Alpenüberquerung

Ein Beitrag von Brigitte Leiblein (Rudolf Steiner Schule Gröbenzell)

Große Emotionen am Markusplatz

596 Kilometer vom Schulhaus in Gröbenzell bis zum Markusplatz in Venedig haben die Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt. Coronabedingt konnte das große Finale nicht am Ende der 8. Klasse stattfinden, doch der Wille der KlasseBergsteiger war ungebrochen und so erreichten sie ihr Ziel eben etwas später.

Am 21. November 2014 machten sich die 36 Schüler:innen der damaligen 3. Klasse mit ihrer Lehrerin Daniela Haller-Murr vom Schulhaus aus auf, die Alpen in zwölf Etappen zu überqueren. Geplant war bis Juli 2020 die 596 Kilometer bis Venedig zurückzulegen.

Doch es kam anders. Die Corona-Maßnahmen bewirkten, dass wir um die Durchführung der letzten Etappe immer wieder bangen und diese zweimal verschieben mussten. Für unseren unermüdlichen Cheforganisator Ecki Achterberg bedeutete dies einen immensen organisatorischen Aufwand. Dennoch waren sich alle einig: „So kurz vor dem Ziel geben wir nicht auf! Wir werden das Begonnene auf jeden Fall gemeinsam zu Ende bringen.“ Als sich im Mai 2022 abzeichnete, dass wir endlich zur finalen Etappe starten konnten, war die Freude groß.

Was hatten wir bis dahin alle gemeinsam erlebt: Die eintägigen Wanderungen durch die bayerische Heimat in den ersten drei Etappen, als die Kinder noch Kondition aufbauen durften. Das Campen aller Familien am Fohnsee. Die anspruchsvolle Fahrradetappe durch das Ötztal. Die Überschreitung des Alpenhauptkamms in der kargen Gletscherwelt. Der Abstieg aus 3.019 Höhenmetern bei Schnee und Eis von der Simillaunhütte nach Italien. Die gemeinsamen Übernachtungen in urigen Hütten. Kissenschlachten. Das Einstehen der Kinder füreinander. Auf dem Meraner Höhenweg vom Gewitter überrascht. Über die Bärenfalle hinauf zum Schlernhaus. Auf den immer länger werdenden Rückfahrten die Erkenntnis: „Diese lange Strecke haben wir bereits bewältigt!“ Durch die bizarren Felsformationen der Dolomiten. Heimlich durchratschte Nächte und schließlich vom Pass Femene der Ausblick auf das in der Ferne zu erahnende Meer am Horizont.

Nun lag die 12. und letzte Etappe vor uns. In Tarzo, Venetien starten 34 Schüler:innen, drei Austausch-schüler:innen, die ehemalige Klassenlehrerin und Projektinitiatorin Daniela Haller-Murr und ihr Mann Andreas, die Klassenbetreuerin Ulrike Gölz und sieben Begleiteltern.

Die Bedingungen sind völlig andere als bei den Etappen zuvor: Bei 33 Grad im Schatten geht es anfangs noch durch Weinberge, ein Großteil der Strecke führt jedoch in der prallen Sonne auf Schotter- und Teerstraßen teils an trostlosen Produktionshallen entlang.  Schnell wird klar: Die Jugendlichen wollen es von sich aus schaffen! Sie fragen nicht, wie lange es noch dauert, jammern nicht bei den Begleiteltern, sondern sie machen die widrigen Bedingungen, ihre Erschöpfung mit sich selbst oder untereinander aus.

Die Austauschschüler, soviel sei verraten, brechen am ersten Tag nach 29 Kilometern ab und fahren von da an meist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum nächsten Etappenziel. Einige Schüler:innen haben Probleme mit Muskeln, Sehnen, dem Rücken oder haben Blasen an den Füßen. Die Möglichkeit, öffentlich weiterzufahren oder zumindest den Rucksack den Austauschschülern mitzugeben, kommt für sie nicht in Frage. Selbst aus eigener Kraft nach Venedig zu kommen, ist die Devise. Die Kranken müssen von den Begleiteltern überredet werden, zu pausieren.

Das Wetter bleibt drückend heiß, schwül, die Straße scheint kein Ende zu nehmen. Wann kommt das Meer? Am dritten Tag, nach 70 Kilometern, beginnen die Schüler:innen an der Spitze der Wandertruppe zu rangeln: Wer kann sich als erstes in Lido de Jesolo ins Mittelmeer stürzen?

Am 24. Juni 2022 um 16 Uhr kommen die KlasseBergsteiger in Venedig an. Der Schritt vom Vaporetto auf den Boden Venedigs wird zur emotionalen Achterbahnfahrt: „Wow, jetzt sind wir tatsächlich zu Fuß bis hierher gelaufen.“ „Diesen letzten Schritt will ich gar nicht machen, dann ist ja alles vorbei“ „Jetzt machen wir ordentlich Party in Venedig“ „Nun haben wir ja gar kein Ziel mehr“, ist von den Schüler:innen zu hören. Ein wichtiger Moment für alle!

Am Fähranleger drückt Daniela Haller-Murr in ihrer bewegten Ansprache aus, wie stolz sie auf die Schüler:innen ist und wie dankbar, dass das Projekt gemeinsam geschafft wurde.

Mit Erinnerungsfotos auf dem Markusplatz, Streifzügen durch die verwinkelten Gassen von Venedig, Vaporettofahrten, authentischen Übernachtungen in einem alten venezianischen Palazzo, mit viel Freude, Stolz und Zusammenhalt – und mit unvergesslichen Bildern im Kopf geht die letzte Etappe für uns zu Ende.

 

Beratung: Ecki Achterberg
Fotos: Eltern und Schüler:innen der KlasseBergsteiger

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