Sven Saar

Diese 34 Sprüche sind im Metrum Hexameter geschrieben. Im Schuljahr, wo nicht nur inhaltlich die Griechen eine große Rolle spielen, sondern auch der Herz-Atem-Rhythmus des Kindes sich auf sein erwachsenes Maß einpendelt, geben sie dem Lehrer eine Gelegenheit, über die Pflege der Sprache ganzheitlich und salutogenetisch zu wirken.

Die Thematik der Sprüche ist ganz dem Lehrplan der fünften Klasse entnommen. Auf diese Art entsteht eine gespannte Erwartung, wann denn nun „meine Geschichte drankommt", und wenn man im Hauptunterricht dann so weit ist, wird auch der Lerninhalt aufmerksamer als sonst wahrgenommen. Durch den wöchentlich wiederholten Themenkanon der Sprüche leben die Kinder das ganze Jahr über mit den Bildern, die sie seelisch so stark ernähren und inspirieren.

Mir ist es selbstverständlich, dass Sprüche für die fünfte Klasse auch während der fünften Klasse gesprochen werden. Diese Bilder haben für Sechstklässler nicht mehr die ihnen innewohnende Kraft. Das heißt konkret, dass sie als Zeugnissprüche in das Zeugnis der vierten Klasse gehören.

Ich wünsche meinen Kollegen und Kolleginnen viel Freude im kommenden Schuljahr!

Sven Saar
Wahlwies, im Frühjahr 2013

 

INDIEN

 

Der Ganga

Hoch ist der Berg, der Geburtsort,
weit weg der Ozean, das Ziel.
Ewiges Eis taut den Anfang,
schaut herab auf die schäumenden Fälle.
Glitzernd und ruhig in der Ebene
zieht der heilige Fluss seine Bahn:
Brahmas Geschenk an die Menschen,
Leben spendender Ganga!

 

Arjuna

Erst musst im Kampfe entschlossen
Du mutig und stark dich bewähren!
Doch, wenn der Gegner Gewalt
Dich ohnmächtig droht zu besiegen,
greif zu der Waffe, die einst
dir aus Götterhand wurde gegeben:
Führe sie weise, denn nur
wessen Herz gut und rein ist, verdient sie!

 

 

Der Bogenschütze

Such dir, o Auge, den Zielpunkt,
nimmer soll er dir entgleiten!
Fliege dahin, mein Gedanke,
eil dem Geschosse voraus!
Fest spanne, Arm, mir die Sehne,
lass meinen Pfeil ihr entsurren!
Hab ich das Ziel treu im Blick,
muss es mein Schuss sicher treffen!

 

 

Buddha

„Was muss ich tun, um das Böse,
das Menschen so plagt, zu verstehen?
Wie kann ich helfen, ihr Götter,
lindern den Schmerz und die Not?"
„An dir selbst musst du fühlen das Elend,
Trauer und Armut ertragen!
Oft wirst du dazu geboren,
übst so im Mitleid dein Herz."

 

 

Die Götter der Hindus

Aus dem, was es vorher nicht gab,
hat Brahma die Welten erschaffen;
dass sie stets neu und gesund sind,
muss Vishnu sie lieben und pflegen.
Was jedoch alt ist und müde,
findet durch Shiva den Tod.
Jeder für sich würde schaden
der Erde, dem Menschen, der Schöpfung;
Doch schaffen dreie gemeinsam,
können sie Wunder bewirken!

 

 

Rama

Keiner kann reiten wie Rama,
keiner die Waffe so führen.
Gegen die bösen Rakshasas
hilft ihm der Bruder, der treue,
hilft ihm der König der Affen,
hilft ihm die liebreiche Sita.
Die Würde des Rajah, des Herrschers,
muss sich der Held erst erstreiten!

 

 

PERSIEN

 

Zarathustra

Als Zarathustra das Licht
Der Sonne erstmalig erblickte,
weinte er nicht, wie es Kinder,
wenn sie geboren, sonst tun.
Hell durch die Welt klang sein Lachen -
Jeder hielt inne und lauschte,
wusste auch ohne zu wissen:
ein Stern war der Menschheit erschienen!

 

 

BABYLON

 

Die Zeit

Rhythmen von Mond und Planeten,
von Sonne und Sternen im Kosmos
ordnen das irdische Leben
in Stunden und Wochen und Jahre.
Nichts kann dem Menschen zuliebe
den sphärischen Lauf unterbrechen.
Wie ich die Zeit jedoch füll',
ist mir in Freiheit belassen!

 

 

Gilgamesch

Gilgamesch, mutiger Streiter,
prächtiger, machtvoller Herrscher!
Kennst du denn gar nicht die Gnade,
die Güte, das weise Vergeben?
Wisse, es wird einer kommen,
wird dich im Kampfe bezwingen.
Freund soll er sein und dein Bruder,
zum wahrhaften König dich runden!

 

 

ÄGYPTEN

 

Die Sphinx

Hunderte Generationen
sahen voll Ehrfurcht schon auf
zum undurchdringlichen Antlitz:
Wer kann das Wesen der Sphinx,
wer ihre Absicht erkennen?
Lässt ihn ihr schlummernder Zauber
einst ihr Geheimnis enthüllen?

 

 

Der Nil

Die Sonne brennt ohne Erbarmen
und trocknet die Krume Ägyptens.
Lebenskraft birgt nur der Nil:
aus Sand macht er fruchtbaren Boden.
So bringt ein gütiger Strom
Millionen von Menschen die Hoffnung,
die, des Geschenkes bewusst,
den heiligen Wasserlauf ehren.

 

 

Die Pyramide

Großartig schiebt sich das Bauwerk
in den ägyptischen Himmel,
ohne Metall und Maschinen
erbaut aus Millionen von Steinen.
Weisheit des Kosmos entschlüsselnd
wird hier der Schüler zum Herrscher.
Was ihn die Priester gelehrt,
bleibt es auf ewig Geheimnis?

 

 

Isis

Wo ist der Sarg von Osiris,
des Königs unsterblicher Körper?
Weit weg muss Isis, die treue,
die liebende Seele ihn suchen,
muss ihrem Schicksal vertrauen,
das fern von zuhause sie führt,
bis sie ihm wieder verbunden.

 

GRIECHENLAND

 

Der Wagenlenker

Schnell galoppieren die Rosse
gern im vertrauten Gespann.
Gut in der Hand ist der Zügel,
fest steh' ich, aufrecht und federnd.
Mögen die Räder auch poltern,
vor Augen liegt sicher mein Ziel.

 

Das Orakel

Suchender, kommst du nach Delphi,
empfängst dort den Spruch des Orakels,
Wisse, er wird dich nicht zwingen,
nicht leiten auf sicherem Pfade;
doch stellt er der Seele ein Rätsel
und im Lösen erkennst du den Weg.

 

 

Orpheus

Klingt durch die Bäume des Hains
lieblich die Stimme des Orpheus,
hält alles inne und lauscht
und wagt nicht, den Zauber zu stören;
die wildesten Tiere, sie schnurren,
räkeln sich zahm um den Sänger.
So wirkt Musik in der Welt
als Frieden spendender Segen.

 

 

Athene

Helfer der Starken und Guten,
den Schwachen ein kluger Beschützer:
Weise ist Pallas Athene,
den Menschen ein Freund am Olympos.
Doch ist ihr Wesen kein mildes,
hart sind ihr Herz und ihr Harnisch,
streitet für jene, die treu
und aus Liebe zur Wahrheit nur kämpfen!

 

 

Apollo

Aufrechte schenkt uns Apollo,
edles und kraftvolles Denken.
Geradlinig klar ist sein Wesen,
strahlend und schön die Erscheinung.
Das Streben des Menschen belohnt er
und hilft dem, der sucht, sich zu bessern.

 

 

Die Galeere

Freundlicher Wind, füll die Segel,
treib uns dem Ziele entgegen!
Doch wissen wir uns zu helfen,
bist du uns einmal zu sanft:
Legen wir uns in die Riemen,
tauchen die Ruder im Takte,
pflügen den Bug durch die Wellen,
ruft uns der heimische Hafen!

 

 

Herakles

Zwölf fast unmögliche Taten
hat der König das Recht zu erzwingen.
Wenn dir das Große gelänge,
wärst du der Held aller Helden.
Übermenschliche Kräfte
legte dir Zeus in die Wiege.
Schone dich nicht noch verzage,
geh' mutig entschlossen ans Werk!

 

 

Achilleus

Achilleus, das griechische Heer
braucht deinen Mut, deine Stärke.
Ohne die Kraft deiner Hand
müssen die Schlacht wir verlieren!
Was sitzt du in deinem Zelt,
wenn um dich die Schilde zerbersten?
Stell dich mit uns, sei ein Mann,
hilf den Freunden zu ruhmreichem Sieg!

 

 

Odysseus

Wind, füll die Segel und treib mich
dem heimischen Herde entgegen!
Lang schon entbehren die Meinen
Den Hausherrn, den Vater, den Fürsten.
Manche Gefahr überstand ich,
trotzte der süßen Versuchung.
Nun ruft mich Ithakas Hafen:
Heim kehrt Odysseus der Held!

 

 

Prometheus

Nein, Zeus, ich will nicht gehorchen,
deinen Gesetzen nicht folgen!
Mein Herz schlägt, das spüre und weiß ich,
nicht im olympischen Takte!
Liebe zum Menschen durchglühe,
begeistere all meine Taten!
Willst du mich strafen dafür?
Könnt‘ ich doch anders nicht sein!

 

 

Helena von Troja

Helena, Blüte der Griechen,
Dankesgeschenk Aphrodites,
schaut auf trojanisches Meer,
wartet auf zehntausend Helden.
Lohnt es, der Segel zu harren?
Naht die ersehnte Befreiung?
Zag' nicht, du Holde! Ergreife
dein Schicksal mit eigener Hand!

 

 

Bucephalus

Wild weht die seidige Mähne,
dunkel glüht tiefschwarzes Fell.
Nur der kann Bucephalus reiten,
der zielsicher greift in die Zügel,
der vollkommen furchtlos sich schwingt
auf den bebenden Rücken des Rappen.

 

 

PFLANZENKUNDE

 

Der Holunder

Die zartweiße Pracht des Holunder
kleidet den Waldrand im Frühling.
Süß ist der Saft seiner Blüten,
doch üb' dich in weiser Voraussicht:
Erst in der Wärme des Sommers
reifen die tiefroten Beeren.

 

 

Die Espe

Schon der leiseste, zarteste Lufthauch
bringt die Blätter der Espe zum Flüstern.
Stets ist ihr Grün in Bewegung,
doch fest steht im Zentrum der Stamm.

 

 

Die Eiche

Weit streckt die Eiche die Wurzeln,
ausladend wie ihre Äste.
Die Menschen, sie kommen und gehen,
inmitten steht ewig der Baum,
und könnte uns viel, so wir lauschten,
von menschlichem Schicksal erzählen.

 

 

Die Birke

Härteres Holz mag zersplittern,
muss fürchten die brausenden Stürme;
die Stärke der silbrigen Birke
ist nicht durch Größe gegeben:
Wurzelfest beugt sich der Stamm
und neigt seine Krone den Winden.

 

 

Die Zwiebel

Tief in der ruhig-dunklen Erde
sitzt sie und sprießt Richtung Sonne.
Wird sie Lauch oder liebliche Lilie?
Was hier wächst, ist der Zwiebel Geheimnis,
und was schläft in den silbrigen Schichten,
siehst du erst, wenn das Licht ist errungen.

 

 

Die Weide

Fest steht ihr Stamm, wo die Erde
dunkel und feucht ist am Bache.
Unter ihr spritzt es und plätschert,
sachte nur schwingen die Zweige;
strecken sich struppig zum Himmel,
neugierig-frech in die Welt.

 

 

Pilze

Gehst du im Herbstwald spazieren,
siehst du die braunbunten Pilze;
Einbeinig steh'n sie und träumen,
sind im Geheimen verbunden:
Was du nicht siehst, ist die Wurzel,
hauchdünn und vielfach verwoben,
tief in der Krume versteckt,
nährt sie den Kreis ihrer Kinder.

 

 

Die Tanne

Still wächst sie da, scheint zu träumen,
die Arme zum Waldboden weisend.
Tief in der Erde verwurzelt,
widersteht sie und beugt sich den Winden.
Regt sich im Baum denn kein Leben?
Schläft er gar? Nein, sieh nur hin:
Keck-helle Spitzen entspringen
im Frühjahr den tiefgrünen Zweigen!

 

 

Himmel und Erde

Wie die zart duftende Rose
farbige Tupfer ins Grün setzt
als Königin irdischer Gärten,
wie Lilien zum Himmel sich wenden,
die Blüten als kosmische Boten
im Spiel zwischen Lüften und Licht,
so steh' ich Mensch auf der Erde
als Bote der himmlischen Schönheit,
Rose und Lilie zugleich.

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