Mit dem Fahrrad an der Elbe entlang von Hamburg nach Dresden

Ein Beitrag von Bettina Zaghi (Klassenlehrerin an der Tübinger Freien Waldorfschule)

Entdecker und Abenteurer

7. Klasse: Im Geschichtsunterricht beschäftigen wir uns mit dem Ende des Mittelalters und der so genannten „Neuzeit". Eine Zeit, in der mutige und abenteuerlustige Menschen sich aufmachten, um neue Ufer zu erkunden, um neue Länder zu entdecken, um neue Dinge zu erfinden. Menschen, die sich nicht scheuten, die vertrauten Denkgewohnheiten hinter sich zu lassen und die es wagten, etwas ganz Neues, Anderes, nie zuvor Dagewesenes zu denken und auch in die Tat umzusetzen.

So wurde „ganz zufällig" Amerika entdeckt, bewiesen, dass die Erde eine kugelförmige Gestalt hat, die Druckkunst wurde entwickelt und man begann, mithilfe von Fernrohren und Mikroskopen das Größte und das Kleinste zu erforschen. Auch die bis dahin unangefochtene, das gesamte menschliche Leben bestimmende Lehre und die Macht des Papstes und der römisch-katholischen Kirche wurden plötzlich laut und öffentlich in Frage gestellt.

In einer ähnlichen Seelenstimmung erlebte ich die siebte Klasse nach den Sommerferien 2008: abenteuerlustig, neugierig, wissbegierig, Altes hinter sich lassen wollend und die gewohnten Abläufe und Autoritäten hinterfragend. Große körperliche Kräfte standen den Jugendlichen, besonders den Jungen, zur Verfügung und drei Stunden Sport in der Woche reichten vielen bei Weitem nicht.

Als dann von den Schülern die Frage kam: „Machen wir auch in diesem Jahr eine Klassenfahrt? Wohin fahren wir denn?", entstand zum ersten Mal der Gedanke, dass eine gemeinsam zurückgelegter Weg vielleicht den Bedürfnissen der Jugendlichen in schöner Weise Rechnung tragen könnte. So wurde die Idee einer längeren Radtour mit einem im Wesentlichen unbekannten Ziel geboren!

Vor einiger Zeit sprach ich mit Menschen, die an der Elbe entlang geradelt waren und von der wunderbaren Landschaft, den großartigen und sehr eindrücklichen Naturerlebnissen, aber auch von den besonderen Städten entlang dieses Flusses berichteten. Auch, dass der Weg gut ausgebaut und auch für nicht so Geübte gut zu befahren ist, und die Tatsache, dass es an der Elbe vieles zu sehen gibt, was in direktem Zusammenhang mit dem Unterricht der 7. Klasse steht, überzeugten mich (z.B. der riesige Hamburger Überseehafen, die kleinen, gut erhaltenen Hansestädte, die Backsteingotik, das Magdeburger Wasserkreuz, die unverbaute Natur mit ungezählten Störchen und Bibern, die Lutherstadt Wittenberg, die Renaissance im „Elbflorenz" Dresden und und und ...).

Die Klasse reagierte sehr unterschiedlich auf diesen Vorschlag: Große Begeisterung und Zustimmung bei den einen, denen Entdeckungslust und Bewegungsfreude schon ins Gesicht geschrieben stand und die am liebsten sofort losgefahren wären, aber auch Zurückhaltung, Fragen ja sogar Sorgen bei anderen, ob so etwas überhaupt aus- und durchzuhalten sei. Heiß und heftig wurde diskutiert.

Großer Zuspruch kam vom Klassenkollegium, das für die Schüler dieser Klasse so eine Herausforderung, so ein im wahrsten Sinne des Wortes „Erfahren" und Überwinden von eigenen körperlichen und auch seelischen Grenzen, für sehr wünschenswert und richtig, ja, fast für notwendig hielt.

Als Nächstes stellte ich das Projekt im Elternabend vor. Auch hier gab es natürlich Sorgen und Fragen nach der Kraft und Ausdauer mancher Jugendlicher, die Frage, ob Hamburg nicht viel zu weit von daheim weg wäre, ob so ein Projekt nicht sehr gefährlich sei und ob schon überlegt worden sei, was im Krankheits- oder Heimwehfall zu tun wäre. Dennoch stieß das Vorhaben auf Zustimmung, ja, sogar auf Begeisterung beim größten Teil der Elternschaft.

So machte ich mich dann, mit Zuspruch und Bedenken bepackt, daran, die ganze Angelegenheit konkreter werden zu lassen. Es wurde geplant, wie weit wir an jedem Tag fahren wollten, was wir uns anschauen wollten, wo wir übernachten würden, wie wir uns verpflegen könnten und wer uns begleiten würde. Die Frage, wer mitfahren würde, war wunderbarerweise nahezu sofort geklärt. Zwei Väter, Herr Schäfer und Herr Thomaß, waren von der Idee einer Entdecker- und Abenteurer-Radtour so begeistert, dass sie spontan ihre Begleitung auf dem Fahrrad zusagten. Wenig später erklärte uns genauso spontan Frau Enz, eine Mutter aus der Klasse, dass sie unser Begleitfahrzeug fahren würde und, da sie darin schon viel Erfahrung hätte, auch gern für und mit uns kochen würde. Ohne ihren Einsatz wäre das Projekt gar nicht möglich geworden!

Etwas schwieriger gestaltete sich die Frage, wo wir denn übernachten könnten. Jugendherbergen schieden aus Kostengründen aus und Zeltplätze konnten wir uns nicht täglich vorstellen. Es gab insgesamt 4 Waldorfschulen an der Strecke, die uns sofort und herzlich ihre Räumlichkeiten anboten. Dafür bedanken wir uns ganz herzlich bei den Kollegien der Waldorfschule Hamburg Nienstedten, der Freien Schule Hitzacker, der Waldorfschule Magdeburg und der Waldorfschule Dresden.

Wir suchten weiter und erlebten nach einigen anfänglichen Absagen dann plötzlich eine überwältigende Welle der Hilfsbereitschaft und Begeisterung für unser Vorhaben. Rektoren von Grund- und Hauptschulen, Vorsitzende von Ruder- und Kanuclubs, ein Pfarrhaus und ein Reitclub boten uns Unterkunft, teilweise sogar Verpflegung für sehr wenig Geld oder ganz gratis an. Vielen Dank an die Weingartenschule in Lauenburg, das Kinderheim Julianenhof in Havelberg, die Elbtalschule in Gartow, den Ruderclub Tangermünde, den Kanuclub Aken, den Ruderclub Wittenberg, den Reitclub in Welsau und die Kirchengemeinde in Zadel.

Als dann auch noch Herr Beier uns versprach, alle Räder mit einem LKW nach Hamburg zu transportieren, blieben so gut wie keine Fragen mehr offen und die Spannung und Vorfreude, natürlich auch die bangen Fragen, steigerten sich von Tag zu Tag. Wir schrieben Bittbriefe an verschiedene Unternehmen, um unsere Reisekasse etwas aufzubessern und hatten tatsächlich das Glück, zwei Sponsoren zu finden. Herzlichen Dank an das BuchkaffeeVividus und den Fahrradladen am Haagtor!

Am 27. Juni morgens um halb sechs stiegen wir sehr erwartungsvoll in den Zug und begannen unsere „Entdecker- und Abenteuerradtour" nach Hamburg und von da entlang der Elbe bis nach Dresden.

 

Wie es war?

  • „Auf der Klassenfahrt hatten wir so viele Erlebnisse, dass man gar nicht alle aufzählen kann: die langen Zugfahrten, der Jungfernstieg, die Hafenrundfahrt in Hamburg, der herrliche Badesee in Gartow, das Zelten im Kinderheim, das Baden im Tangermünder Hafenbecken, das Grillen im Reitclub, das Gewitter vor Wittenberg, die erste deutsche Radfahrerkirche, der Besuch bei Leonies Oma am Badesee, Lenas spektakulärer Salto, das doppelte Echo an der Eibbrücke, ein durchgeriebener Reifen, jede Menge Nasenbluten, alle Scherzfragen, Witze, Rätsel und Idiotentests, die auf dem Rad erzählt wurden und und und DIE ANKUNFT IN DRESDEN!"
    Mirjam
     
  • „Ich fand die ganze Klassenfahrt sehr schön, auch wenn sie manchmal etwas anstrengend war. Besonders toll fand ich, dass dort in dieser Gegend alle Leute so hilfsbereit waren. Sie halfen uns wo sie konnten, mit Wegbeschreibungen oder Unterkunft..."
    Johanna
     
  • „Die Klassenfahrt war ein tolles Beispiel dafür, dass man mehr kann, als man denkt. Am Anfang dachte ich: „So viel schaffe ich nie!" Trotzdem haben es alle geschafft!"
    Alisa
     
  • Wir waren zwei Wochen auf Klassenfahrt: auf dem Elberadweg von Hamburg nach Dresden! Es war sehr schön, wir haben viel erlebt und jeder hat etwas dazugelernt Am schönsten fand ich Dresden, aber man kann sich fast nicht entscheiden, welcher Ort am schönsten war. Es war natürlich auch anstrengend mit dem Fahrrad 70km am Tag zu fahren, aber es ging gut. Ich fand es nicht so schön, jeden Morgen früh aufzustehen und zu packen...."
    Lilian
     
  • „Wir sind fast jeden Tag Fahrrad gefahren, manchmal lange und manchmal auch nur sehr kurze Strecken. Insgesamt waren es fast 750 km. An manchen Tagen hatten wir Gegenwind, dann war das Fahrradfahren sehr anstrengend und man war abends sehr müde. Wir mussten auch die Fähre nehmen, um ans andere Ufer der Elbe zu gelangen, wenn es keine Brücke gab."
    Björk
     
  • „Am Anfang war ich ein bisschen skeptisch wegen des großen Zeitraumes und weil ich noch nie etwas in der Art gemacht hatte. Doch dann war es eine schöne Tour, die viel zu unserer Klassengemeinschaft beigetragen hat.
    Lise
     
  • „Ich fand die Fahrradtour einfach nur voll cool! Ich find es toll, dass sich Eltern die Mühe gemacht haben, uns zu begleiten. Am besten fand ich, dass wir für wenig bis ohne Geld übernachten durften und toll fand ich natürlich auch das Baden in der Elbe und die Stadt Dresden!.....Richtig cool find ich, dass wir tatsächlich Spenden von Firmen bekommen haben."
    David
     
  • „Ich fand die Klassenfahrt toll und interessant, aber auch schwer und anstrengend. Am schönsten fand ich es an der Elbe und in Tangermünde. Die Geschichte der Grete Minde, von der alle dachten, dass sie die Stadt in Brand gesteckt hätte, hat mich sehr geschockt. Nach Tangermünde möchte ich um alles in der Welt noch einmal."
    Camille
     
  • „Die Klassenfahrt hat einen großen Teil der Klasse verändert. Die meisten haben sich offen geäußert und man hat sich viel besser kennengelernt."
    Robin
     
  • „Auf unserer Klassenfahrt ist unsere Klasse viel mehr zusammengewachsen und - abgesehen vom Radfahren - hat auch alles viel Spaß gemacht."
    Cara
     
  • „Es war einfach nur unglaublich schön. Es ist toll, dass wir auf so einem angenehmen Radweg in dieser großartigen Umgebung so viel Spaß haben konnten. Ich möchte mich ganz herzlich bei Frau Zaghi, Frau Enz, Herrn Schäfer, Herrn Thomaß, Herrn Beier, Nils' Großeltern und allen weiteren bedanken, ohne euch hätten wir das nie geschafft."
    Ameley
     
  • Am Abend des 12. Juli kamen wir alle müde aber wohlbehalten, glücklich, stolz und um viele Erfahrungen reicher wieder in Tübingen an.