Tagesablauf

Ein Text von Marin Carle

Im Folgenden werden die aus der Waldorfpädagogik bekannten Unterrichtsteile und –elemente speziell im Hinblick auf das Unterstufenmodell und das „Bewegliche Klassenzimmer“ in Schwäbisch Hall beschrieben:

 

a. Der Morgenkreis

Wenn der von mir geschlagene Gong ertönt, suchen alle Kinder ihre Plätze im Kreis auf und setzen sich. Wir stimmen ein gemeinsames Morgenlied an. Anschließend erzählen meine Assistenzlehrerin oder ich eine kurze sinnige Geschichte, eine Naturstimmung oder ein sonstiges interessantes Erlebnis. Danach dürfen sich die Kinder melden und selbst eine Begebenheit aus ihrem Erlebnisumfeld erzählen oder an die Erzählung anschließen. Ist der Mitteilungsdrang mancher Kinder einigermaßen gestillt, schreiben wir den Wochentag und das Datum an die Tafel, ebenso die fehlenden oder kranken Kinder und Lehrer.
Dann nehmen wir ausführlich die in der Mitte des Kreises liegenden „Geschenke“ der Kinder wahr, die sie von zuhause mitgebracht haben. Das können freiwillige Hausaufgaben sein, die am Vortag durch uns Lehrer angeregt wurden, das können gemalte Bilder, Selbstgebasteltes, gefundene Naturgegenstände, ein Lieblingsspielzeug, ein Haustier oder z.B. ein Glas Marmelade sein, das mit der Mutter eingekocht wurde und nun der Klasse geschenkt wird. Wichtig ist, dass alles wahrgenommen und gewürdigt wird, es ergeben sich dadurch immer wieder interessante Gespräche oder Anregungen und auch Kinder, die sonst nicht so im Vordergrund stehen, können hier ihre Fähigkeiten oder Interessen anhand ihrer Geschenke und Mitbringsel offenbaren.
Im Anschluss an diese Gesprächsrunde erheben wir uns im Kreis mit einem Jahreszeitenlied, an den sich die gemeinsame Begrüßung und der Morgenspruch anschließen.

 

b. der rhythmische Teil

Die Bänke mit dem in der Mitte sich befindlichen Teppich bieten vielfältige Möglichkeiten sich im Klassenzimmer zu bewegen. Der kleine und große Kreis innerhalb und außerhalb der Bänke ermöglichen von Anfang an einfache und kompliziertere Reigenformen. Benötigen wir einmal mehr Platz, werden die Bänke innerhalb von Sekunden nach innen oder außen verschoben. Unsere große Klasse von 38 Kindern, in einen inneren und äußeren Kreis geteilt, kann mühelos wild im Kreis herumgaloppieren, ohne dass es zu Gedrängel oder Zusammenstößen kommt. Die Hälfte der Kinder kann mit jeweils einem eigenen Seil im Klassenzimmer gleichzeitig Seilspringen üben. Die Bänke lassen sich als Hindernisse überspringen, beklettern oder man kann durch sie hindurchkriechen. Man kann sie umdrehen und anspruchsvoll balancieren üben,sie können aufeinander gestapelt werden, kreuz und quer als Irrgarten benutzt werden, u.v.m.. Sehr gerne fahren die Kinder auch Schiff, indem eine Bank umgedreht wird, ein Seil befestigt wird und dann probiert wird, wie viele Kinder ein „Schiff“ mit wie vielen Matrosen durch das Wasser (über den Teppich) ziehen können.

Während eine Hälfte der Kinder auf dem Teppich Purzelbäume schlägt, Brücken und Tunnels bildet,durch die andere hindurchkrabbeln müssen, zieht und schiebt sich die andere Hälfte auf dem Bauch oder dem Rücken liegend im Kreis herum auf den Bänken. Immer wieder motivierend für die Kinder ist das Wiederholen bekannter Sprüche oder Übungen auf den Bänken stehend oder schreitend. Besonders waghalsige Sprünge und Übungen auf den Bänken, manchmal sogar blind ausgeführt, erfordern alle Sinne der Kinder. Kleine Fang- oder Wettkampfspiele im Innern unseres Amphitheaters, sei es zu Fuß oder „hoch zu Ross“ genießen allgemeine Beliebtheit. Zwei im Klassenzimmer vorhandene Turnmatten können blitzschnell in die Mitte gelegt werden und ermöglichen alle Arten von „Mutproben“.

c. der Lernteil

Nachdem die Kinder am Ende des rhythmischen Teiles wieder stärker zur Ruhe und Innerlichkeit durch zentrierende Fingerspiele, Zeugnissprüche und Kopfrechnen gefunden haben, wird durch eine einführende Schilderung oder Frage an das Gelernte vom Vortag erinnert. Die Kinder können sich im Kreis sitzend gut sehen und hören, so dass in aller Regel auch leiser sprechende Kinder zu verstehen sind und wir als Lehrer die Gesprächsbeiträge der Kinder nur in Ausnahmefällen wiederholen müssen. An einer passenden Stelle führen wir den Unterrichtsstoff fort, indem wir eine einführende kleine Geschichte oder Begebenheit erzählen, die abschließend in eine die Vorstellungs- und Phantasiekräfte der Kinder anregende Frage oder Aufgabe einmündet. Nun können die Kinder ihre Vermutungen und Lösungsvorschläge aussprechen und wo es geht, versuchen wir sie sie an Ort und Stelle (wenn es sich nicht aus methodischen Gründen empfiehlt, es erst am nächsten Tag auszuprobieren) praktisch nachzuvollziehen. Hier helfen vorbereitete Materialien (wir haben uns eine umfangreiche Materialsammlung angeschafft, siehe weiter unten) oder in vielen Fällen auch einfach die vorhandenen Kissen, mit denen man Rechnen kann, Formen legen kann, u.v.a. (siehe bei praktischen Unterrichtsbeispielen).
Wieder spielt sich das Geschehen zentral in der Mitte des Kreises ab, die Kinder können ungestört sehen und hören. Benötigen wir einmal eine bestimmte Ausrichtung in Bezug auf rechts, links, „oben und unten“, so lassen wir die Kinder der einen Kreishälfte sich schnell vor die Bänke der anderen setzen.
Wenn es dann daran geht, schriftlich mit den Kindern zu arbeiten, sind wir sehr flexibel. Arbeiten wir mit der Tafel, so stellen die Kinder im Nu ihre Bänke in Frontalstellung, holen ihre Kissen und Schulranzen aus dem Regal und sind dann frontal nach vorne ausgerichtet. Manchmal bietet es sich aber an, die Kinder auch im schriftlichen Teil außen am Bankkreis sitzen zu lassen, z.B. wenn schriftlich gerechnet wird und ein Kind die Rechenaufgaben in der Mitte mit unseren großen „Rechensteinen“, den Kissen, demonstriert. Der Gruppenarbeit dienen die Bänke ebenfalls ideal.

 

d. das Frühstück

Das Frühstück wurde in den ersten Schulwochen der ersten Klasse täglich von den Kindern mit einem von uns Lehrern vor dem Unterricht selbst zubereitet, nach den Weihnachtsferien dann nur noch zweimal in der Woche. Nach dem Abschluss der schriftlichen Arbeit, werden Tassen und Frühstücksbretter gedeckt, Brote, Obst und Tee verteilt. Nach dem gemeinsamen Spruch geben wir uns im Kreis die Hand und beginnen mit dem Essen. Mittlerweile ist das selbstgemachte Frühstück eine Ausnahme, allerdings achten wir sehr darauf, dass die Kinder in der Klasse frühstücken und anschließend noch genügend Zeit für die Pause haben.

 

e. die Pause

Im ersten Halbjahr der ersten Klasse legten wir unsere Pause bewusst auf einen späteren Zeitraum. So hatten wir zunächst den Pausenhof für uns, die Kinder konnten sich dadurch untereinander besser kennenlernen und das Sozialgeschehen inklusive der entstehenden
Konflikte konnte von uns Lehrern wesentlich besser wahrgenommen werden. Im zweiten Halbjahr wünschten sich viele Kinder Kontakt zu den anderen Klassen, so dass wir nun dreimal in der Woche mit den anderen Klassen Pause machten, zweimal ohne. Einer von uns bietet draußen Spielangebote an, genügend Seile, Stelzen oder Pedalos sind ebenfalls vorhanden. Da manche Kinder die Hülle des Klassenzimmers nicht so gerne verlassen möchten, können sie unter Aufsicht des anderen drinnen ruhigeren Beschäftigungen (z.B. Brett- und Kartenspiele, mit Klötzen bauen, Malen, Bücher anschauen, u.ä.) nachgehen.

 

f. die Fachstunde

Für Handarbeit und Religion werden die Kinder in jeweils drei Gruppen geteilt. Jeweils eine Gruppe bleibt dabei im Klassenzimmer und stellt sich individuell die Bänke nach ihrer Größe und Notwendigkeit auf. In den beiden Fremdsprachen, in denen die Klasse ungeteilt unterrichtet wird, wurde im ersten Schuljahr durchgehend im Kreis unterrichtet. Mittlerweile wird Russisch manchmal auch frontal unterrichtet, die Kinder sitzen hier auf den Bänken oder stehen vor ihnen. Betritt die Russischlehrerin das Klassenzimmer, so singen oder sprechen wir gerade noch etwas und führen dies auch noch zu Ende. Fließend übergebe ich dann an meine Kollegin, die so übergangslos mit dem Russischunterricht beginnen kann. Einerseits schlüpfe ich nun selbst in die Schülerrolle und lerne kräftig die mir fremde Sprache mit, was für meine Schüler immer wieder anspornend und manchmal auch etwas belustigend ist, denn ich tue mich in der Regel viel schwerer als sie mit der Aussprache. Andererseits bin ich nun selbst Assistenzlehrer und sorge mit dafür, dass meine Kollegin möglichst nie den Unterrichtsstrom abreißen lassen muss, indem ich die auftretenden Nöte der Kinder (Toilettengang, Verarztungen, Unruhe einzelner Kinder) versorge.

 

g. der Rückblick

Nach dem Beenden der Fachstunde setzen wir uns im Schneidersitz auf die Bänke und werden kurz still. Zumeist beginne ich mit der Erinnerung an ein besonderes Ereignis am Morgen, danach erwähne ich kurz, was wir gearbeitet haben und knüpfe, wenn es gerechtfertigt ist, ein Kompliment für die geleistete Arbeit an. Einige Kinder dürfen ergänzen, es wird kurz ausgetauscht, was sie z.B. in den verschiedenen Handarbeitsgruppen gelernt haben. Gegen Ende sagen manche Kinder, was ihnen besonders gefallen hat. Gelegentlich kommt es auch vor, dass auch ein unschöner Vorfall oder Streit in der Pause angesprochen wird. In der Regel reicht es völlig, dass das Vorkommnis ausgesprochen und durch den Lehrer und die anderen Kinder wahrgenommen wurde, manchmal ist es aber dann auch notwendig, mit den Betroffenen nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen.

 

h. der Erzählteil

Die Kinder dürfen nun ihre Kissen holen und sich im Kreis einen beliebigen Platz suchen und sich hinsetzen oder hinlegen. Je nach Situation und Geschichte setze ich zwischen die Kinder, leicht erhöht auf eine Bank am Rande oder stehe und laufe außerhalb des Kreises, während ich erzähle.

 

i. Unterrichtsende, Raumpflege und Ausklang

Nach dem Schlussspruch und dem Verabschieden bleiben immer einige Kinder da und helfen beim Reinigen und Ordnen des Klassenzimmers. Es wird abgewaschen, gefegt, gesaugt, usw.. Manche Kinder, die nicht auf den Bus müssen oder nicht sogleich abgeholt werden, genießen es nach dem Putzen noch im Klassenzimmer bleiben zu dürfen und spielen, malen oder lesen zu dürfen. In der Regel lasse ich ihnen noch etwas Zeit und bereite dann schon den Unterricht für den nächsten Tag vor.

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