Von der Geduld
Man muss den Dingen
die eigene stille,
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt,
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann;
alles ist austragen –
und dann gebären,
jeden Eindruck und
jeden Keim eines Gefühls
ganz in sich, im dunkel
im unsagbaren, unbewussten,
dem eigenen Verstande unerreichbaren
sich vollenden lassen und
mit tiefer Demut und Geduld
die Stunde der Niederkunft
einer neuen Klarheit abwarten.
Das allein heißt künstlerisch leben,
im Verstehen wie im Schaffen.
Da gibt es kein Jahr,
und zehn Jahre sind nichts.
Künstler sein heißt: nicht rechnen und zählen,
Reifen wie ein Baum,
der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen
des Frühlings steht,
ohne Angst,
dass dahinter kein Sommer
kommen könnte.
Er kommt doch!
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind,
als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos still und weit …
Man muss Geduld haben
gegen das Ungelöste im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr
fremden Sprache geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antwort hinein.