze am Tisch mit meinem Liebsten.
Sonnenuntergang, es riecht nach Pasta und Wein.
Die Kellner schenken ein den Gästen,
Nur ein einziger Mann steht allein.

Grau ist sein Bart, noch mehr seine Haare.
Sein Blick ist voller Traurigkeit.
Es drehen sich um zu ihm alle Paare
Und jeder behandelt ihn mit Abfälligkeit.

Da kommt er langsam zu uns rüber.
Er will uns verkaufen ein paar rote Rosen,
Doch da schimpft ihn an mein Gegenüber:
«Geh weg! Von mir kriegst du keine Almosen!»

In seinen Augen liegt Verzweiflung.
Einige Gäste fangen an zu lachen.
Was soll er nur tun ohne Bezahlung?
Erscheint sich aus dem Staub zu machen.

Der Mann dreht sich um und geht.
Eine kranke Frau und hungrige Kinder auf ihn warten.
Er ist weg, wie vom Winde verweht.
Und Gäste verstecken sich unschuldig hinter Speisekarten.

Clara F.

 

Glücksmomente

Singe im Sommer ein sanftes Lied.
Bewundere bunte Blumen auf einer Bergwiese.
Schaue schönen Schwänen im Schatten der Abendsonne zu.
Tolle tanzend durch den duftenden Tannenwald.
Wärme dich im Winter mit einem Wohlfühltee.
Spiele mit Spaß ein Spiel.
Schenke dem schüchternen Mädchen ein Stück Schokolade.
Kraule kleine kunterbunte Kuscheltiere.
Fahre fröhlich mit dem Fahrrad im Frühling zu Freunden.

Felina E.

 

Wildes Wetter im Winter

Ich gehe aus dem Haus!
Wolkenberge, die sich zusammenbrauen,
Wind, der pfeift - mich fasst ein Grauen.

Regentropfen, sie fallen
vom Himmel vereinzelt ... verdichtet,
ein Vorhang, der das Licht vernichtet.

Schlagartige Kälte!
Regen, zu Eis erstarrt.
Trommelnde Schläge mit Nässe gepaart.

Grelle Blitze, grollender Donner!
Ein Gewitter voll Zorn und Gewalt.
Doch ich weiß: Der Himmel lichtet sich bald.

In der Ferne ein Strahlen!
Die Sonne bricht hervor!
Du hast verloren, mächtiger Thor!

David M.

 

Glücksmomente

Kaufe kleine Karamellbonbons und kaue kraftvoll.
Laufe lachend durch Finnlands Felder.
Singe sanfte Sommerlieder.
Grüße garstige Gäste mit großartigen Gesten.
Träume tief und trage tiefrote T-Shirts.
Springe spielerisch durch Wald und Wiesen.
Finde frühlingshafte Veilchen und schmücke die Scheune schön.
Blättere begeistert Blatt für Blatt in einem Buch.
Mache manchmal Musik mit mehreren Musikern.

Solvei W.

 

Der Parkhaus-Mann

Ich gehe durch das Parkhaus
laufe die Treppen hinauf
kurz vor dem Ausgang fällt
ein Mann mir auf.

Er sitzt auf dem Boden
mit dem Rücken zur Wand
sein Blick geht ins Leere
hat 'nen Becher in der Hand.
Er bittet um Spenden - ein Euro oder zwei
die Leute im Parkhaus schauen
verstohlen an ihm
vorbei.

Seine Kleidung ist schmutzig
die Haut krustig und wund
ein Schritt näher
auf seinem Schoß ein kleiner Hund.
Ich kann kaum noch atmen
riecht nach Urin und verbrannt
durch meinen Kopf geht die Frage:
Warum sitzt er hier am gesellschaftlichen
Außenrand?

Die Leute, sie hetzen die Treppen hinab
und hinauf. Seine Augen, sie schreien:
«Warum fall' ich niemandem auf?»
Mein schlechtes Gewissen, es reißt mich entzwei
werf' in den Becher die Euro - zwei oder drei.

Leah M.

 

BODO - Das Straßenmagazin

Mit trägem Blick
Und krummer Gestalt
Steht ein Mann am Straßenrand
Er zittert leicht
Denn ihm ist kalt
Er hält die BODO in der Hand

Nicht jeden interessiert's
Doch für ihn ist es wichtig
Die Leute gehen vorbei
Und erklären ihn für nichtig

Nur eine Handvoll Menschen jeden Tag
Kaufen die Zeitschrift und machen ihn stark
Drum geh' auch du nächstes Mal nicht vorbei
Schenk' ihm ein Lächeln und stehe ihm bei

David M.

 

Die tröstende Schönheit der Welt

Von innen zerrissen,
renn' ich verbissen
durch die dunkle Nacht
ohne jegliche Acht.
Immer weiter und weiter,
ich werde nicht heiter.

Als ich mich niedersetze auf Steinen,
fange ich an zu weinen.
Nach einer Weile blicke ich auf,
schaue hoch hinauf.
Da sehe ich am Himmelszelt,
dass Sterne erhellen die Welt.

Vor mir liegt ein See,
drumherum ganz viel Klee.
Der Mond scheint hell,
Sternschnuppen fallen schnell.
Im See spiegeln sich Sterne
Von oben aus der Ferne.

Ich falle in einen Traum,
schlafe unter einem Baum.
Beim Aufwachen
entfährt mir ein Lachen:
bin glücklich, dass ich unter'm Himmelszelt
erleben darf die Schönheit der Welt.

Felina E.

 

Aus der Schulenzeitschrift «Mergelteich» Nr. 215, Januar 2015, von Georgschule Dortmund und Rudolf-Steiner-Schule Dortmund.