Der Elefant floh nicht, weil er glaubte, dass er es nicht kann.
Eine Ansprache aus der Freien Waldorfschule Leipzig
Liebe Schülerinnen und Schüler der 12.Klasse!
Ich habe in den Ferien oft an Euch gedacht und mir überlegt, wie es Euch wohl in Vorbereitung auf das kommende Schuljahr mit dem Abschluss der 12.Klasse gehen wird, dazu gehört die Jahresarbeit und der Eurythmieabschluss. Ein Teil der Klasse wird den Realschulabschluss anstreben. Hin und wieder wird Euch vielleicht der Gedanke durch den Kopf gehen: Das schaffe ich nicht oder das kann ich nicht!
Mir ist dazu eine Geschichte eingefallen, die ich in einem meiner Lieblingsbücher gelesen habe. Es geht um einen Mann, der als Kind vollkommen fasziniert vom Zirkus war, besonders gefielen ihm die Tiere und wie die meisten Kinder war er von dem Elefanten begeistert mit seinem ungeheuren Gewicht und der eindrucksvollen Größe, welche er während der Vorführung zur Schau stellte. Vor und nach der Vorstellung war er immer an einem kleinen Pflock angekettet. Dieser war allerdings nichts weiter als ein winziges Stück Holz, das nur ein paar Zentimeter tief in der Erde steckte. Die Kette war mächtig und schwer, dennoch bestand für den Jungen kein Zweifel daran, dass solch ein Tier mit seiner Kraft sich mit Leichtigkeit von so einem Pflock befreien und fliehen könnte. Als Kind vertraute der Junge der Weisheit der Erwachsenen. Sie erklärten ihm, der Elefant fliehe nicht, weil er dressiert sei. Die nächste Frage stellte sich dem Jungen sofort: Und wenn er dressiert ist, warum muss er dann angekettet sein?
Er bekam keine schlüssige Antwort.
Später fand er heraus, dass sich schon jemand Gedanken darüber gemacht hatte.
Der Zirkuselefant floh nicht, weil er schon seit frühester Kindheit an einen solchen Pflock gekettet war. Nun stellte sich der Mann vor, wie der ganz junge Elefant an den Pflock gekettet wurde und wie er trotz aller Anstrengung es nicht schaffte, sich von diesem Pflock zu befreien und wie er nach mehrfachen Versuchen aufgab und sich seinem Schicksal fügte.
Der riesige, mächtige Elefant floh nicht, weil er glaubte, dass er es nicht kann. Die Vielzahl seiner ohnmächtigen Versuche hatte sich in sein Gehirn eingebrannt und er versuchte es nie wieder ernsthaft. Das heißt, er schaffte es nicht, weil er glaubte, dass er es nicht schaffen kann.
Liebe 12.Klasse, der einzige Weg zu ergründen, ob man etwas schafft oder nicht, ist, es immer wieder auszuprobieren und zwar aus vollem Herzen und mit ganzer Kraft.
Dafür wünsche ich Euch von ganzem Herzen viel Kraft und zwar nicht nur für dieses Schuljahr.
Eure Karola Pfeiffer