Das Prinzip der Nachahmung

Rudolf Steiner, GA 301, 3. Vortrag

[…] Wir haben unterscheiden müssen das menschliche Leben bis zum Zahnwechsel und dann wiederum bis zur Geschlechtsreife, und ich habe versucht, Ihnen zu charakterisieren, wie anders die Kräfte sind in dem ersten menschlichen Lebensabschnitt als in dem zweiten. Das aber bedingt für beide Lebensabschnitte eine ganz verschiedene Art des seelischen Erlebens. Einfach dadurch, dass das Vorstellungsmäßige auf jene innere Verhärtung des menschlichen Leibes geht in der ersten Lebensepoche, die ihre Kulmination erlebt im Zahnwechsel um das siebente Jahr, ist für den Menschen in dieser Zeit das wichtigste Kommunikationsmittel in seiner menschlichen Umgebung das Prinzip der Nachahmung. Alles, was der Mensch in diesen Jahren vollzieht bis zum Zahnwechsel, vollzieht er aus dem Prinzip der Nachahmung. Es ist so unendlich wichtig, was die Umgebung eines Kindes tut in diesem Lebensalter; denn das Kind macht einfach nach. Es gehört zu den Kräften dieses Lebensalters, dass das Kind nachmacht. Und dieses Nachmachen hängt zusammen mit denselben Kräften, die die zweiten Zähne aus dem Kiefer herausholen. Es sind dieselben Kräfte und wir haben gesehen, es sind die vorstellenden Kräfte. Die vorstellenden Kräfte sind zugleich die gestaltenden Kräfte. Es sind die Kräfte, die im Prinzip des Nachahmens im Kinde wirken. Denken Sie sich, was das heißt, wenn man das einsieht nicht nur mit dem Verstande, nicht bloß intellektuell, wenn man das einsieht mit dem ganzen Menschen, mit der ganzen Seele, wenn man dafür volles universell menschliches Verständnis hat! Das heißt, ich weiß, wenn ich vor einem noch nicht siebenjährigen Kinde etwas tue, so tue ich das nicht nur für mich, sondern es setzt sich mein Tun in das Tun des Kindes hinein fort. Ich bin nicht allein mit meinem Tun. Wir werden sehen: ich bin nicht allein mit meinem Tun, mit meinem Wollen, mit meinem Fühlen, ich bin nicht allein mit meinem Denken oder Vorstellen, denn die wirken als Imponderabilien. […]

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