Aus dem eigenen Leben erzählen

Ein Beitrag von Matthias Kräutle (Freie Waldorfschule Biberach)

Liebe Leser, ich kann das Erzählen der eigenen Biographie nur wärmstens empfehlen, auch wenn sie uns selbst vielleicht gar nicht so bedeutend vorkommt.

Es muss keinesfalls eitle Gründe haben, wenn man seiner achten Klasse aus der eigenen Biographie erzählt. Besonders in den unteren Klassen ist es eine tägliche Erfahrung, dass einem die Kinder sehr aufmerksam zuhören, wenn man etwas von sich erzählt. Manchmal wird es sogar schon als spannend empfunden, wenn man berichtet, was man vorher gegessen hat :-)

In meinem ersten Klassendurchgang erzählte ich, sozusagen als Belohnung für gutes Betragen im Unterricht, von einem anscheinend recht spannenden Lebensabschnitt. Ich arbeitete eine Zeitlang in einem Gefängnis für psychisch kranke Straftäter, und wenn die Klasse gut gearbeitet hatte, erzählte ich am Ende der Stunde eine Geschichte aus dem Gefängnis. Das hatte immer gewirkt.

Im zweiten Durchgang erzählte ich meiner Klasse chronologischer aus meiner Biographie, wobei die reißerischen Gefängnisgeschichten weniger Beachtung erhielten. Der Auslöser war eine Frage, die sich bei der Besprechung der Biographiearbeiten, die die Schüler zu schreiben hatten, ergab: Ob ich, der Lehrer, auch eine Biographie schreiben würde? Bald wurde uns klar, es sollte, wenn ich mich bereit erklärte, meine eigene sein. Dieses Ansinnen kam nicht völlig unerwartet, da ich gelegentlich recht gerne einen Schwank aus meinem Leben zum Besten gab. Insofern begann ich mit dem Aufschreiben und mit dem täglichen Erzählen am Ende des Hauptunterrichts. Mein „schriftlicher Teil der Biographiearbeit“ hat allerdings noch kein Ende gefunden.

Mit diesem Erzählen konnte ich bei meiner Klasse eine selten erlebte Aufmerksamkeit erreichen. Im Grunde ist das Interesse der Schüler nicht überraschend, schließlich befinden sich die Schüler in einer Entwicklungsphase, in der sie sich extrem intensiv um sich selbst kümmern, und wenn ihnen eine Person, die sie doch sehr gut kennen, und im besten Fall auch schätzen, von sich selbst und seinen Erlebnissen erzählt, liegt ihnen das doch sehr nahe.

Erstaunlicherweise stellte es sich heraus, dass nicht nur die spektakulären Ereignisse, wie z.B. meine zum Teil recht kuriosen Erfahrungen in der DDR starken Eindruck machten, es waren auch eher einfache Geschichten, wie meine Erfahrungen als Großstädter, der auf einem Bauernhof den Umgang mit dem Milchvieh lernte. Aber auch meine beschränkte, weil hauptsächlich emotionale Wahrnehmung der Flugzeugentführung in Mogadischu - am Fernseher als junger Bub erlebt - wirkten stark, sodass ein Mädchen staunend sagte: „Solch aufregende Erlebnisse haben wir ja nie gehabt“- und das wenige Jahre nach Corona!

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