Das JUNIOR-Projekt
Ein Beitrag aus der Rudolf-Steiner-Schule Gröbenzell
10. Klasse
Chancen und Risiken der Wirtschaft erfahren
Die Bauepoche in der 3. Klasse, das Achtklassspiel oder das Landwirtschaftspraktikum sind wesentliche Bestandteile der Waldorfschulpädagogik. Das JUNIOR-Projekt ist eine waldorffremde Initiative. Warum es an der Gröbenzeller Waldorfschule seit 19 Jahren fester Bestandteil der 10. Klasse ist und welche Chancen es den Schüler:innen bietet, hat Holger König recherchiert.
Schon mal was von dean & david oder Sono-Motors gehört? Beides sind Firmen, die von ehemaligen Waldorfschülern gegründet wurden. Junge Menschen versuchen, mit Ideenreichtum und Initiativkraft im harten Wirtschaftsleben Fuß zu fassen. Eine Voraussetzung für den Erfolg sind Kenntnisse von juristischen, finanziellen, organisatorischen und marketingspezifischen Regeln und Abläufen bei der Gründung einer eigenen Firma.
Diese Kenntnisse stehen weder bei den Staats- noch bei den Waldorfschulen auf dem Lehrplan. Diese Lücke zu füllen, hat sich eine Initiative aus der Wirtschaftswelt zum Ziel gesetzt. Das Institut für Wirtschaft (IW), in den 1950er Jahren von Ludwig Ehrhard gegründet, lädt seit vielen Jahren die Klassen der Sekundarstufe zum Wettbewerb „JUNIOR-Projekt“ ein. Das IW, ein privates Wirtschaftsforschungsinstitut, sieht sich dabei als Anwalt der Sozialen Marktwirtschaft, der sich für eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung einsetzt und das Verständnis wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Zusammenhänge verbessern möchte. Die JUNIOR-Programme bieten Schüler:innen europaweit die Möglichkeit, für ein Schuljahr ein eigenes Unternehmen zu gründen. Die Teilnehmer:innen erfahren so, welche Chancen und Risiken ein Dasein als Unternehmer:in birgt.
Seit 2004 nimmt unsere Schule am Programm JUNIOR-Projekt teil. Viele Jahre begleitete Oberstufenlehrerin Daniela Göttel das Projekt und stand den Schüler:innen mit Rat und Tat zur Seite. Zum aktuellen Schuljahr übergab sie den Staffelstab an Katja Droste-Zingone. Denn die Schülerfirma benötigt innerhalb der Schule eine oder einen Ansprechpartner:in, der/die den Kontakt zum IW herstellt. Auch in diesem Jahr hat sich unsere Schule mit einer 18-köpfigen Gruppe aus der jetzigen 10. Klasse angemeldet.
Die Regeln des JUNIOR Projekts beinhalten die realistische Simulation einer Firmengründung. „Learning by doing“ ist die Devise – von der Idee und der Organisationsform über die Beschaffung von Geldmitteln und Material bis zu Marketing, Produktion und Verkauf. Die Gründung der Schülerfirma selbst ist durch das Institut streng geregelt. Erster Schritt war die gemeinsame Entwicklung einer Geschäftsidee. Nach einer umfangreichen Ideensammlung aller Projektbeteiligten kristallisierten sich zwei Favoriten heraus – ein Parfum und Taschen aus LKW-Planen. Bei der finalen Abstimmung fiel die Wahl auf die Taschen, die aus Verschnitten oder Resten von LKW-Planen, die sonst verbrannt würden, hergestellt werden. Diese Idee reichten die Schüler:innen bei JUNIOR ein, das „Go“ wurde im November 2022 erteilt. Mittlerweile hatte sich die Gruppe vorschriftsmäßig in verschiedene Geschäftsbereiche organisiert: Geschäftsführung, Personal, Buchhaltung, Marketing, Produktion und Verkauf. Im nächsten Schritt musste die juristische Rechtsform geklärt werden, auch hier gibt es klare Vorgaben durch das JUNIOR-Programm. So soll die Schülerfirma als nicht eingetragener Verein organisiert werden, der beim Finanzamt angemeldet werden muss. Dieses entscheidet dann, ob die Schülerfirma eine Steuernummer erhält. Seit dem Schuljahr 2022/23 gilt die Umsatzsteuererklärungspflicht erstmals auch für Schülerfirmen.
An der letzten Vorgabe bzw. Empfehlung von JUNIOR, nämlich der Einrichtung eines Firmenkontos, wäre das Projekt beinahe gescheitert. Die angesprochenen Sparkassen und Banken wollten Personen unter 18 Jahren keine Einrichtung eines Geschäftskontos genehmigen. Ohne Bankkonto ließen sich aber der Verkauf der Taschen außerhalb der Schulgemeinschaft, z.B. über einen Online-Shop, und auch die Teilnahme an den JUNIOR-Messen nicht ermöglichen. „Das war eine sehr ernüchternde Phase, da wir unseren Geschäftsbetrieb nicht aufnehmen konnten“, beschreibt Valentin Lindner von der Geschäftsführung die Situation. Letztendlich einigte sich die Gruppe mit der Institutsorganisation auf die Einrichtung einer Barkasse.
Trotz der Schwierigkeiten bei der Kontoeröffnung wollten die Jungunternehmer:innen die Zeit nicht tatenlos verstreichen lassen, denn das Projekt ist an unserer Schule immer nur für ein Jahr ausgelegt. Die ersten Taschenformen wurden entworfen, Materialien getestet und zusätzliche Produktideen entwickelt. Das JUNIOR-Projektteam hat die ersten Prototypen auf dem Herbstmarkt der Schule vorgestellt und eine Kundenbefragung durchgeführt. Die Produktionsgruppe prüfte auch die Möglichkeiten, speziellen Kundenwünschen nachzukommen. Am Weihnachtsmarkt stellte das Team dann die verbesserten Produkte vor: eine kleine, einfarbige Tasche, eine größere, zweifarbige Tasche und dazu jeweils passend eine Innentasche sowie ein Schlüsselanhänger als Accessoires.
Anfang Dezember wurden Bestellungen entgegengenommen und die benötigten Materialien beschafft. Um die speziellen Kundenwünsche exakt zu erfüllen, erstellte die Produktionsgruppe eine Tabelle, in der jede Bestellung mit allen individuellen Merkmalen aufgenommen wurde. Grit De Cristofaro entwickelte ein System mit Farbcodierungen, durch das die einzelnen Fertigungsschritte bis zur Auslieferung der Tasche verfolgt werden können. „Eine große Schwierigkeit bei der Produktion war es, ein reißfestes Garn zu finden und mit den Schulnähmaschinen fehlerfreie Nähte herzustellen“, erklärt Lilith Oefelein von der Produktion.
Parallel zum Fortschreiten des Organisations- und Produktionsprozesses galt es, die strengen Vorgaben des JUNIOR-Programms im Auge zu behalten und zu erfüllen. So mussten monatliche Protokolle und zahlreiche Arbeitsberichte geschrieben, Arbeitszeiten in Tabellen erfasst und an JUNIOR weitergegeben werden – viel Arbeit für Franziska Wänger vom Personal- und Organisationteam. Und für die Teilnahme am Landeswettbewerb wurde ein Geschäftsbericht gefordert, diesen erstellen Clara Auwärter und Maja-Lea Bösmiller.
Auch die Suche nach einem attraktiven Namen für die Schülerfirma war nicht ganz einfach, denn viele Ideen mussten wieder verworfen werden, weil die Internetrecherche schon gleichnamige Unternehmen ergab. Schließlich einigte man sich auf „BagAge“. In der englischen und französischen Sprache ist der Begriff als „Gepäck“ klar definiert und sogar das Bayerische kennt noch aus der französischen Besatzungszeit im 19. Jahrhundert die „Bagage“. Das durch Großschreibung hervorgehobene „Age“ symbolisiert den Anspruch, kein Wegwerfprodukt, sondern etwas Beständiges zu schaffen. Die kreative Aufgabe, für das Wort einen interessanten Schrifttyp zu finden, wurde von Tizian Schadde genial gelöst. Er entwarf einen neuartigen Schrifttyp aus sechseckig aufgebauten Hohlformen. Auf die Frage, wie er auf die Idee gekommen sei, sagt er, er habe ein wenig rumprobiert und dann wären diese Buchstaben dabei entstanden. Frau Göttel habe in später darauf hingewiesen, dass ein sechseckiger Körper eine sehr stabile Hohlform sei. Nun sollte dieser Schriftzug auf jeder Tasche erscheinen. Die Ideen reichten vom Siebdruck bis zum Prägestempel. Letztlich produzierte Jakob Fauth mit Computer und 3D-Drucker Schilder, die auf jede Tasche genäht werden.
Und wie macht man andere auf sein Produkt aufmerksam, damit es gekauft wird? Mit modernen Werbetechniken sind heutige Jugendliche durch ihre Smartphonenutzung ausreichend vertraut, so dass das Pflichtprogramm für die Marketinggruppe schnell aufgestellt war. Sie reservierten eine Internetadresse, erstellten eine Website, luden Fotos auf Instagram und Videos auf YouTube und TikTok hoch. Unter der Regie von Xaver Braumandl drehte eine Gruppe an einem Samstag in der Schule ein Produktvideo und vertonte es. Mittlerweile wurden in vielen Schulnachmittags- und Wochenendeinsätzen über fünfzig Taschen hergestellt und verkauft. Und für die nächsten Schulmärkte wird bereits eine Vorproduktion organisiert.
Immer wieder gelang es den Schülerfirmen unserer Schule in den vergangenen Jahren, den bayerischen Landeswettbewerb für sich zu entscheiden. Die Schülerfirma „blueagain“ gewann 2019 sogar den Bundeswettbewerb. Auch in diesem Jahr hat sich „BagAge“ für den bayerischen Landeswettbewerb qualifiziert. Am 11. Mai 2023 konkurrieren unsere Schüler:innen mit neun weiteren bayerischen Teams um den Titel als beste bayerische Schülerfirma und um die Teilnahme am Bundeswettbewerb in Berlin.
Und während man als Eltern vor Beginn des JUNIOR-Projekts oft sorgenvoll auf die chillenden Söhne oder Töchter geblickt hat, fragt man sich jetzt: „Woher kommen plötzlich all diese Fähigkeiten?“ Martina Sam, Rudolf-Steiner-Biographin, äußerte sich in der Sendung „Sternstunde der Philosophie“ des SRF Kultur folgendermaßen: „Rudolf Steiner wollte den Eurythmieunterricht neben den Sportunterricht stellen. Sein Ziel war vor allem, die Willensinitiative der jungen Menschen zu stärken, also, wenn man sich etwas vornimmt, auch die Kraft zu haben, es umzusetzen.“ Im JUNIOR-Projekt scheinen diese Kräfte ihren Weg zu finden.