Das Michaeli-Fest der 2. Klassen
Ein Beitrag von Meike Strathoff (Rudolf Steiner Schule Schloss Hamborn)
Wenn der Herbst beginnt, sind Tag und Nacht gleich lang, Dunkelheit und Licht halten sich die Waage. Sechs Tage später feiern wir das Fest des Erzengels Michael: die Tage werden kürzer und die Nächte länger, wir gehen einen Schritt weiter in die dunkle Jahreszeit. Die äußere Dunkelheit kann ausgeglichen werden durch das Licht, das wir in unserem Inneren entfachen. Es erfordert Kraft und Mut, die Dunkelheit zu durchdringen und zu durchlichten. St. Michael – so erzählen es die alten Legenden – ist der Engel mit dem Lichtschwert, der das Dunkel in Gestalt des Drachen besiegt, dann kann das Licht in Gestalt der Königstochter sich ausbreiten, die Menschen berühren und verwandeln. Aber der Erzengel braucht Menschen, die sich mit ganzem Herzen mit seiner Lichtkraft verbinden, nur dann kann er auf der Erde wirken. So ein Mensch war der Ritter Georg.
Auch in Schloss Hamborn hauste ein Drache
Die Kinder der 2. Klassen hörten seine Geschichte und versuchten ihm am Michaelitag nachzueifern. Auch in Schloss Hamborn hauste ein Drache, der die schöne Königstochter in seiner Gewalt hatte. Wie war er zu besiegen? Hässlichkeit lässt sich durch Schönheit verwandeln und Bosheit durch Güte. Als erstes sammelten die Kinder Naturschönheiten und füllten damit ihre Körbe: Kastanien, Eicheln, bunte Blätter, Rinde, Steine und was sonst noch an Naturschätzen am Wegesrand lag. Danach galt es sich mit Himmelskraft zu bewehren. Einige mutige Kinder kletterten in die Bäume, um Kometen (Kastanien mit Flatterbändern – unsere Paten hatten die Flatterbänder dort zuvor angebracht) aus der Höhe zu holen.
Drachenberg und Schatztruhe
Als alle Kinder einen Kometen erhascht hatten, mussten sie den steilen Hang des Drachenberges erklimmen. Oben auf der Hochebene fanden sie eine Schatztruhe inmitten eines magischen Kreises. Der Zauber konnte nur dadurch gebrochen werden, dass alle Sternenkräfte sich im Kreis versammelten. Nun zischten die Kometen durch die Luft, einige trafen gleich beim ersten Mal ins Ziel, andere verirrten sich und mussten mehrmals geworfen werden, endlich war der Bannkreis gelöst und die Schatztruhe konnte geöffnet werden. In ihr lag für jedes Kind eine Kerze, um im Dunkel der Drachenhöhle den richtigen Weg zu finden.
Schlüssel und Kampf
Aber – die Höhle war verschlossen, wo lag der Schlüssel? Die Kinder entdeckten eine geheimnisvolle Baumwaage, an der ein silberner Eimer hing, der andere Waagbalken mündete in einen Blätterhaufen. Die Kinder füllten den Silbereimer mit ihren Naturschätzen – ganz langsam tauchte der andere Eimer auf und hob sich vom Erdboden. Er war gefüllt mit Dreck, in all dem Dreck fanden die Kinder jedoch den gesuchten Schlüssel. Jubelnd rannten sie zur Drachenhöhle und probierten den Schlüssel aus. Aber, oh Schreck, er passte nicht.
Nun wurde der Schlüssel auch in andere Türschlösser gesteckt – vergeblich. Hatte der Drache etwa Lunte gerochen und war rechtzeitig geflohen, um den tapferen Ritterinnen und Rittern zu entkommen? Da hörten wir aus den Tiefen des Ellerbachtales ein grässliches Brüllen. Versteckte er sich etwa zwischen den Felsen unterhalb vom Schloss? Wie sollten wir den steilen, felsigen Abhang hinunterkommen, ohne dem Drachen direkt in den Schlund zu rutschen? Unsere beiden tüchtigen Patenklässler (10b) knüpften fachmännisch alle Seile aneinander, die wir mithatten und befestigten das eine Ende an einem Baum. Vorsichtig hangelten die Kinder sich unter der Obhut der Großen hinunter ins Drachenreich. Die ersten wurden so wütend angefaucht, dass sie gleich die Flucht ergriffen und wieder nach oben kletterten. Aber einige von ihnen fassten sich ein Herz und blieben. So wurde die Kämpferschar immer größer. Mutig fingen sie an zu singen: Michael strahlend hell sei uns gut stärk den Mut Erzengel Michael.
Auch die letzten ängstlichen Kinder trauten sich hinunter. Es wurde heftig gekämpft, bis der Drache seinen Kopf verlor und sich wieder in einen Menschen verwandelte. Auch die Prinzessin war erlöst! Zwei Mädchen reichten ihr die Hand: „Dürfen wir Euch nach oben geleiten, Eure Majestät?“ Die Prinzessin strahlte vor Freude und nahm das freundliche Geleit dankbar an. Ein Ritter nahm das Gefäß mit dem Drachenfeuer an sich und trug es über Stock und Stein, über Zäune und durch Brennnesselhecken hell brennend bis zum Königsplatz.
Die Quelle
Einige Kinder fanden im Gebüsch verborgen die „Quelle“ mit dem Taufwasser und die Paten bargen die Drachenhaut und den Drachenkopf und breiteten sie auf dem Königshof aus. Alle Kinder, die sich mit dem Taufwasser ein Kreuz auf die Stirn gemalt hatten, durften nun die Drachenhaut mit den Naturschätzen schmücken. Wunderschön sah sie jetzt aus! Alle Aufgaben waren erfüllt und alle Drachenkämpfer müde und hungrig! Wie gut, dass unsere lieben Patenklässler ein wahrhaft fürstliches Mahl zubereitet hatten. Ein Feuer prasselte in der Mitte des Schlosshofes und alle Kämpfer und Kämpferinnen ließen sich nieder und langten kräftig zu. Es mundete vorzüglich – ein großes Lob und Dankeschön an unsere Paten! Im Abschlusskreis bekam jedes Kind seine Michaeli-Kerze mit nach Hause für die dunkle Jahreszeit.